Brief von Dr. Freud an Dr. Schnitzler.

Foto: Sigmund Freud Privatstiftung

Wien – Eine Theorie dafür, warum das Fin de Siècle in Wien zu einer derartigen Blüte des Geistes führen konnte, beruht auf der Annahme sich netzwerkartig überschneidender Intellektuellenkreise. Ein solcher Zirkel, der sich ab 1890 im Café Griensteidl traf, war die Literatengruppe Jung Wien. Proklamiert von ihrem Theoretiker Hermann Bahr machten sich Arthur Schnitzler, Felix Salten, Hugo von Hofmannsthal und anfänglich auch Karl Kraus auf, die nervösen Stimmungen ihrer Zeit mithilfe der Introspektion zu beschreiben.

Den Blick in die Seele übte zeitgleich auch eine andere Zusammenkunft: Sigmund Freud, Vater der Psychoanalyse, versammelte in seiner Praxis in der Berggasse 19 Medizinerkollegen, Studenten und Fachfremde zu seiner Psychologischen Mittwochsgesellschaft.

Das Freud-Museum in der Berggasse hat sich als letzte Ausstellung vor einer Generalsanierung im nächsten Jahr vorgenommen, das Verhältnis zwischen den beiden Gruppen unter die Lupe zu nehmen. Parallelaktionen heißt die Schau, denn trotz thematischer Gemeinsamkeiten agierte man mehr neben- als miteinander.

Freud und Jung Wien

Die ausgestellten Objekte – Briefe, Bücher, Fotos von Bühnenbildern, Filme und Tondokumente – wurden in vier Holzkleiderkästen integriert, die zu den einzelnen Biografien passen: Der bürgerliche Arthur Schnitzler, der viel Freud gelesen hatte und dessen Übersetzungen französischer Autoren rezensierte, erhielt etwa einen üppigen Barockschrank; Felix Salten, Autor von Bambi und Josefine Mutzenbacher, den Freud liebevoll verehrte, aufgrund seiner Finanznöte eine Sparvariante. Heute wäre Salten wohl Millionär.

Karl Kraus, der Genius zwischen allen Stühlen, ging bald nicht nur auf Distanz zu Jung Wien, sondern auch zu den Psychoanalytikern. Als in Freuds Umfeld damit begonnen wurde, literarische Texte auf die psychologische Verfassung ihrer Autoren hin abzuklopfen, wertete Kraus das als Übergriff. "Seelenschliaferln", schimpfte er fortan über die Zunft.

Die größte intellektuelle wie biografische Verwandtschaft bestand zwischen den Medizinern Freud und Schnitzler. Annäherung gab es gerade deshalb nur zögerlich. In einem späten Brief an den Kollegen bekennt Freud: "Ich meine, ich habe Sie gemieden aus einer Art Doppelgängerscheu." (Stefan Weiss, 28.3.2018)