Statt des burgunderroten EU-Reisepasses zukünftig wieder der "kultige" blaue Paß, mit dem Briten früher die Welt bereisten – mit der Ankündigung dieser nostalgischen Geste hatte Premierministerin Theresa May vor Weihnachten die Brexiteers entzückt. Dementsprechend groß war der Katzenjammer, als diese Woche durchsickerte: Aller Wahrscheinlichkeit nach erhält das preislich deutlich günstigere französische Unternehmen Gemalto den Zuschlag für die nächsten zehn Jahre statt der zwar französisch klingenden, aber durch und durch britischen Firma De La Rue.

Das "Symbol unserer Unabhängigkeit, Souveränität und Zugehörigkeit zu einer stolzen, großen Nation", so May im Dezember, zukünftig also made in France? Das sei "als Symbol ganz falsch", ja stelle eine "nationale Demütigung" dar, heulten konservative EU-Hasser wie Bill Cash und Priti Patel. Dass Gemalto die Pässe voraussichtlich auf der Insel produzieren wird, fiel ebenso unter den Tisch wie die Tatsache, dass De La Rue Pässe für 40 andere Staaten herstellt, ohne dass dabei über nationale Empfindlichkeiten diskutiert wird.

Solidarität in Causa Giftattentat

Wenn die Premierministerin am Montag ihre Regierungserklärung zum EU-Gipfel abgeben wird, dürfte die Kritik der Brexit-Hardliner dennoch gering ausfallen. Das liegt – neben dem durchgesetzten Deal für eine Übergangsphase bis Ende 2020 – an der erstaunlich eindeutigen Stellungnahme zum Giftanschlag von Salisbury, auf die sich die 28 in der Nacht zum Freitag einigten: Man akzeptiere Großbritanniens Einschätzung, wonach "mit hoher Wahrscheinlichkeit" Russland für das Verbrechen verantwortlich ist: "Es gibt dazu keine andere plausible Erklärung." Der Klub will seinen Botschafter, den Deutschen Markus Ederer, für vier Wochen aus Moskau abziehen.

Mehr als ein Dutzend Nationen, angeführt von Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron, kündigten die Möglichkeit "zusätzlicher Maßnahmen" (Merkel) an. Gemeint ist die Ausweisung russischer Diplomaten, viele von ihnen Spione, wie sie Großbritannien bereits vor zehn Tagen praktiziert hat. Sollte das Realität werden, würde dem russischen Geheimdienstnetz in Europa empfindlicher Schaden zugefügt.

Erfolg

Selbst wenn es nicht dazu kommt – May kann zu Recht die harte Sprache des Gipfels gegenüber Russland als erheblichen Erfolg verbuchen. Unaufhörlich hatte die Premierministerin seit ihrer öffentlichen Beschuldigung der Putin-Regierung vor zehn Tagen für ihre Politik geworben. "Wir müssen zusammenstehen", wiederholte sie immer wieder. "Die russische Bedrohung kennt keine Grenzen und gefährdet unsere Werte."

Diese Bewertung scheint von der großen Mehrheit der EU-Partner geteilt zu werden. Gleichzeitig haben sie Mays Slogan von Russland als "strategischem Feind" nicht übernommen. Dennoch: Die 61-Jährige hat außen- wie innenpolitisch an Statur gewonnen und "sitzt deutlich fester im Sattel als noch vor einigen Monaten", wie der May-Skeptiker Andrew Gimson glaubt. Dessen neues Buch mit kurzen Lebensskizzen sämtlicher Premierminister seit Robert Walpole (1721–42) beschreibt die derzeitige Amtsinhaberin noch als Frau von "begrenzten" Fähigkeiten – ähnlich brutal wie das Wochenmagazin "The Economist", das May im Dezember als "Frau von höchstens durchschnittlichen Meinungen und Fähigkeiten" beschrieb.

Vergleich mit Hitlers Olympia

Gewiss hat die hinzugewonnene Sicherheit der Premierministerin auch damit zu tun, dass sich andere außenpolitische Akteure ihrer Regierung lümmelhaft äußerten. Außenminister Boris Johnsons Vergleich der Fußball-WM in Russland mit Hitlers Olympischen Spielen von 1936 war ebenso undiplomatisch wie seine Behauptung, der Giftanschlag sei direkt aus dem Kreml, also vom gerade frisch gewählten Präsidenten Wladimir Putin höchstpersönlich, gekommen. Dieser solle "weggehen und das Maul halten", ordnete Verteidigungsminister Gavin Williamson öffentlich an. Beide Herren haben ihren allzu deutlich zur Schau getragenen Ambitionen auf die May-Nachfolge durch solcherlei überhitzte Rhetorik keinen Gefallen getan.

Was den blauen Pass betrifft, fühlte May sich stark genug, den Brexit-Krakeelern den Spiegel vorzuhalten. Schwärmen diese nicht stets von den wundervollen neuen Handelsmöglichkeiten, die "Global Britain" nach dem EU-Austritt offenstehen werden? Großbritannien, schrieb die Regierungschefin den Kritikern ins Stammbuch, müsse auch weiterhin "ein klarer Befürworter des globalen Freihandels" bleiben. Und wenn sich dabei 120 Millionen Pfund (137,5 Millionen Euro) einsparen ließen, umso besser. (Sebastian Borger, 23.3.2018)