Bundeskanzler Sebastian Kurz (li.), damals Außenminister, und der russische Topdiplomat Sergei Lawrow am Dienstag, 11. Juli 2017, im Rahmen eines informellen OSZE-Außenministertreffens in Mauerbach.

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Die Vertreter der russischen Botschaft in Wien müssen keine Ausweisung befürchten.

Foto: Russische Botschaft Wien

Es mag ja gute Gründe geben, sich nicht der großen Mehrheit der EU-Staaten anzuschließen, die wegen des Giftanschlags von Salisbury russische Diplomaten ausweisen. Alle Gesprächskanäle mit Moskau offen halten zu wollen, wie dies Bundeskanzler Sebastian Kurz und Außenministerin Karin Kneissl betonen, mag zwar einer sein – doch sie müssen sich die Frage gefallen lassen, wo die Grenze für Sanktionen denn liegt, wenn sie mit einem Verdacht auf einen Anschlag auf mehrere Personen in Mordabsicht auf EU-Territorium noch nicht erreicht ist. Die Haltung Wiens ist umso unverständlicher, als Kurz erst vor wenigen Tagen beim EU-Gipfel mitmachte, als man Russland einstimmig der wahrscheinlichen Urheberschaft des Anschlags bezichtigte.

Sieht so stringente Außenpolitik aus? Wohl kaum. Sich zudem auf die Neutralität Österreichs zu berufen ist definitiv kein gutes Argument. Auch das neutrale Finnland, das mit Russland eine schwierige Geschichte und eine hunderte Kilometer lange Grenze teilt, macht mit bei den Ausweisungen. Das Neutralitätsargument kann nicht überzeugen, es wirkt bestenfalls populistisch.

Kurz scheint in dieser Sache nichts anderes übrigzubleiben, als dem Druck, der vom kleinen Regierungspartner kommt, nachzugeben. Die FPÖ pflegt mit der Kreml-Partei Einiges Russland enge Freundschaft und hat diese 2016 sogar vertraglich fixiert. Würde der Kanzler bei den diplomatischen Sanktionen mitmachen, gäbe es einen Aufstand in der türkis-blauen Regierung – und womöglich ihr frühes Ende. Also: wie gut, dass es die immerwährende Neutralität gibt.

Einigkeit auch beim Thema Türkei

Auch beim Thema Türkei scheint kein Löschblatt zwischen den Bundeskanzler und den Koalitionspartner zu passen. Nur Stunden vor einem mit Spannung erwarteten heiklen Treffen der EU-Spitze mit dem türkischen Präsidenten – bei dem es um das Ausloten von Möglichkeiten ging, das momentan sehr schlechte Verhältnis wieder einigermaßen zu reparieren – schoss Kurz ganz im Sinne der FPÖ mit einem Interview in einer deutschen Zeitung dazwischen. Seine Forderung: die formale Beendigung der EU-Beitrittsgespräche.

Damit tat Kurz genau das Gegenteil dessen, was er bei Russland fordert: nämlich alle Gesprächskanäle offen zu halten. Das schwächt die ohnehin schon mit Problemen kämpfende EU weiter – und das allein schon kann Tayyip Erdogan als Etappensieg nach Ankara mitnehmen. Kein guter Schachzug von Kurz, das machte auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker mit ziemlich deutlicher Kritik Richtung Wien deutlich.

Autonomieregelung Südtirols

Und auch mit der Idee der Doppelstaatsbürgerschaft für die deutsch- und ladinischsprachigen (nicht aber für die italienischsprachigen) Südtiroler gibt der Bundeskanzler seinem Juniorpartner FPÖ das Heft in die Hand – obwohl er damit de facto die weltweit als vorbildlich angesehene Autonomieregelung infrage stellt, seine Freunde von der Südtiroler Volkspartei in realpolitische Bedrängnis bringt und darüber hinaus die exzellenten Beziehungen Wiens mit Rom aufs Spiel setzt. Kann Kurz das wollen?

In nur drei Monaten beginnt Österreichs EU-Ratspräsidentschaft. Das Ausmaß, wie stark sich diese Regierung bereits europaweit isoliert hat und wie wenig durchdacht ihre außenpolitische Agenda wirkt, lässt Skepsis aufkommen, dass sie diesen Job – nur wenige Monate vor Brexit und Europawahl – glaubwürdig und mit Bravour wird meistern können. (Gianluca Wallisch, 27.3.2018)