Fabiano Caruana fordert Weltmeister Magnus Carlsen.

Berlin – Fabiano Caruana gewinnt – und er gewinnt mit Stil. Als alle anderen Partien in dieser letzten Runde schon den Remishafen erreicht haben, sitzt Caruana immer noch brütend am Brett. Natürlich weiß er, dass ein Remis ihm nun bereits zum Turniersieg reicht. Aber er hat gegen Alexander Grischtschuk ein Endspiel mit Mehrbauer herausgeholt, das er völlig risikolos auf Gewinn spielen kann. Und das tut er gekonnt, bis Grischtschuk schließlich im 69. Zug die Waffen streckt.

Chinesische Mauer

Zuvor hatten seine Konkurrenten in ihren Pressekonferenzen erwartungsgemäß ihre Enttäuschung zu Protokoll gegeben. Shakhriyar Mamedyarov und Sergei Karjakin waren würdige Konkurrenten für Fabiano Caruana, und sie hätten dieses Turnier nur zu gerne doch noch gewonnen. Beide versuchen in der letzten Runde alles in ihrer Macht stehende, um Ungleichgewichte zu schaffen und diese zum vollen Punkt zu nutzen. Aber bei beiden reicht es nicht.

Karjakin prallt an der chinesischen Mauer ab, die bei diesem Turnier überhaupt undurchbrochen bleibt: Als einziger Spieler des Turniers verliert Ding Liren keine einzige seiner 14 Partien. Gegen Karjakin ist er nach einem Bauerneinsteller des Russen im Schlussdurchgang kurzzeitig nahe an seinem zweiten vollen Punkt dran. Aber der Vizeweltmeister reißt sich noch einmal zusammen und hält das Endspiel mit einer präzisen Verteidigungssequenz.

Mamedyarov wiederum bedankt sich nach der Partie bei seinem Gegner Wladimir Kramnik: Dieser habe es ihm fairerweise ermöglicht, eine echte Partie und damit Chancen auf drei Ergebnisse aufs Brett zu bekommen. Tatsächlich sieht es zeitweise so aus, als würde Kramnik, der schon in der Eröffnung einen Bauern investiert, ein weiteres Mal überziehen und das Kandidatenturnier damit womöglich entscheidend zu Gunsten seines Gegners beeinflussen. Letztlich hat der Ex-Weltmeister jedoch alles im Griff, die taktisch komplizierte Partie endet in einem ausgeglichenen Endspiel.

Warten auf den Kandidaten

Damit ist die Sache eigentlich gelaufen. Das Auditorium im Kühlhaus Kreuzberg füllt sich, alles wartet auf Magnus Carlsens nächsten Herausforderer. Caruana aber quält seinen Gegner noch eine halbe Stunde lang erfolgreich, dann hat er auch den Sieg in dieser Partie in der Tasche. Mit 9 Punkten aus 13 Partien gewinnt der Italo-Amerikaner das Kandidatenturnier mit einem vollen Punkt Vorsprung auf Shakhriyar Mamedyarov und Sergei Karjakin am Ende deutlich.

Als Caruana schließlich zur Pressekonferenz spaziert, zurückhaltend und fast schüchtern wirkend wie immer, brandet unter Fans wie Journalisten lauter Applaus auf, der mehr als höfliche Anerkennung signalisiert. Spätestens nach seinen Siegen gegen Wladimir Kramnik und Lewon Aronjan war Caruana den meisten als der logische Turniersieger erschienen. Nach seiner Niederlage gegen Sergei Karjakin in Runde 12 war plötzlich das Gespenst einer Neuauflage des Matches Carlsen vs. Karjakin umgegangen und hatte – zumindest außerhalb Russlands – für wenig gute Stimmung gesorgt.

Bobby und Fabiano

"Als ich gegen Sergei verloren habe, war ich ein paar Stunden lang verzweifelt. Aber dann, ich weiß nicht warum, ist das ganze Gewicht von mir abgefallen", sagt Caruana in der abschließenden Pressekonferenz. "Mein Spiel hatte plötzlich nicht mehr diese Schwere, die mich in den Runden zuvor gelähmt hatte." Wie seine Strategie für die allerletzte Runde ausgesehen habe? "Ich wollte nichts zu Verrücktes spielen, denn das hätte leicht schiefgehen können. Unter Spitzenspielern ist ein Remis ein normales Ergebnis. Ich wollte also einfach normal spielen und hoffen, dass meine beiden Verfolger nicht gewinnen. Und wenn doch – was kann ich schon tun?"

Der 1992 in Miami geborene und in Brooklyn aufgewachsene Fabiano Caruana ist italienisch-US-amerikanischer Doppelstaatsbürger, spielt nach einem Intermezzo für den italienischen Schachverband seit 2015 aber wieder unter US-amerikanischer Flagge. Seit Robert James Fischers legendärem Sieg über Boris Spasski 1972 in Reykjavík ist Caruana damit der erste Amerikaner, der in einem WM-Finale die Chance erhalten wird, den höchsten Titel im Schach zu gewinnen: Von 9. Bis 28. November 2018 wird Caruana in London Gelegenheit bekommen, Magnus Carlsen in einem Wettkampf über zwölf klassische Partien zu fordern. Es steht zu hoffen, dass sein Aufstieg die öffentliche Aufmerksamkeit für das Spiel in seinen beiden Heimatländern weiter vergrößert – auch wenn die in Berlin anwesenden Kollegen von der italienischen Presse schildern, dass sich Caruanas Popularität nach seinem Wechsel in den US-amerikanischen Verband in Italien vorerst in engen Grenzen halte.

Traditionsbruch

Während es in der modernen Ära des Spiels keinen italienischen WM-Kandidaten gab, steht Caruana in den USA nicht nur in der Tradition Bobby Fischers, sondern, ein wenig weiter zurückgreifend, auch in der des Wunderkindes Paul Morphy. In einem Punkt, erklärt Caruana, hat er jedoch nicht vor, dem Vorbild Morphys und Fischers zu folgen: "Ich verspreche, dass ich mit dem Schach nach dem Wettkampf gegen Magnus nicht aufhören werde – egal wie es ausgeht", sagt ein gelöst wirkender Caruana zum Abschluss lachend, bevor er in den Gängen des Kreuzberger Kühlhauses verschwindet. (Anatol Vitouch, 27.3.2018)