Ein schönes Tier: Dieser Wolf lebt in Gefangenschaft im Wolfforschungszentrum Ernstbrunn.

Foto: APA/AFP/JOE KLAMAR

Wir töten Wölfe. Noch nicht, aber wohl bald. Wir sind zivilisiert und kultiviert. Ein Widerspruch? Im Gegenteil. Weil und seit wir zivilisiert sind und Wildtiere und -pflanzen kultivieren, töten wir Wölfe mit besonderem Engagement. Der Hass auf den Wolf wurde Viehzüchterkulturen in die Wiege gelegt: Mit der Domestizierung wurden Wildschafe unser Eigentum, und der Wolf war kein Mitjäger, kein jagdliches Totem mehr, sondern ein Dieb, den wir mit Inbrunst verfolgten. Je zivilisierter, umso effizienter: Ende des 19. Jahrhunderts war Mitteleuropa wolffrei. Bis jetzt. Alm- und Weidebauern wollen den Wolf naturgemäß nicht zurück.

Auch Blitze, Steinschlag oder extreme Witterung töten, aber den Wolf kann oder könnte man daran hindern. Traditionelle Herdenschutzhunde und Hirten sind teuer, weil personal- und zeitaufwendig. Vor allem im Almgebiet. In Österreich ist das etwa ein Fünftel der Landesfläche, davon sind 3300 Quadratkilometer produktive Futterflächen, immerhin eine Fläche deutlich größer als Vorarlberg. Darauf weiden fast eine halbe Million Rinder, Schafe, Ziegen und Pferde in Herden von durchschnittlich 25 Tieren.

Je kleiner die Herde, umso schwerer wiegt jeder Verlust. Um nur ein Viertel von ihnen zu schützen, bräuchten wir 5000 Hirten und Schutzhunde. Selbst wenn wir diese zur Verfügung hätten und in Zeiten allgemeiner Sparmaßnahmen auch finanzieren könnten: Kein Einbruchs- und Diebstahlschutz funktioniert hundertprozentig. Je aufwendiger der Schutz, umso entwürdigender ist es, wenn der Einbrecher Erfolg hat. Aus Erbitterung wird Hass: Keine andere Tierart, von Mitmenschen abgesehen, haben Menschen im Lauf der Geschichte vorsätzlich so grausam und qualvoll getötet wie den schlauen Wolf.

Da absehbar ist, dass Wölfe kommen werden und Bauernvertreter wolffreie Alpen fordern, sie aber legal nicht bekommen werden, könnten manche Alm- und Weidebauern zum probaten Mittel ihrer Vorfahren greifen, um diesen Viehdieb loszuwerden: Strychnin. Keine noch so hohe Strafandrohung wird die illegale, oft Qualen bereitende Tötung von Wölfen verhindern, sondern allenfalls die Auflassung von Almen provozieren. Es ist die Aufgabe der Gesellschaft, beides zu verhindern, für Aufklärung und Verhütungsmaßnahmen zu sorgen, aber auch die "letale Entnahme" durch Fachleute als legale Notlösung zu ermöglichen.

Unbändiger Hass

Wozu? Werden gezielte Abschüsse in den Almgebieten, dort, wo es (noch) keine Herdenschutzmaßnahmen gibt, die Übergriffe von Wölfen verringern? Wir wissen es nicht. Doch sie könnten Viehhalter vom Ohnmachtsgefühl befreien, das so rasch in unbändigen Hass umschlägt. Es sollte nicht notwendig sein, dass sie Wölfe zur Gefahr für Menschen verfälschen, nur um gesellschaftlichen Rückhalt zu bekommen. In einer Viehzüchterkultur, die wir immer noch sind (98 Prozent von uns konsumieren Produkte der Viehzucht, nur etwa zwei Prozent leben vegan), lässt sich die alte Feindschaft schnell wiedererwecken: mit Bildern halb aufgefressener, blutiger Schafkadaver und dem absurd skurrilen Vorwurf, dass der Wolf seine Beute "nicht tierschutzgerecht" töte.

Eine emotionale Stimmung, die auch jene Jäger gerne schüren, die den Wolf genauso sehen wie die Viehhalter, liegen doch viele der besten Hirschjagdgebiete nicht nur örtlich, sondern auch weltanschaulich in unmittelbarer Nähe der viehbewirtschafteten Almen. Denn der Schwerpunkt der Jagdkultur liegt seit etwa hundert Jahren weniger auf der Kultivierung jagdlicher Umgangsformen, sondern auf dem Anlegen von Wildkulturen im Wald.

Weitblickende Grundbesitzer, die "einen gesunden, vitalen Wald an die nächste Generation weitergeben" und seine Nutz-, Schutz-, Erholungs- und Wohlfahrtsfunktion (etwa jene von Quellschutzwäldern) erhalten wollen, haben sich von dieser züchterischen Denkweise bereits verabschiedet. Denn aufgrund des jagdlich kultivierten Wildreichtums leiden rund zwei Drittel unserer Wälder an einer klassischen Zivilisationskrankheit: Übergewicht. Schalenwildübergewicht. Zu viel Wild frisst zu viele Keimlinge. So fehlen den Wäldern die Verjüngung und die Baumartenvielfalt, die sie aufgrund des Klimawandels mehr denn je benötigen. Deshalb müssen Waldbauern Jungbäume setzen und diese Forstkulturen (auch der Wald ist kultiviert!) mechanisch und chemisch schützen, en gros und en détail einzäunen, sie verstänkern, kalken, streichen, spritzen. Aber selbst diese Schutzmaßnahmen helfen nur bedingt.

Der Wald braucht nicht noch mehr Kultur, sondern den unkultivierten Wolf als zusätzlichen, vor allem aber anders jagenden Jäger. Denn der Mensch ist dem Hirsch kein Wolf. Dem Reh, der Gämse, dem Wildschwein nicht. Anders als Menschen jagen Wölfe ausschließlich, um sich zu ernähren. Sie jagen effizient, was häufig und einfach zu erwischen ist: neben Vieh vor allem junges, altes, schwaches, krankes Wild.

Gesünderes Wild

Wölfe bedeuten vielleicht etwas weniger, aber gesünderes Wild. Sie werden freilich nicht alle Wald-Wild-Probleme lösen, aber doch etliche, weil sie ein großräumiges und flexibles Denken, Planen und Jagen bedingen. Für ökologisch ausgerichtete Jäger sind Wölfe zudem für die Jagdkultur unverzichtbar, da sie der beginnenden Domestikation von Rotwild entgegenwirken: So wenig Vieh vom Wolf bejagt werden darf, so sehr muss Wild auch vom Wildtier Wolf bejagt werden. (Dass das Rotwild sich aus Angst vor Wölfen im Wald versteckt und Bäume schädigen wird, ist eher Schutzbehauptung mancher Jäger.)

Der Wolf wird auch heuer wieder Schafe töten. Doch so schädlich er auf Almflächen ist, so nützlich ist er im Wald. Er gilt aus gutem Grund in der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie als Tierart "von gemeinschaftlichem Interesse". Vielleicht können legal getötete Wölfe als Sühneopfer überschießende Emotionen und wütende Reaktionen verhindern. Schließlich sind wir zivilisiert und kultiviert – und das bedeutet auch, dass wir im Interesse der Gemeinschaft unterschiedliche Ansprüche aufeinander abstimmen können. (Karoline Schmidt, 27.3.2018)