Krebs-Patienten wollen alles richtig machen. Um das "Sonnenvitamin" D ist ein regelrechter Hype entstanden.

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Wien – Diagnose Krebs: Zunächst ist da der Schock, dann drängen sich Fragen auf. Welche Rolle hat mein Lebensstil gespielt? Was kann ich selber tun? Wie kann ich mein Immunsystem stärken? Der Onkologe Rupert Bartsch von der Med-Uni Wien schätzt, dass 99 Prozent der Krebspatienten zusätzlich zu Chemo, Bestrahlung oder Immuntherapie auf sogenannte "sanfte" Methoden der Komplementärmedizin setzen. "Es gibt den großen Wunsch, den Krankheitsverlauf selbst positiv zu beeinflussen", sagt er.

Das heißt: Betroffene greifen zu Nahrungsergänzungsmitteln, hochdosierten Vitaminen, probieren Krebsdiäten und Homöopathie. "Der Markt ist gigantisch, die Evidenz sehr gering. Es gibt nur wenig, das wirklich gut erforscht ist", erklärt Bartsch.

Hype um Vitamin D

Ein regelrechter Hype ist vor allem um Vitamin D entstanden. Es soll das Immunsystem stärken, und Krebs vorbeugen. So zeigten etwa Laborversuche, dass das "Sonnenvitamin" in der Krebszelle eine Reihe von Reaktionen auslöst, die ihren Zelltod fördert. Untersuchungen am Menschen fehlen allerdings bislang. Auch das Ergebnis eine Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2014, in der die Daten von 50.000 Menschen ausgewertet wurden, fiel ernüchternd aus. Das Fazit der Studie: Für die Häufigkeit von Krebs macht es wahrscheinlich keinen Unterschied, ob Vitamin-D-Präparate eingenommen werden oder nicht.

Ebenso wenig dürfte das Immunsystem von derartigen Präparaten profitieren. Vitamine in Form von Kapseln oder Pulver können allerdings die Wirkung einer Chemo- oder Strahlentherapie abschwächen. So rät die Österreichische Krebshilfe dazu, auf die Einnahme antioxidativ wirksamer Vitamine wie A, C und E während der Behandlung zu verzichten. Zudem sei eine Substitution häufig ohnehin nicht notwendig, denn "wer sich ausgewogen ernährt, hat ohnehin keinen Mangel", argumentiert Rupert Bartsch.

Warnung vor Krebsdiät

Krebszellen lieben Zucker. Die Versuchung ist also groß, mit dem völligen Verzicht von Kohlenhydraten und Zucker den Tumor auszuhungern. Der Haken daran: "Krebszellen können aus ziemlich allen Abbauprodukten des Fettstoffwechsels Zucker produzieren. Wer den Energielieferanten weglässt, kann den Krebs trotzdem nicht aushungern. Stattdessen werden Herz und Hirn unglücklich, die brauchen nämlich Zucker", erklärt Bartsch.

Ähnlich sieht das auch Leo Auerbach, Leiter der Ambulanz für komplementäre Therapien bei Krebserkrankungen am AKH Wien. "Es gibt keine wissenschaftlichen Daten, die darauf hinweisen, dass mit einer speziellen Krebsdiät die Krankheitsprognose verbessert werden kann." Die Empfehlung der Experten: Ein Mehr an Bewegung und mediterraner Kost, ein Weniger an gesättigten Fettsäuren und Alkohol. "Zumindest bei Brustkrebspatientinnen gibt es dazu gute Ergebnisse", so Bartsch.

THC als Appetitanreger

Relativ häufig klagen Patienten nach einer Chemotherapie aber über Appetitlosigkeit. "Hier hat sich der Wirkstoff THC im Cannabis bewährt", berichtet Auerbach.

Was noch relativ häufig von den Patienten nachgefragt wird: homöopathische Mittel. Auch in Spitälern mit komplementärmedizinischen Abteilungen werden meist Globuli & Co angeboten – obwohl mehrere Studien gezeigt haben, dass sie nicht über den Placeboeffekt hinaus wirken. Bartsch weiß um die Problematik, sieht die Sache aber pragmatisch: "Es macht überhaupt keinen Sinn, sich solchen Wünschen der Patienten in den Weg zu stellen. Damit riskiert man nur, dass sie sich von der Schulmedizin verabschieden und in den alternativmedizinischen Sog gezogen werden." (Günther Brandstetter, 17.3.2018)