Das Werk von Klemens Brosch ist von fantastischen Motiven durchzogen: "Das Krokodil auf der Mondscheibe" (um 1912).

Foto: Landesgalerie Linz

"Am Strande" von 1912.

Foto: Grafische Sammlung, Landesgalerie Linz des Oö. Landesmuseums

"Selbstbildnis" von 1911.

Foto: Landesgalerie Linz

"Siesta der Henker" von 1916.

Foto: NORDICO Stadtmuseum Linz

Wien – Wer zur Platzangst neigt, könnte sich von Klemens Broschs Zeichnung Der Einsiedler in tief verschneiter Hütte (1919) unangenehm berührt fühlen. Winzig klein nimmt sich darin der Eremit aus, immens dagegen sind die Schneemassen, die von allen Seiten auf dessen Behausung eindrängen. Dass der Holzverschlag überhaupt standhält, könnte uns außenstehenden Betrachtern als Wunder erscheinen; dem Einsiedler ist dieses aber anscheinend egal. Er ist in ein Buch vertieft.

Eine beeindruckende Kontemplationsfähigkeit angesichts einer bedrohlichen Situation vermittelt Broschs Großformat, vielleicht bewundert man auch des Einsiedlers Fähigkeit zum Eskapismus. Wer die Zeichnung in jener Ausstellung sieht, die Klemens Brosch derzeit im Belvedere gewidmet ist, dem mag aber auch mit Schaudern klarwerden: In diesem versunken versinkenden Eremiten könnte der 1894 in Linz geborene Künstler sich selbst porträtiert haben.

Meisterschaft und Morphiumsucht

Immerhin steht im Hintergrund jener meisterhaften, detailverliebten Zeichnungen, die nun in der Orangerie versammelt sind, eine Biografie, die von einer Morphiumsucht geprägt ist. Als Soldat im Ersten Weltkrieg hatte sich Brosch diese schwere Abhängigkeit zugezogen, da man ihm, dem Lungenkranken, Morphium als Schmerzmittel verabreicht hatte. 1926 trieb ihn jahrelanger Kampf gegen die Sucht schließlich erst 31-jährig in den Suizid.

Rund 1000 Arbeiten hinterließ Brosch nach gut anderthalb Schaffensjahrzehnten, in denen er eine durchaus kometenhafte Karriere hingelegt hatte. Bereits als Schüler hatte man sein Talent entdeckt, schon als Student an der Akademie der bildenden Künste Wien wurde er von der Kunstkritik als "Wunderkind" gefeiert.

Dass Brosch, der außerdem 1913 die Linzer Künstlervereinigung Maerz mitgründete, heute dennoch wenig bekannt ist, mag daran liegen, dass er sich ab 1919 zunehmend aus dem Ausstellungsbetrieb zurückzog. Aufgearbeitet wird sein Werk jedenfalls erst seit einigen Jahren, und dies vor allem in seiner Heimatstadt Linz, wie Belvedere-Chefin Stella Rollig erzählt. Ehemals Direktorin des Lentos, lädt sie nun auch in Wien zur "Wiederentdeckung eines großen Zeichners".

Liebe zum Detail

Die Schau bildet quasi einen ergänzenden Schwerpunkt zur Ausstellung Klimt ist nicht das Ende, die sich mit der Kunst im Europa der Zwischenkriegszeit befasst: Die Fantastik griff der junge Brosch auf, wenn er etwa ein Krokodil auf einer Mondscheibe (1912) zeichnete, aber auch die Neue Sachlichkeit deutet sich hier an.

Mit einer ungemeinen Liebe zum Detail – respektive jener Fähigkeit zur Kontemplation, die man später auch am Einsiedler im Schnee bestaunen wird – fesseln dabei insbesondere Naturstudien im ersten Raum: In sämtlichen Details hielt Brosch auf dem symbolistischen Bild Der fragmentarische Krebs (1911) die Struktur eines Korallenstrandes fest; jeden Grashalm, jeden Ast befühlt der Blick in Walddarstellungen.

Düsterkeit, Abgründe, Ungeheuer

Konterkariert werden solche entschleunigten, zum Versinken einladenden Bilder von einer Düsterkeit, die bei Brosch oft mitschwingt, doch vor allem im Spätwerk zur Entfaltung kommt. Gähnende Abgründe, bedrohliche Architekturen, bisweilen Ungeheuer prägen jene fast monolithisch aufragenden Tuschpinselzeichnungen, die Brosch ab 1920 schuf. Immer wieder tauchen halsbrecherische Stiegen auf, seien es jene eines griechischen Theaters in einem Bild, das sich Schillers Ballade Die Kraniche des Ibykus annimmt; oder sei es in einem sich auf die Bibel beziehenden Bild namens Christus vertreibt die Schächer aus dem Tempel (1922).

Von Broschs Versuch, die Sucht zu überwinden, sich zu resozialisieren, zeugen etwa technische Zeichnungen die der Künstler im Zusammenhang mit einem Kraftwerksbau schuf. Zugleich taucht eine ganz ähnliche Architektur aber viel eher in ihrer bedrohlichen Form auf, etwa im Bild Der Schimmelreiter (1922). Es zeigt einen Reiter, der in einer stürmischen Meeresszenerie eine Mole entlangsprengt, die vom Meer im nächsten Augenblick hinweggerissen zu werden droht. (Roman Gerold, 27.3.2018)