Siemens sieht künftigen Güterverkehr auf elektrifizierten Straßen.

Foto: Siemens AG / Dietmar Gust

Wien – Der Lkw-Verkehr steigt rapide an. Als exemplarisches Schlaglicht darf die Zählstation Haid an der A1 in Oberösterreich dienen. Hier, auf Österreichs meist befahrenem Autobahnabschnitt, wurden laut einer Analyse des Verkehrsclubs Österreich (VCÖ) auf Basis von Asfinag-Daten in den ersten elf Monaten des vergangenen Jahres 4,8 Millionen Schwerfahrzeuge gezählt – eine halbe Million mehr als im Vergleichszeitraum 2012.

Gleichzeitig ist der durch fossile Energieträger angetriebene Straßenverkehr einer der größten Treibhausgasverursacher. Während beim Personenverkehr durch immer leistungsfähigere Batterietechnik ein Wandel hin zur Elektrifizierung absehbar ist, bleibt die Frage, wie Jahr für Jahr Abermillionen Tonnen Güter klimaschonend durch Europa transportiert werden sollen, unbeantwortet.

Wasserstoff, Brennstoffzelle, Gasantrieb stehen zur Debatte und werden mit entsprechenden Prototypen beworben. Aber Elektro-Lkws? Das geht sich maximal für eine Last-Mile-Versorgung aus, so der Tenor. Doch es gibt eine Alternative, mit der es mit Strom als Antrieb für die Schwertransporte doch noch klappen könnte: eine Versorgung per Oberleitungen.

Der Ansatz vereine die "Effizienz elektrifizierter Bahnstrecken mit der Flexibilität von Lkws", bewirbt Siemens die Technologie, die der Konzern auf Teststrecken in Schweden, Kalifornien und nun auch in Deutschland vorantreiben will. Als Partner finden sich dabei Lkw-Hersteller wie Volvo oder Scania, die Hybridfahrzeuge zur Verfügung stellen, die abseits der mit Oberleitungen versehenen Autobahnen auf Diesel, Flüssiggas und Batterien zurückgreifen.

Fünf Kilometer Teststrecke

In Deutschland entstehen mehrere Teststrecken dieser sogenannten eHighways. Im Zuge des Projekts Elisa (Elektrifizierter, innovativer Schwerlastverkehr auf Autobahnen) wird etwa ein Teilstück der A5 in Hessen auf gut fünf Kilometern in beide Fahrtrichtungen mit über 200 Masten versehen, die Fahrdrähte tragen sollen. Sensorik auf dem Dach der Lkws soll das Vorhandensein der Leitungen erkennen, woraufhin die Abnehmer ausgefahren und der Elektromotor mit Strom versorgt wird. Das "Ein- und Ausklinken" in die Oberleitung soll bei einer Geschwindigkeit von 90 Stundenkilometern funktionieren. Die Abnehmer gleichen zudem auch Bewegungen innerhalb der Fahrspur aus.

Der Energieverbrauch solle sich mit der Elektrifizierung und einhergehenden Wirkungsgraden von bis zu über 80 Prozent halbieren, die lokale Luftverschmutzung deutlich verringern, versprechen die Betreiber. Bremsenergie, die beispielsweise ein bergab fahrender Lkw zurückgewinnt, kann über die Oberleitungen mit anderen Lkws "geteilt" werden. Die größte CO2-Einsparung entsteht natürlich dann, wenn der Strom aus erneuerbaren Quellen kommt.

Bereits 2019 soll der bis zu dreijährige Feldversuch starten. Einige Logistikbetriebe sollen das System in ihrem regulären Betrieb nutzen. Das deutsche Bundesumweltministerium übernimmt die Kosten von knapp 15 Millionen Euro für das Projekt.

Die Bauarbeiten haben bereits begonnen. Weitere Teststrecken sollen auf der Autobahn A1 bei Lübeck und auf einer Bundesstraße in Baden-Württemberg folgen. Seit 2016 ist bei Stockholm in Schweden bereits ein ähnliches System in Betrieb, nahe Los Angeles verbindet eine Testanlage Hafen und Güterbahnhof.

Technologische Nische

Ist das nun also die eine Lösung für einen emissionsfreien Güterverkehr? Bleibt der Ansatz eine technologische Nische, oder ist es denkbar, dass flächendeckend Oberleitungsinfrastruktur errichtet wird und Lkws weitgehend elektrisch betrieben werden?

Günter Emberger, Forschungsbereichsleiter für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik am Institut für Verkehrswissenschaften der TU Wien schätzt die Chancen, dass die Technologie in Zukunft in Europa eine große Rolle spielen könnte, als relativ gering ein. "Vom verkehrsplanerischen Standpunkt finde ich es nicht sinnvoll, ein neues System zu etablieren", erklärt Emberger. Zugunsten eines ausgewogenen Verkehrssystems verweist er als Alternative auf einen Ausbau der Bahn: "Aus einer gesamtgesellschaftlichen Sicht ist die Schiene eindeutig vorzuziehen."

Denn: "Wer sollte die Kosten für die relativ teure Infrastruktur übernehmen?", fragt Emberger. Von den Unternehmen, die das System nutzen, werde das nicht zu holen sein. Und auch den Steuerzahler dürfe man dafür nicht zur Kasse bitten: "Warum sollte sich der Staat selbst Konkurrenz zur Bahn machen? Man hat mehr davon, wenn man das Geld, das man in derartige Straßeninfrastruktur steckten würde, in intelligente Bahnterminals investiert, die einen schnelleren Warenumschlag erlauben."

Das würde nicht nur dem Staat stärkere Steuerungsmöglichkeiten geben, sondern auch Druck von den Autobahnen nehmen, die langfristig mehr Personenverkehr aufnehmen werden müssen. "Ab Strecken von 200 bis 300 Kilometern sollte der Lkw nicht mehr auf der Straße sein", betont Emberger. Und damit wäre mehr als eine Last-Mile-Reichweite für Lkws gar nicht notwendig.

Klares Bekenntnis zur Bahn

Der Wissenschafter wünscht sich ein klares Bekenntnis der Politik in diese Richtung. "Es gibt beispielsweise Autoproduzenten, die nach wie vor keinen Eisenbahnanschluss haben. Mit Just-in-time-Lieferungen wird fast die gesamte Lagerkapazität auf die Straße verlegt und die Kosten damit auf die Allgemeinheit abgewälzt. Da muss die Politik gegensteuern", fordert Emberger.

Das Preisdumping im Logistikmarkt führe zudem zu gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen, die wenig wünschenswert seien: Produkte würden durch ganz Europa geschickt, "nur um einen Knopf anzunähen", Abwanderung von Industrien in Billiglohnländer durch geringe Frachtkosten letztendlich weiter begünstigt.

Prognosen gehen langfristig von einer Vervielfachung des Güterverkehrs aus, Volumen, die das Zeug haben, das bestehende Straßennetz vollends zu überlasten. Mit dem Ende der Nutzung fossiler Treibstoffe steht im Güterverkehr eine Weichenstellung mit weitreichenden Folgen an. Denn eines ist klar: Von der Verkehrswende wird auch der Transportsektor nicht ausgenommen sein. (Alois Pumhösel, 21.3.2018)