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Vor dem Einkaufszentrum werden Kerzen aufgestellt.

Foto: AP/Sergei Gavrilenko

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Das Einkaufszentrum von oben.

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Mindestens 64 Menschen sind bei einem Großbrand in Sibirien ums Leben gekommen. Unter den Opfern sind viele Kinder. Der erste Feueralarm ging bereits am Sonntag zur Moskauer Mittagszeit bei den Behörden ein, doch das Ausmaß der Katastrophe wurde erst am Montag ersichtlich, nachdem es der Feuerwehr endlich gelang, die Flammen – vorläufig – einzudämmen.

Über den Auslöser des Brands im Einkaufszentrum Winterkirsche in der sibirischen Großstadt Kemerowo wird derzeit noch wild spekuliert: So sucht die Polizei nach Jugendlichen, die laut einem Augenzeugenbericht Schaumstoffwürfel in der Nähe des Trampolins angezündet haben. Die Glaubwürdigkeit des Augenzeugens ist unklar, er soll dem Management des Einkaufszentrums nahestehen. Als gesichert gilt, dass das Feuer zuerst in der Kinderabteilung der viergeschoßigen Mall ausgebrochen ist.

Das 23.000 Quadratmeter große Einkaufs- und Vergnügungszentrum wurde vor neun Jahren eröffnet und beinhaltete ein unterirdisches Parkhaus, dutzende Geschäfte, mehrere Kinosäle und Cafés. Zum Zeitpunkt des Unglücks waren mehrere Hundert Menschen im Gebäude.

"Vorläufige" Version

Der Vizegouverneur der Region Kemerowo Wladimir Tschernow nannte die Version, dass Jugendliche mit einem Feuerzeug gekokelt haben, "vorläufig". "Der Brand fing mit dem Schaumstoff an, genauer gesagt im Bassin des Trampolins, das sich so schnell wie Schwarzpulver entzündete", sagte er. Fragen haben die Sicherheitsorgane aber auch an die Leitung des Geschäfts. Vier Personen wurden inzwischen festgenommen, darunter die Generaldirektorin der Betreibergesellschaft Winterkirsche Kemerowo und der Pächter der Spielabteilung.

Die Behörden werfen den Managern massive Verstöße gegen die Sicherheitsvorschriften vor. So seien die "Notausgänge im Einkaufszentrum blockiert gewesen", heißt es in einer Mitteilung des Ermittlungskomitees. Zudem untersuchen die Behörden, ob der Feueralarm ausgeschaltet wurde. Entsprechende Vorwürfe wurden gegen einen fünften Verdächtigen, einen Wachmann des Geschäfts, erhoben. Nach inoffiziellen Informationen war der Mann, der zugleich als Feuerschutzbeauftragter diente, ungenügend für den Job qualifiziert und lediglich als Koch ausgebildet.

Nachbargebäude evakuiert

Die Feuerwehr hatte stundenlang mit den Flammen zu kämpfen. Die Temperatur im Inneren des Gebäudes erreichte rund 1.000 Grad. Als am Montag die Feuerwehrleute bereits mit den Aufräumarbeiten der Trümmer beginnen wollten, begannen die schwelenden Überreste sich erneut zu entzünden. Die Feuerwehr musste daher den Rückzug antreten und die Löscharbeiten wiederaufnehmen. Zudem wurden am Nachmittag wegen der Gefahr eines Übergreifens der Flammen auch die Nachbargebäude evakuiert.

Regionale Medien berichten, dass der Katastrophenschutz schon seit geraumer Zeit Beanstandungen bezüglich der Winterkirsche hatte. Doch sei es den Spezialisten nicht gelungen, das Management zur Mängelbehebung zu bewegen, die Führung des Zentrums habe eine Zusammenarbeit mit dem Katastrophenschutz abgelehnt, als dieser vorschlug, das Gebäude selbst mithilfe von Videokameras zu überwachen, so das Portal VSE42.ru.

Eigenmächtigkeit unwahrscheinlich

Angesichts der Allmacht der Kontrollorgane in Russland erscheint eine solche Eigenmächtigkeit ohne entsprechende Rückendeckung hochrangiger Beamter unwahrscheinlich. Dementsprechend dürfte es auch Untersuchungen gegen die Regionalverwaltung geben. Es gilt als wahrscheinlich, dass der Brand den Rücktritt von Langzeitgouverneur Aman Tulejew beschleunigt. Der 74-Jährige regiert die Kohlebergbauregion seit über 20 Jahren, hatte zuletzt aber wegen gesundheitlicher Probleme schon die operative Kontrolle in der Region zeitweise übergeben müssen. Eins der Opfer, ein elfjähriges Mädchen, ist eine Verwandte Tulejews.

Begännen nun landesweit "ernsthafte" Kontrollen der großen Einkaufszentren, würden ähnliche Verstöße bei fast allen festgestellt, meinte der bekannte russische Anwalt Dmitri Agranowski. "Treppen und Notausgänge sind zugestellt, damit keine Diebe reinkommen oder Leute in den Saal gelangen, die keine Tickets gekauft haben. Das Geld ist wichtiger als die Sicherheit", klagte er.

Erinnerungen an 2009

Tatsächlich ist es nicht die erste Katastrophe in Russland, die auf massive Verletzungen der Feuerschutzbestimmungen zurückzuführen ist: Die im Hinblick auf die Opferzahlen größte Tragödie ereignete sich 2009 in Perm: Bei einer Feuerwerksshow im Nachtclub Lahmes Pferd kam es zu einem Brand, dem insgesamt 159 Personen zum Opfer fielen. Später stellte sich heraus, dass die Räumlichkeiten weder für eine solche Show ausgelegt (die Decke erzeugte beim Brand extrem giftige Gase) noch die Notausgänge frei waren.

Gerade Altersheime und Kliniken waren in der jüngeren Vergangenheit immer wieder betroffen: 2007 starben bei zwei Bränden im Altersheim einmal 63 Personen in der südrussischen Region Krasnodar und einmal 32 Personen im Gebiet Tula. 2013 kamen 38 Menschen bei einem Brand in einer Nervenheilanstalt im Gebiet Nowgorod ums Leben, sieben Jahre zuvor waren es 46 bei einem Brand einer Klinik für Drogenabhängige in Moskau. Aber auch in Einkaufszentren hat es bereits öfter gebrannt, zuletzt starben bei einem Brand in einer Mall im tatarischen Kasan 2015 19 Menschen, weitere 61 wurden verletzt. (André Ballin aus Moskau, 26.3.2018)