Bild nicht mehr verfügbar.

Es sind meist nicht die Durchschnittsbürger, die Falschinformationen im Netz verbreiten. Gut organisierte Kampagnen schüren insbesondere vor Wahlen Ängste und Hassgefühle.

Foto: REUTERS/Kacper Pempel

Julia Ebner, "Wut. Was Islamisten und Rechtsextreme mit uns machen". € 20,60 / 336 Seiten. Theiss 2018

Cover: Theiss Verlag

Die gebürtige Wienerin Julia Ebner forscht in London.

Foto: privat

Stehen Wahlen bevor, intensivieren sich Inhalte mit rassistischen und ausländerfeindlichen Botschaften auf Facebook und Twitter. Liberal eingestellte Politiker und andere Personen des öffentlichen Lebens werden diffamiert. Falschinformationen über Gratishandys und überproportionale Geldleistungen für Flüchtlinge tauchen in Form von Postings, Bildern und Blogbeiträgen auf. Die schiere Masse der Hassbotschaften, das oftmalige Teilen der längst als Fake-News identifizierten Inhalte lassen vermuten, dass ein wesentlicher Anteil der Bevölkerung radikalisiert, verblendet, verhetzt ist.

Doch das ist nicht der Fall. Es ist vielmehr eine Wirklichkeit, die eine kleine Gruppe am rechten Rand des politischen Spektrums vorspiegeln will, um die Gesellschaft zu spalten, neue Anhänger zu mobilisieren und Wähler in Richtung rechtsradikaler Ideologien zu treiben. Julia Ebner fiel bei ihren Recherchen zu Wahlmanipulationen durch Online-Aktivitäten vor den vergangenen Wahlen in Deutschland und Österreich der gut organisierte, kampagnenartige Charakter der Desinformation auf.

"Die Kampagnen zeigten ähnliche Muster wie zuvor bei den Wahlen in den USA, Frankreich oder den Niederlanden", sagt die gebürtige Wienerin, die als Extremismus- und Terrorismusforscherin beim Institute for Strategic Dialogue (ISD) in London tätig ist, einer internationalen Nichtregierungsorganisation (NGO), die sich auf Analyse und Prävention in Zusammenhang mit Extremismus konzentriert.

Hier die Opfer, dort die Täter

In ihrem kürzlich erschienenen Buch Wut. Was Islamisten und Rechtsextreme mit uns machen (Theiss-Verlag) zeigt Ebner, welcher Online- und Offline-Strategien sich extremistische Gruppierungen bedienen, um die öffentliche Debatte zu korrumpieren, Angst zu streuen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu unterminieren. Rechtsextremistische Bewegungen, so ihr Befund, verwenden dabei sehr ähnlicher Taktiken wie ihr Feindbild am anderen Ende des Spektrums, die islamistische Szene. Hier die Opfer, dort die Täter und eine Pflicht, sich zu wehren, sind die Bestandteile der immergleichen Narrative.

Im Fall ihrer Recherche in rechtsextremen Milieus beschäftigte sich Ebner unter anderem mit der Gruppe "Reconquista Germanica", die 2017 in Erscheinung trat, um die deutschen Wahlen zu beeinflussen. "Mich hat interessiert, wie diese Gruppe versucht, den Diskurs zu steuern", sagt die Extremismusforscherin. Ebner folgte einem der Links zu einer verschlüsselten Chat-Applikation, die auf diversen Messageboards gestreut werden. Als Hauptkommunikationskanal diente die App Discord, eigentlich ein Chatprogramm, das sich an Computerspieler richtet.

"Ich musste einen kurzen Rekrutierungsprozess durchlaufen, um Teil der Trollfabrik zu werden", sagt Ebner über ihre Recherche unter dem Deckmantel einer konstruierten Online-Identität. "Ich habe mir eine ganze Reihe von Avataren und Accounts auf verschiedenen Plattformen zugelegt und betrieben, um die Glaubwürdigkeit aufrechtzuerhalten."

Hierarchisch strukturierte Trollfabrik

Wer sich unter den Begriff Trollfabrik einen chaotischen Haufen vorstellt, der wahllos Hass streut, geht in die Irre: "Die Organisation gibt sich eine militärische Anmutung und ist sehr hierarchisch strukturiert. Es gibt Ränge, Offiziere, Generäle. Befehlshaber geben Ziele und Uhrzeiten von Aktionen vor. Beispielsweise werden populäre Hashtags etwa zu aktuell im TV laufenden Politdiskussionen oder Nachrichtensendungen bewusst mit einschlägigen hetzerischen Inhalten beschossen und gekapert", erklärt Ebner die Vorgangsweise. "Mittlerweile werden in sozialen Medien auch viele rechtsextreme Inhalte entfernt, bei islamistischen Themen ist das schon länger der Fall."

Die Autorin spricht für den Tag vor der deutschen Bundestagswahl von etwa 7000 Mitgliedern, die in konzentrierten Aktionen durchaus großen Einfluss entfalten konnten. Auch vor der vergangenen Wahl in Österreich war die Gruppe mit gezielten Aktionen aktiv. Überschneidungen zu der als rechtsextrem geltenden Identitären Bewegung seien zu erkennen. Gibt es aber auch Verbindungen zu etablierten politischen Parteien? "Zu den deutschen Rechtspopulisten der AFD sind Berührungspunkte nachvollziehbar, mit der österreichischen FPÖ gibt es zumindest Überschneidungen in der Fanbasis", resümiert Ebner.

Indoktrinierungsprozesse

Die Autorin geht in ihrem Buch auf die durchaus vergleichbaren Strategien der Islamisten des sogenannten "Islamischen Staates", IS, ein. Auch hier geht es darum, die Propagandainhalte des "Cyberkalifats" bestmöglich in den Mainstream zu befördern. "Ich beobachte beispielsweise eine zweisprachige, deutsch-englische Pro-IS-Gruppe in der Messenger-App Telegram, in der darüber diskutiert wird, wie man ein Massenpublikum ansprechen kann", erzählt Ebner. Dazu gehören etwa Masseneinladungen von Fake-Accounts oder Social Bots an alle arabisch klingenden Namen. Die Einladungen führen in Chatgruppen, die einen Erstkontakt herstellen und einen Indoktrinierungsprozess starten sollen. Internationale Beispiele zeigten auch, wie große Kommunikationskampagnen mit gezielten Hackingangriffen einhergehen, die das öffentliche Echo noch verstärken sollen.

Im Ringen radikaler Gruppen um Aufmerksamkeit fällt den traditionellen Medien die Verantwortung zu, sich nicht instrumentalisieren zu lassen und den Extremisten nicht jene mediale Aufmerksamkeit zu schenken, die sie mit ihren Aktionen suchen. "Wichtig sind beispielsweise Entscheidungen wie jene, Bilder von Attentätern islamistischer Anschläge nicht zu publizieren und keine Namen zu nennen", erklärt die Extremismusforscherin. Damit verhindere man, Täter zu glorifizieren und weitere Akteure zu inspirieren. Ebner: "Angesichts der Propagandainhalte extremistischer Gruppen werden Analyse und reflexive Berichterstattung immer wichtiger." (Alois Pumhösel, 23.3.2018)