Tal M. Klein: "Der Zwillingseffekt"
Klappenbroschur, 414 Seiten, € 15,50, Heyne 2018 (Original: "The Punch Escrow", 2017)
Die gute alte Teleportation! Bei dem Thema denkt man unwillkürlich an Larry Niven und Harry Harrison, an "Star Trek" und "Perry Rhodan" ... und steckt damit mitten in den 1960er Jahren, kein Wunder, wenn einem ganz nostalgisch zumute wird. Nostalgie war übrigens auch ein klares Kalkül des Autors von "Der Zwillingseffekt", dem in Israel geborenen US-Amerikaner Tal M. Klein, der mit diesem Roman ein überaus erfolgreiches Debüt hinlegte. Stellen wir uns also auf Verweise auf die Popkultur des 20. Jahrhunderts ein, mögen sie vom Handlungshintergrund her manchmal auch schwer zu begründen sein.
Wir schreiben das Jahr 2147 und die Welt ist ein recht komfortabler Platz geworden. Es wimmelt nur so von Errungenschaften aus Quanten-, Nano- und Gentechnologie, ohne dass sich diese Zukunftswelt grundlegend anders anfühlen würde als eine Mitte des 20. Jahrhunderts ersonnene. Vielleicht mit einer Ausnahme: Nach dem Grauen des Letzten Krieges sind Staatsregierungen weitgehend abgemeldet, die Macht liegt ganz in den Händen von Konzernen. Einer der größten ist International Transport (IT), der das Monopol auf Teleportation innehat: das weltweit beliebteste Verkehrsmittel dieser Zeit.
Figuren und Plot
Hauptfigur und Ich-Erzähler des Romans ist der New Yorker Joel Byram. Ein Durchschnittstyp, der gelegentlich als Salter arbeitet, soll heißen: Er bringt Künstlichen Intelligenzen bei, um die Ecke zu denken, damit sie sich weiterentwickeln können. De facto bedeutet das im Wesentlichen, dass er ihnen Wortspiele und Witze erzählt. Seine Frau Sylvia arbeitet in der Entwicklungsabteilung von IT, wo sie deutlich mehr verdient. She brings home the bacon, wie das auf Englisch so schön heißt. Zum Ausgleich will Joel mit ihr am 10. Hochzeitstag nach Costa Rica teleportieren.
Just in dem Moment, als er den Sprung vollziehen soll, wird das örtliche Teleportationszentrum jedoch durch ein Selbstmordattentat in die Luft gesprengt. Für einen entscheidenden Moment befindet sich Joel also in der Situation von Schrödingers Katze – und anschließend gibt es ihn doppelt (die Erlebnisse seines "Alter Egos" Joel2 werden dann übrigens in 3. Person alternierend mit dem Haupthandlungsfaden erzählt).
Unversehens rückt der unscheinbare Joel damit in den Fokus ganz unterschiedlicher Interessen. Eine religiöse Splittergruppe ist bald ebenso hinter ihm her wie ein ausländischer Geheimdienst und natürlich International Transport selbst: Die haben ihm das Angebot gemacht, sich freiwillig selbst zu entleiben, da es ihn ja nicht zweimal geben darf. Wenig überraschend beschloss Joel, lieber auszubüxen ... und nun überlegt er auf der Flucht vor seinen diversen Verfolgern fieberhaft, wie er die "Dreiecksbeziehung" mit Sylvia und Joel2 bereinigen soll.
Kennt man alles irgendwie schon
Das ethische Dilemma, vor dem Kleins Hauptfigur hier steht, ist identisch mit dem der Teleportationsreisenden in James Patrick Kellys Erzählung "Think Like a Dinosaur" aus dem Jahr 1995. Und wenn "Der Zwillingseffekt" verfilmt wird (Projekt soll bereits angelaufen sein), werden Drehbuchautoren und Regisseur alle Hände voll zu tun haben, dass das Ganze nicht wie ein Plagiat des Schwarzenegger-Vehikels "The 6th Day" rüberkommt. Ok, hier Klone, dort Teleport-Zwillinge – aber im Grunde der gleiche Plot.
Schon früh wird angedeutet, dass die Teleportation vielleicht nicht so funktioniert, wie IT das der Welt weismachen möchte. Wenn die Konzernbosse Joel die Wahrheit eröffnen, dürfte aber kein SF-Fan wirklich überrascht sein. Immerhin: Klein hat sich das nicht als finalen "Schock" aufgespart, sondern verrät es uns einigermaßen früh. Die einzige wirkliche Überraschung ist der Schluss des Romans – die unerwartete Wendung könnte aber auch einfach nur ein Sequel vorbereiten. (Kurz Kleins Blog besucht: Yep, es sollen zwei weitere Romane folgen.)
Unterhaltsam, aber ...
Von Anfang an schlägt Klein einen munteren Ton an. So beispielsweise wird gleich auf der ersten Seite ein Sonnensturm beschrieben: Man kann es sich wie einen platzenden Pickel auf der Stirn der Sonne vorstellen, nur dass der Pickel etwa die Größe der Venus hatte und der austretende Eiter eine elektromagnetische Gülleflut war. Gut, das ist ein ziemlich krasser visueller Vergleich, aber jetzt ist er in Ihrem Kopf drin und aus meinem raus.
In der zweiten Romanhälfte, wenn die Action am Rollen ist, wird Klein der Witz langsam ausgehen – ebenso wie (glücklicherweise!) ein zweites Stilmittel, das in den vorderen Romanteilen im Übermaß eingesetzt wird: Fußnoten zur Erklärung technischer Hintergründe. Die sind sehr eng gedruckt und sehr lang – in Extremfällen länger als der Text darüber, was ich schon bei Sachbüchern unmöglich finde und hier immer wieder den Lesefluss stört. Außer man blendet sie einfach aus. (Eine endet selbstironischerweise mit: Sind Sie immer noch wach, nachdem Sie das gelesen haben? Dann gibt's dafür einen Orden.) Wozu Klein die überhaupt verwendet, ist unklar, schließlich setzt er auch im Fließtext jede Menge Infodumps und Exkurse – zum Beispiel einen ziemlich originellen über die Verbindung von Quantenphysik und Big Macs.
"Der Zwillingseffekt" ist unterhaltsam, aber auch eines von diesen Büchern, bei denen man sich ständig angezwinkert und scherzhaft in die Seite geknufft fühlt. Dazu gehört auch das Kokettieren mit der Nostalgie: Joel und Sylvia unterhalten sich gerne wie die Nerds der "Big Bang Theory" über "Star Trek" und Co (zur Handlungszeit alles fast 200 Jahre alt), und Joel steht aus irgendwelchen Gründen auf die vom Rest der Welt längst vergessene Musik der New Wave. Oder na schön, aus einem Grund: Es war die Musik von Tal M. Kleins Jugend. Das soll wohlig-wehmütige Erinnerungen der Leser wecken, wirkt vor dem Hintergrund der Romanwelt aber aufgesetzt. Und auch das alles kennen wir bereits von einem anderen supersmart agierenden Autor – nämlich von Ernest Cline und dessen "Ready Player One".
Letzte Worte
Ich kann "Der Zwillingseffekt" empfehlen, weil ich weiß, dass er vielen Lesern großen Spaß machen wird – auch wenn ich selbst nicht dazugehöre. Fluch und Segen des Romans hat einer der Filmbosse von Warner perfekt auf den Punkt gebracht: "The next Ready Player One".