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Eine 2012 erschienene Studie behauptete, der Konsum von gentechnisch verändertem Mais fördere Krebserkrankungen. Als das Paper wegen schwerer Mängel zurückgezogen wurde, war der Schaden schon groß.

Foto: Reuters/Stephane Mahe

Irrtümer gibt es in der Wissenschaft immer wieder. Diese Irrtümer zu bemerken ist manchmal schwierig. Der richtige Umgang damit noch viel schwieriger – besonders dann, wenn es sich um ein ideologisch aufgeladenes Thema handelt.

Im Jahr 2012 veröffentlichten der französische Molekurbiologe Gilles-Éric Séralini und seine Kollegen eine Studie mit dem Titel "Long-term toxicity of a Roundup herbicide and a Roundup-tolerant genetically modified maize". Darin untersuchten sie die Auswirkungen, die der Verzehr von gentechnisch modifiziertem Mais beziehungsweise des Herbizids "Roundup" auf die Gesundheit von Ratten hat. Die Ergebnisse waren dramatisch – legten zumindest die Medienberichte über die Studie nahe.

Reißerische Berichte

"Höheres Krebsrisiko durch Genmais" fasste beispielsweise die Nachrichtensendung "ZDF heute" den Befund zusammen. "Krebs durch Genmais" konnte man in der "Taz" lesen, und "Genmais macht Krebs" titelte der "Berliner Kurier". Ähnliche Schlagzeilen fanden sich auch in den meisten anderen Medien, und die Öffentlichkeit konnte kaum anders, als den Eindruck erhalten, dass Wissenschafter nun tatsächlich das nachweisen konnten, vor dem immer schon so viele Menschen Angst hatten: Gentechnisch modifizierte Lebensmittel sind gesundheitsschädlich. Und nicht nur das – sie verursachen sogar Krebs.

Es gab allerdings sehr schnell Kritik an der Studie. Wissenschafter aus aller Welt wiesen auf gravierende methodische Mängel der Arbeit hin. Bei den für die Studie verwendeten Ratten handelte es sich um einen Stamm, bei dem schon lange bekannt war, dass er – auch ganz ohne spezielle äußere Einflüsse – zu Krebserkrankungen neigt. Das Risiko einer spontanen Tumorentwicklung lag bei 45 Prozent. Zusätzlich betrug die Dauer der Studie zwei Jahre; die normale Lebenserwartung dieser Ratten lag bei zwei bis drei Jahren.

Es war also zu erwarten, dass einige der Ratten während der Studie auf natürlichem Weg sterben beziehungsweise Tumoren entwickeln. Um trotzdem statistisch aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten, hätte man sehr viele Ratten verwenden müssen. Mindestens 20 Ratten pro Gruppe wären nötig gewesen; Séralini und seine Kollegen verwendeten aber nur zehn.

Intransparente Daten

Dazu kam eine statistisch verwirrende und teilweise widersprüchliche Auswertung der Daten, die in der veröffentlichten Studie auch nicht komplett offengelegt wurden. Anderen Forschern war es daher auch nicht möglich, die Ergebnisse von Séralinis Studie nachzuvollziehen. Die Daten, die veröffentlicht wurden, ergaben ein unklares Bild. Manche Ratten der Gruppe, die mit genmodifiziertem Mais beziehungsweise dem mit Roundup versetzten Trinkwasser gefüttert wurde, entwickelten mehr Tumoren als jene in der Kontrollgruppe. Manchmal war es aber auch genau umgekehrt. Kurz gesagt: Die Mehrheit der Wissenschafter war sich einig, dass die von Séralini und seinen Kollegen erhobenen Daten nicht geeignet sind, um daraus irgendwelche allgemeinen Schlussfolgerungen abzuleiten.

Im Jahr 2013 zog dann auch die Fachzeitschrift "Food and Chemical Toxicology", in der die Studie veröffentlicht worden war, die Arbeit zurück. Die Daten wären nicht beweiskräftig genug, um die Standards der Zeitschrift zu erfüllen, und man entschuldigte sich dafür, das nicht schon im Begutachtungsprozess gemerkt zu haben.

Gefährliche Vorgangsweise

Bis hierher wäre die Geschichte von Séralinis Studie eigentlich keine besonders außergewöhnliche Episode in der Wissenschaft. Es kommt immer wieder einmal vor, dass Forscher mehr aus ihren Daten herauslesen, als eigentlich in ihnen steckt. Nicht alle solcher Fehler werden schon im Begutachtungsprozess entdeckt. Und wenn sie dann später doch aufgedeckt werden, wird die Arbeit – so wie in diesem Fall – eben zurückgezogen.

Die Studie von Séralini und seinen Kollegen war aber keine normale Studie. Sie behandelte ein höchst kontroverses Thema. Die von ihnen veröffentlichten Ergebnisse bestätigten (scheinbar) die Ängste einer breiten Öffentlichkeit und boten Material für aufsehenerregende Schlagzeilen in den Medien. Sie hatten auch das Potenzial für politische Folgen, was zum Beispiel die Zulassung von gentechnisch modifizierten Lebensmitteln betrifft. In so einem Fall sollte man eigentlich erwarten, dass Wissenschafter besonders sorgfältig sind, bevor sie ihre Ergebnisse veröffentlichen, um die – zu erwartende – Kritik im Vorhinein zu entkräften. Genau das haben Séralini und seine Kollegen aber nicht getan. Nicht nur haben sie einen Großteil ihrer Daten nicht publiziert, sondern Journalisten sogar explizit untersagt, vor der Veröffentlichung der Studie die Meinung unabhängiger Experten einzuholen.

Verlorene Vernunft

Am Ende bleibt hier nicht nur der Eindruck von schlechter wissenschaftlicher Praxis, sondern auch jede Menge Verwirrung in der Öffentlichkeit. Trotz ihrer mangelnden Aussagekraft wird Séralinis Studie von diversen Lobbyorganisationen immer noch als Beleg für die Schädlichkeit der Gentechnik angeführt. Kritikern der Studie wird vorgeworfen, sie wären von Firmen wie Monsanto gekauft worden, während die Kritiker selbst wiederum Séralini beschuldigen, Interessenkonflikte zu haben, weil er selbst Beziehungen zu Anti-Gentechnik-Organisationen unterhält.

Diese ganze Schlammschlacht verdeckt den Blick auf die wissenschaftliche Realität. Und die besagt in diesem Fall: Séralinis Studie ist nicht dazu geeignet, irgendwelche vernünftigen Aussagen über die Gefahren von Gentechnik zu treffen. Man kann und soll sie nicht verwenden, um Angst vor gentechnisch modifizierten Lebensmitteln zu schüren; genauso wenig, wie ihre methodischen Mängel ein Beleg für die Unschädlichkeit der Gentechnik sind. Die Studie sollte schlicht und einfach ignoriert werden.

Aus wissenschaftlichen Irrtümern kann man viel lernen. In diesem Fall lautet die Lektion: Je kontroverser und heftiger ein Thema in der Öffentlichkeit diskutiert wird, desto sorgfältiger müssen Wissenschafter (und Medien) mit den Daten umgehen. Denn wenn alles erst einmal veröffentlicht ist, dann ist in so einer ideologisch aufgeladenen Situation wie in diesem Fall ein vernünftiger Umgang mit Fehlern kaum mehr möglich. (Florian Freistetter, 27.3.2018)