In Klagenfurt gibt Anne Bennent die "Mutter Courage" – es ist der Idealfall einer Besetzung.

Foto: Karlheinz Fessl

Klagenfurt – Die Literatur ist langsamer als die Politik, weil man dabei denken muss. So erklärte sich Bertolt Brecht, dass sein 1938 begonnenes Antikriegsstück Mutter Courage und ihre Kinder nicht einmal die Chance erhalten hatte, vor dem Zweiten Weltkrieg zu warnen, indem es nämlich erst, als dieser bereits tobte, 1941 in Zürich zur Uraufführung kam. Wobei sich da auch noch das Missverständnis ergab, es handle sich um die Tragödie einer Mutter, die wie eine Tigerin um ihre Kinder kämpft. Jahre nach der textlich leicht veränderten Zweitaufführung stellte Brecht zur Titelfigur klar: Sie lernt so wenig aus der Katastrophe wie das Versuchskarnickel über Biologie. Und so sehen sie jetzt den Hitler-Krieg an, den sie mitgemacht haben. Es war ein schlechter Krieg, jetzt leiden sie.

Sie sollte also abstoßend wirken, diese bockige, durchtriebene Marketenderin, deren Geschäftsfeld das Schlachtfeld ist. Je tiefer sie ihren Planwagen allerdings in den Dreck zieht, desto mehr erregt sie auch Mitgefühl. Ein Zwiespalt, der die ganze Aufführungsgeschichte prägt.

"Mutter Courage und ihre Kinder" im Stadttheater Klagenfurt – Trailer
Stadttheater Klagenfurt

Stummer Schrei

So wie Anne Bennent jetzt in der Neuinszenierung am Klagenfurter Stadttheater die Mutter Courage nicht spielt, sondern mit Haut und Haar ist, kann man geradezu vom Idealfall einer Besetzung sprechen. Der berühmte stumme Schrei, den Brechts Ehefrau Helene Weigel 1949 als Courage beim Anblick des erschossenen Sohnes Schweizerkas vermittelt haben soll, Bennent erhebt ihn drei Stunden lang. Rotzfrech präsentiert sie den Mächtigen ihr Gesicht anstelle des Gewerbescheins, sie zückt das Messer gegen den Hauptmann, sie marschiert stramm von Ulm nach Metz und zurück, die Fahne nach dem Wind drehend, und das alles mit dem Mut der Verzweiflung. Denn die Verhältnisse, sie sind nicht so.

Schon gar nicht für eine Frau. Am bewegendsten zeigt man seine Gefühle erst, wenn man sie erkennbar unterdrückt. Bernd Liepold-Mossers Inszenierung ist dort unterstützend, wo sie weniger grell wird, wenn die von Claudia Kainberger berührend dargestellte Kattrin die Bevölkerung von Halle vor den anrückenden Plünderern warnt, indem sie nicht auf die Trommel, sondern auf den Planwagen schlägt, und erschossen wird, ohne dass man die Salve hört. Da überträgt sich Anne Bennents stummer Schrei auf die ganze Bühne. Die wird sonst von der chaotischen Gegenwelt beherrscht, von Michael Kuglitschs Krieger mit hängender Zunge, spooky wie immer, von Christoph F. Krutzlers grauslichem Pfeifen-Peter bis zum tänzelnden Feldprediger Alexander Ebeerts.

Passend zerlegen Primus Sitter und Live-Band das Melos von Paul Dessaus Liedern nach einer dröhnenden Idee von Boris Fiala. Viel weniger wäre mehr. Dafür wird man entlohnt durch eine Mutter Courage, die man nicht mehr aus dem Kopf bekommt. (Michael Cerha, 24.3.2018)