Eine politische Band, die zur Sprache bringt, was in Bosnien-Herzegowina viele lähmt: das Dubioza Kolektiv.

Foto: Youtube/Dubioza Kolektiv, Screenshot: Gerold

"Noise" steht auf den Tafeln, die die Musiker in den Händen tragen, wenn sie auf die Bühne springen. Das Publikum reagiert, es folgt heftiger Lärm und Tanzen. Der Rhythmus "Jep, jep, jep" wird die kommenden eineinhalb Stunden bestimmen.

"Der Schwur der Pioniere ist nur ein altes Papier. Es gibt keine Brüderlichkeit und Einheit. Jetzt haben wir Demokratie", singen die Musiker von Dubioza Kolektiv – trocken, böse, punktgenau. In jugoslawischer Zeit war der Pionierseid für Kinder so etwas wie die Erstkommunion, Brüderlichkeit und Einheit das Motto des Vielvölkerstaates. Heute wird in Bosnien-Herzegowina alle vier Jahre gewählt, aber Konzepte oder Alternativen werden kaum angeboten. Die Wahlen dienen dazu, eine Politikerelite mitsamt ihrer Gefolgschaft in den Verwaltungen abzusichern.

Im Liedtext heißt es folgerichtig: "Wenn ich ein Funktionär werde, würde ich mein Funktionärsehrenwort geben, dass ich fleißig stehlen und lügen und das Land in die Schulden werfen werde, dass ich unsere neoliberale Heimat lieben werde, die kapitalistische Übergangs-Bananenrepublik, dass ich den Nepotismus und die Korruption entwickeln und leere Sprüche liefern werde, die niemand glaubt, dass ich alle enthäuten werde, die Steuern zahlen müssen und mit deren Geld ich den sozialen Frieden kaufe."

Dubioza Kolektiv: "Pionirska".
Dubioza kolektiv

Böses Lied, unschuldige Kinder

Dubioza Kolektiv lassen das böse Lied von einem unschuldigen Kinderchor singen und machen es durch diesen inneren Bruch noch schärfer. Die Band seziert in schmerzhafter Genauigkeit die Enttäuschung, Ernüchterung, die prekären Lebenswelten, den Konsumismus und die dumpfe Banalität der Politik im heutigen Bosnien-Herzegowina. Und trotz all dieses Elends energetisiert die Band, weil sie angriffslustig ist und genau das verbalisiert, was alle lähmt.

"Wir haben nur Sehnsucht nach Normalität", meint Vedran Mujagić, der mindestens so schön lächeln wie Gitarre spielen kann, im STANDARD-Gespräch, das im Café Oper in Sarajevo stattfindet. "Wir brauchen keine Gesellschaft, die von Extremen regiert wird." Dubioza Kolektiv entstand aus ein paar Jungs, die während des Kriegs in Zenica Rap-Musik machten, einem Schlagzeuger aus Mostar, der der "lauteste im Neretva-Tal" sein wollte, und Leuten aus Sarajevo. Die Jungs aus Zenica spielten während des Kriegs in einer Band mit dem – auf Deutsch übersetzten – Namen "Stumme Zeit gegen das gehörlose Zeitalter" für ein Kilo Mehl, ein Kilo Zucker, einen Liter Öl und eine Tafel Schokolade. Nach dem Krieg kam eine lange Zeit des Experimentierens mit einem Sampler, den einer aus Deutschland mitgebracht hatte. Die ersten Lieder, die Anfang dieses Jahrhunderts entstanden, hießen "Halt die Klappe und verrecke" oder "Alle zum Streik", das Album nannten sie "Bring the system down".

Ironische Drehungen

Heute ist Dubioza Kolektiv längst die wichtigste Band aus Bosnien-Herzegowina und tourt durch ganz Europa. Viele Songs werden auf Englisch eingesungen. Die Texte haben mehrere Ebenen, eine dient dem politischen Widerstandsaufruf. Dazu kommen überraschende ironische Drehungen im Text oder im Video.

Dubioza Kolektiv ist keine klassische sozialkritische Band. Denn die acht Bandmitglieder, die im Kollektiv ihre Texte schreiben, machen sich leichtfüßig über sich selbst lustig. Dazu gesellt sich ein einfacher Hip-Hop-Rap-Dub-Sound, der verrät, dass sie selbst viele Nächte abgetanzt haben. Über all dem Spaß schwebt ein ausgefeilter Sprachwitz. Dubioza Kolektiv nutzt den Slang der Straße. "Wir wollen uns nicht hinter Metaphern verstecken", erklärt Mujagić. Das kann mitunter auch derb werden, wenn sie etwa über "alle unsere Nationalitäten und Nationen, bosnische, balkanische und die von der Welt gefickten" singen oder meinen: "Zeig der Sorge den Mittelfinger, schützen wir unsere Prostata! Wir leben vom Kummer, im Arsch der Zivilisation."

Dubioza Kolektiv: "Euro Song".
zelche29

Von Europa verlassen

Die Band ist aber hochpolitisch. "Wir haben sie gegründet, um einen Platz zu schaffen, an dem wir uns äußern können", erklärt Mujagić. Geäußert wird etwa das Gefühl, von Europa verlassen zu sein, an dem sich in Bosnien-Herzegowina seit dem Krieg (1991–1995) nichts geändert hat.

"Don't want to be annoying, please don't get me wrong. I'm sick of being European just on Euro Song", heißt es etwa im "Euro Song". Jenseits der Eurovision fühlt man sich ausgeschlossen vom Rest des Kontinents. Dubioza Kolektiv thematisiert das Leben in der Peripherie, im Prekären. "Bis vor zehn Jahren brauchten wir Visa, um zu reisen, jetzt können wir nicht in ein anderes Land arbeiten gehen. Das Gefühl, dass wir von Europa aufgegeben wurden, setzt sich fort. Wir leben in einem halben Protektorat, einer halben Kolonie, da ist es nicht einfach, Europa als eine positive Sache zu sehen", meint Mujagić.

Kanäle buddeln, Fassaden streichen

Die Alternative zum peripheren Dasein, nämlich die Emigration, ist ein anderes zentrales Thema der Band. "I can no longer wait, take me to United States. Take me to Golden Gate, I will assimilate", drückt diese Sehnsucht aus, endlich akzeptiert zu werden, koste es, was es wolle. Auch die Liedzeilen "Schicken wir die jungen Leute zum Arbeiten ins Ausland, um Kanäle zu buddeln und Fassaden zu streichen, um Teller zu spülen, bis zum bitteren Ende" beschreiben sarkastisch die Auswanderungswelle, die weiterhin anhält.

Weil ein großer Teil der Balkan-Bevölkerung mittlerweile ohnehin in die USA, nach Kanada, Australien, in die skandinavischen Staaten, nach Deutschland, Österreich und in die Schweiz gegangen ist, kriegt auch die Diaspora ihr Fett ab. "I'm living in diaspora, I'm very proud of my house with the pool, master credit card, thick gold chain hangs around my neck, Mercedes-Benz parked in the back", heißt es in dem Lied "No Escape from Balkan".

Dabei geht es aber nicht um Diaspora-Bashing. Mujagić betont, dass es schließlich die Auslands-Bosnier sind, die mit ihren Überweisungen Bosnien-Herzegowina vor dem Untergang bewahren. "Das ist auch ein Teil der Antwort darauf, warum es hier keine Rebellion auf der Straße und keine Streiks gibt", sagt er.

Dubioza Kolektiv: "No Escape (from Balkan)".
Dubioza kolektiv

"I live by your rules every single day"

Und es wäre nicht Dubioza Kolektiv, wenn nicht auch gleichzeitig die Vorurteile gegen die Leute vom Balkan in den Einwanderungsländern thematisiert würden: "Don't believe the hype, I never beat my wife. I’m not a macho man who would stab you with a knife. I live by your rules every single day – But some things are written in my DNA." Die Stereotypen vom Balkan seien noch ein Echo aus Kriegszeiten, meint Mujagić. "Viele assoziieren den Balkan mit Gewalt, Frauenfeindlichkeit, Schnapstrinken und allem, was in den Filmen von Emir Kusturica propagiert wird."

Manche würden dieses angeblich Exotische des Balkans erfolgreich an den Westen verkaufen, moniert er. Dubioza Kolektiv ist jedenfalls keine dieser Balkan-Beat-Bands und verbreitet auch keine Jugonostalgie, die Mujagić "unproduktiv" findet. "Diese Kinder glauben an Märchengeschichten von früher. Das ist so ähnlich wie Che-Guevara-T-Shirts zu tragen. Wenn sie etwas über die Ideologie dahinter lernen würden, würde das ihren Kopf wirklich verändern", sagt er. Dubioza Kolektiv orientiert sich vielmehr an den großen Jugo-Rock-Bands der Achtzigerjahre wie Zabranjeno Pušenje ("Rauchen verboten") oder Plavi Orkestar ("Blaues Orchester").

Dubioza Kolektiv: "Free.mp3 (The Pirate Bay Song)".
Dubioza kolektiv

Gemeinsamer kultureller Raum

Die Bühnen-Shows ähneln den Youtube-Videos der Band. Sie sind auf ein junges Publikum zugeschnitten, das den Sound visualisiert aufnimmt. Konsequenterweise wurde auch die Song-Piraterie zu einem Lied gemacht. Das coole Video dazu haben Freunde gemacht. Freunde gibt es überhaupt viele. Immer wieder öffnet sich die Band und lässt "Gäste" rein, um sich selbst Inspiration zu holen.

Die Bandmitglieder kommen hauptsächlich aus Bosnien-Herzegowina, es ist aber auch ein Serbe und ein Slowene dabei. "Die Leute im ehemaligen Jugoslawien verstehen uns überall als Einheimische. Die Kriege konnten nicht alles zerstören, wir teilen noch immer einen kulturellen Raum", meint Mujagić. Die Menschen würden auch überall die Geschichten, die Dubioza Kolektiv erzählt, als ihre eigenen wiedererkennen. "Die Situation in Serbien und in Kroatien ist ja genauso schlecht. Die haben halt statt drei Parteien und drei Religionen nur zwei, aber sie leiden genauso unter der Politik des Währungsfonds."

"Dein Nationalismus ist nicht mein Patriotismus"

Im Song "Valter" greift Dubioza Kolektiv das allgegenwärtige völkische Denken an. "Dieses Land ist nicht durch drei teilbar, und dein Nationalismus ist nicht mein Patriotismus." In Bosnien-Herzegowina definieren sich nach jahrzehntelanger Propaganda die meisten Bürger heute entlang ethnisch-religiöser Linien. Die Rocker machen sich über die "Werbekampagne für neue Scheiße, eine neue Creme, die das Dilemma beseitigt" lustig. "Es ist schwer zu entscheiden, wann es ein breiteres Sortiment geben wird, ob es gerade besser ist, ein Serbe, Kroate oder ein Muslim zu sein", singen sie.

Indem sie die dominante Ideologie der Lächerlichkeit preisgeben, nehmen sie der dumpfen Wirklichkeit zumindest die Ohnmacht, die man ihr gegenüber empfindet. Die Südosteuropäer sind den Rechtspopulismus bereits seit dreißig, vierzig Jahren gewöhnt, für sie sind Politiker vom Schlage Trump nichts Neues. "Diese Politiker machen erfolgreiche PR mit Nationalismus, sonst sind sie aber pragmatisch. Niemand redet über eine kohärente Sozialpolitik, sondern nur darüber, ob ein nationaler Feiertag abgehalten werden soll oder nicht", kritisiert Mujagić. Das Problem sei, dass die Vertreter anderer politischer Konzepte dagegen einfach nicht stark genug seien.

Dubioza Kolektiv: "Walter".
Radio Sarajevo

Shopping-Mall statt Parlament

Die Leute würden den Nationalismus noch immer "kaufen". Um "Kaufen" geht es Dubioza Kolektiv auch in der "Hymne der Generation". Im dazugehörigen Video sieht man, wie Menschen alarmiert von den Medien auf die Straße laufen. Vor dem Parlament baut sich die Polizei schützend auf. Der Mufti, der Bischof und der orthodoxe Patriarch werden links liegen gelassen, während die Massen zur vermeintlichen Revolution stürzen. Doch kurz vor dem Parlament biegen sie ab und laufen ins Einkaufszentrum, gelockt von Sonderangeboten. "Die Oppositionsparteien hier liefern kein Motiv, zum Parlament statt zur Shopping-Mall zu rennen", erklärt Mujagić.

Die Kinder des Proletariats – die Bandmitglieder kommen aus Arbeiterfamilien – rufen selbst nicht mehr dazu auf, auf die Straße zu gehen. "Das wäre heute naiv, auch wir sind älter geworden. Wir versuchen vielmehr, dem hässlichen Gesicht der Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten." In einem ihrer Videos ist ein alt gewordener Partisanenheld zu sehen, der sich ein "Superman"-Kostüm anzieht, rausgeht, in einer Mülltonne stöbert und sich dann wieder ins Bett legt – eine Allegorie auf die Apathie in Bosnien-Herzegowina. "Diese Stadt, dieses Land hat einen verdammten Charakter", singt Dubioza Kolektiv, aber gibt dann doch wieder Hoffnung: "Wenn es am nötigsten sein wird, wird Walter zurückkommen." (Adelheid Wölfl aus Sarajevo, 24.3.2018)

Dubioza Kolektiv: "Himna Generacije".
Dubioza kolektiv