Eine sensible Annäherung an einen Künstlercharakter, der sich in Noten vertieft, um die Politik zu verdrängen, ist das Stück "Böhm" von und mit Puppenspieler Nikolaus Habjan.

Foto: Lupi Spuma

Graz – "Da rett ich ihnen die Staatsoper, hat er g'sagt – da rett ich ihnen die Wiener Staatsoper" – und dann "gibt's Auftrittsverbot". So erregt sich der Rollstuhlgreis im Gedenken an Karl Böhm, jenen Dirigenten, den er so bewundert hat. Der Alte könnte in diesem Augenblick natürlich selbst Karl Böhm sein, der am Ende seines Lebens – womöglich von Schuld erdrückt – im Akt der Selbstdistanzierung eine Tarnidentität annimmt. Es könnte der Pflegefall aber auch ein Verehrer sein, der Zitate Böhms verinnerlicht hat.

Es ist einerlei. Paulus Hochgatterers im Grazer Schauspielhaus uraufgeführtes Stück Böhm – mit dem virtuosen Puppenschauspieler Nikolaus Habjan – lässt zum einen keine historische Klarheit vermissen. Zum anderen geht es nur vordergründig um eine konkrete Person. Eher scheint das Stück die erzählerisch-analytische Annäherung an eine Mitläuferexistenz zu suchen.

In verfremdeten filmischen Rückblenden zeigt das Stück Böhm als das, was er zur Nazizeit war und wofür er nach 1945 mit einem jahrelangen Berufsverbot belegt wurde: Der Grazer wird im letzten Drittel des Zweiten Weltkriegs zum Wiener Staatsoperndirektor ernannt. Hitler setzt ihn, der allerdings nie NSDAP-Parteimitglied war, auch auf die Gottbegnadeten-Liste.

Für die Propaganda

Briefe und andere Dokumente belegen zudem, dass Böhm sich emsig und überfleißig – noch vor dem "Anschluss", den er schließlich symphonisch jubelnd begrüßte – der Nazipropaganda andiente. Die Semperoper in Dresden übernahm er, nachdem Fritz Busch wegen integrer Antinazihaltung abgesetzt worden war. Im Schauspielhaus setzt Habjan Berufsepisoden auch mit jüngeren, düster-grotesk dreinblickenden Böhm-Puppen um. Auch Proben werden zelebriert: Böhm quält Sänger Walter Berry, kleine Puppen zeigen exaltierte Diven (Elisabeth Schwarzkopf und Christa Ludwig). Böhm ist ungut, quält Musiker wegen zu starker Crescendi, ist herrisch – doch dann diese Musik. Schubert, Wagner, Mozart.

Habjan vermittelt die Ambivalenz der Figur im Wechselspiel aus großem Bild und intimem Monolog. Böhm erweist sich somit als sensible Annäherung an einen Künstlercharakter, der sich stur in Noten vertieft, sich an diese klammert, um die Politik zu verdrängen. Jener im Rollstuhl hat ihn bewundert. Nun blickt er melancholisch in die Runde, als wäre er doch Böhm selbst, der mit Entsetzen auf sein Leben zurückschaut. (Ljubiša Tošić, 26.3.2018)