Zerrissener Charakter: George Danton (Wolfgang Koch, Mi.).

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Wien – "Was ist das, was in uns lügt, hurt, stiehlt und mordet?", äußert der Protagonist in Georg Büchners Drama Dantons Tod gegenüber seiner Gattin Julie. Dieselbe Frage – in etwas anderem Wortlaut – richtete der Dichter in einem Brief an seine Braut. Und Gottfried von Einem setzte sie wiederum als Motto über seine Oper, mit der der 29-Jährige 1947 nach der Uraufführung bei den Salzburger Festspielen schlagartig weitum berühmt wurde.

Noch während der Nazidiktatur hatte der "Componist" (Einems Selbstbezeichnung), dessen 100. Geburtstag heuer begangen wird, den Auftrag für ein neues Werk von der Dresdner Oper erhalten, wo er noch 1944 als musikalischer Berater tätig geworden war. Sein Kompositionslehrer Boris Blacher richtete den Dramentext als Libretto ein, Einem selbst ergänzte Briefe Büchners und von dessen Gefährten Karl Gutzkow. Zu einer Aufführung vor Kriegsende kam es nicht mehr – und im Nachkriegsösterreich mussten zunächst Widerstände überwunden werden, um den Weg für die Premiere in Salzburg und die Wiener Erstaufführung (1947 im von der Staatsoper bespielten Theater an der Wien) zu ebnen.

Parabel über die Verführbarkeit der Massen

Der aus der Zeit der Französischen Revolution stammende Stoff muss in Einems Verpackung für die damaligen Zeitgenossen aufrüttelnde Wirkung gehabt haben: Kurz nach dem nationalsozialistischen Schreckensregime Menschen zur Hinrichtung getrieben zu sehen, mit einem Volk konfrontiert zu sein, das seinen Jubel mit "Heil!"-Rufen ausdrückt – die Absicht, eine Parabel über die Verführbarkeit der Massen zu schreiben, war offensichtlich.

Für Einem selbst war sein Stück denn auch eine "Abrechnung mit der jüngsten, eben erst verklungenen, schrecklichen Vergangenheit" – eine Abrechnung, mit der er sich so sehr persönlich verbunden sah, dass er gestand, manchmal davon zu träumen, er selbst sei Danton. Auch Regisseur Josef Ernst Köpplinger, der für die Neuproduktion an der Wiener Staatsoper verantwortlich zeichnet, sieht die Oper als zeitlos-aktuelles moralisches Lehrstück, wie zwei vor der Aufführung gezeigte Zitate verdeutlichen: "Hat der Fanatismus das Gehirn einmal verpestet, so ist die Krankheit fast unheilbar" (Voltaire); "Die Möglichkeit, ja die Wahrscheinlichkeit des Todes morgen nimmt uns die Verantwortung heute nicht ab" (Max Horkheimer).

Aus der Zeit gefallen

Auf der Bühne sieht man einen gigantischen, aus Holzbrettern zusammengefügten Kubus, in dem es anfangs brennt, der sich ganz am Ende zu öffnen beginnt und der über die pausenlosen gut anderthalb Stunden die Straßen und Plätze von Paris, Stuben, Gefängnis und Tribunal beherbergt. Das Bühnenbild von Rainer Sinell ist eine eindrückliche Metapher für Beengtheit und Gefangenschaft – sei sie physisch oder politisch, die Kostüme von Alfred Mayerhofer scheinen zugleich aus historischer Zeit zu stammen und doch aus der Zeit gefallen zu sein.

Packend ist vor allem die Präsenz von Wolfgang Koch in der Titelpartie des George Danton. Vokal vital bis machtvoll polternd, doch auch mit zweifelnden Untertönen erfüllt, gibt er ein zerrissenes Charakterporträt, bei dem ihm seine Freunde Camille Desmoulins (Herbert Lippert) und Hérault de Séchelles (Jörg Schneider) unverdrossen zur Seite stehen.

Innig strömende Gesangslinien

Als ihr Gegenspieler Robespierre verfügt Thomas Ebenstein als frömmelnder Rhetoriker über eine pointierte Diktion zu Einems verführerischer Musik, die auf allen Ebenen von Dirigentin Susanna Mälkki mit dem Staatsopernorchester energiegeladen umgesetzt wird – auch wenn sie da und dort etwas zu sehr verrät, dass sie auch mit sicherem Wissen um ihre Effekte geschrieben worden ist.

Die am innigsten strömenden Gesangslinien und auch die leidvollsten Töne kommen währenddessen von Olga Bezsmertna als Desmoulins' dem Wahnsinn verfallener Gattin Lucile. Ob man diesen Geisteszustand im anspruchsvollen szenischen Rahmen auch weniger schematisch darstellen (lassen) könnte, ist eine der Fragen, welche die Überzeugungskraft des Ganzen dann doch ein wenig schmälern. (Daniel Ender, 26.3.2018)