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Geteiltes Leid ist halbes Leid: Empathie bewirkt, dass wir uns in andere hineinversetzen können. Es gibt jedoch einige Faktoren, die Mitgefühl hervorrufen, und andere, die es hemmen.

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Jeder kennt das Gefühl: Haut sich jemand mit dem Hammer auf den Finger oder macht vor Freude einen Luftsprung, können wir das deutlich nachempfinden. Wir leiden und freuen uns mit. Wir fühlen, was der andere fühlt. Auf diesen Nenner lässt sich Empathie bringen. Auch wenn wir die Schmerzen anderer nicht körperlich empfinden, springen allein bei der Beobachtung im Gehirn Regionen an, die auch beim Betroffenen aktiv sind, sagt Claus Lamm von der Universität Wien. Das zeigen seine Untersuchungen mit Probanden, deren Gehirnaktivität er im Magnetresonanztomografen (MRT) beobachtet hat.

Dass wir uns in andere hineinfühlen oder mit ihnen mitfühlen können, hat viele Vorteile. Evolutionär betrachtet, motivieren diese Gefühle zu sozialem Handeln wie Helfen und Kooperation, sagt Lamm. Landläufig verwenden wir die Begriffe Empathie und Mitgefühl synonym. Doch Experten verstehen unter Mitgefühl, dass wir nicht nur negative Gefühle teilen, sondern auch daran Anteil nehmen und aus Verständnis und Sorge helfen wollen.

Die Anlagen für Empathie und Mitgefühl bringen wir in unseren Genen mit. Einer umfassenden Studie zufolge macht deren Einfluss aber nur etwa zehn Prozent aus, wie Forscher von der University of Cambridge kürzlich im Fachjournal Translational Psychiatry schrieben. Weitaus prägender sind also Erziehung, Sozialisation und Erfahrungen. Schon im Alter von zwei Jahren fangen Kinder an, Anteil zu nehmen und zum Beispiel andere zu trösten. Positive Erfahrungen mit Empathie und Mitgefühl verstärken von diesen Gefühlen getriebenes Handeln. "Bei positiven Emotionen suche ich Situationen, die diese hervorrufen. Mitgefühl für einen Trauernden kann mich also auch motivieren, dieser Person zu helfen. Wenn ich seine Trauer lindern kann, ist das für mich mit einem positiven Gefühl verbunden", erklärt Lamm.

Entscheidender Unterschied

Der Unterschied zwischen Empathie und Mitgefühl kann entscheidend sein und lässt sich trainieren. Würden sich zum Beispiel Ärzte und Pflegekräfte immer verstärkt in das Leid ihrer Patienten einfühlen, wären sie unter Umständen gar nicht handlungsfähig. Nur wenn sich Ärzte vom allzu starken Nachempfinden entkoppeln, können sie ohne Blockade oder Burnout zu helfen. Göttinger Forscher um Mira Preis haben diese Gewöhnung an den Ausdruck von Schmerz mit MRT-Untersuchungen ersichtlich machen können. Interessanterweise verlieren die Mediziner dabei nicht die Fähigkeit, den Schmerzgrad richtig einzuschätzen.

Mitgefühl lässt sich auch mit Meditationsübungen trainieren, wie Wissenschafter um Tania Singer vom Leipziger Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften herausgefunden haben. Ihr Fazit: Damit lässt sich nicht nur Burnout bei Ärzten und Lehrern vermeiden, auch ungesunde Stressreaktionen wie ein hoher Cortisolspiegel reduzieren sich, mehr Verständnis ist die Folge.

Bitterkaltes Experiment

Allerdings werden Empathie und Mitgefühl von zahlreichen Faktoren beeinflusst. Wir empfinden diese Gefühle einfacher und schneller gegenüber Personen, die uns ähnlich sind. Einen anschaulichen Beleg dafür lieferten Ed O'Brien und Phoebe Ellsworth von der University of Michigan. Die Forscher hatten sich für ihr Experiment einen bitterkalten Wintertag ausgesucht. Sie wollten herausfinden, wie gut sich Studenten in einen fiktiven Wanderer einfühlen konnten. Dieser hatte sich bei Winterwetter verlaufen und hatte weder Wasser noch Essen übrig noch zusätzliche warme Kleidung bei sich. 60 Studenten an einer Bushaltestelle und weitere 60 in der warmen Uni-Bibliothek bekamen eine Kurzgeschichte über den Pechvogel zu lesen. Anschließend sollten beide Gruppen einschätzen, ob er ihrer Meinung nach eher an Hunger, Durst oder der Kälte litt, und auch angeben, welche dieser Probleme sie gerade am stärksten betraf.

Man hätte nun erwarten können, dass die frierenden Studenten durchwegs die Kälte für das größte Problem halten würden. Ihr Einfühlungsvermögen dafür hing aber tatsächlich von einem weiteren Faktor ab. Nämlich davon, wie sehr ihnen der Wanderer ähnelte. Genauer gesagt, ob er ihre politische Meinung teilte. Denn die Forscher hatten, ohne dies zu verraten, zwei verschiedene Textversionen verteilt. In einer war der Wanderer Demokrat und für die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Paare. In der anderen war er Republikaner und gegen diese Rechte. 94 Prozent derer, die an der frostigen Bushaltestelle seiner politischen Meinung zustimmten, hielten die Kälte für sein größtes Problem. Teilten sie seine Einstellung jedoch nicht, schwand das Einfühlungsvermögen für die Kälte draußen wie drinnen und unterschied sich kaum (55 gegenüber 63 Prozent).

Wann Einfühlen leichter fällt

Offenbar fällt uns das Einfühlen auch dann leichter, wenn wir glauben, dass Menschen nicht selbst schuld an ihren Gesundheitsprobleme oder in einer Notlage sind. Sobald wir denken, dass das Problem durch andere Entscheidungen vermeidbar gewesen wäre, geht das Mitgefühl schnell nach unten, sagt Grit Hein von der Universität Würzburg. Das könnte die Verurteilung von Drogenabhängigen, aber auch Übergewichtigen und Obdachlosen erklären. "Es kann so weit gehen, dass man bestimmten Gruppen sogar menschliche Eigenschaften und Kompetenzen abspricht", ergänzt Hein.

Sie hat an der Universität Zürich untersucht, ob sich die Ablehnung anderer Gruppen durch positive Erfahrungen senken und mehr Empathie für sie entwickeln lässt. In einem Experiment wollte sie in Erfahrung bringen, wie Schweizer Probanden reagieren, wenn andere Probanden – eigene Landsleute oder aus den Balkanstaaten stammende, die in der Schweiz eine große Minoritätengruppe bilden – verhindern, Schmerzen erleiden zu müssen. Die Testpersonen sollten schmerzhafte Reize an der Hand erhalten. Sie wussten aber, dass jemand potenziell Geld dafür zahlen würde, dass sie nicht leiden mussten. Am Namen konnten sie erkennen, woher der Helfer stammte. Schon wenige hilfsbereite Einwanderer reichten, um die eingangs – neuronal gemessene – geringe Empathie nicht nur für diese Person, sondern für deren Gruppe zu erhöhen.

Hein, die inzwischen an der Universität Würzburg forscht, betont allerdings, dass Empathie ein dauerhaftes Fundament aus "Vertrauen und ein Gefühl der Sicherheit" braucht. "Wenn dieses Vertrauen missbraucht wird, dann kann es schnell aus sein mit der Empathie." (Veronika Szentpétery-Kessler, 25.3.2018)