Am 16. April 1919 erging ein Aufruf an alle Inhaber von Schrankfächern in Deutschland. Sie sollten doch bitte so gut sein und ihre Bargeldreserven in Umlauf bringen. Bargeld war nämlich knapp nach dem Ersten Weltkrieg, deswegen mussten die, die welches hatten, sich "in den Stahlkammern einfinden". Das klingt jetzt ein bisschen martialischer, als es vielleicht exekutiert wurde, aber man spürt in dieser Verordnung etwas von der grundsätzlichen Spannung, die das Sparen in die Wirtschaft bringt. Das Wort "Schrankfach" wird heute kaum mehr gebraucht, und auch der Safe, die englische Entsprechung, hat an Bedeutung verloren. Heute befinden sich die Verwahranlagen häufig im virtuellen Raum, die Kontoauszüge gehen an Briefkästen mit exotischen Adressen.
Was macht das Sparen mit Menschen und Staaten? Dieser Frage widmet sich die Ausstellung "Sparen. Geschichte einer deutschen Tugend" im Deutschen Historischen Museum Berlin (DHM). Sie könnte sicher auch für österreichische Besucher, die in Berlin einen Osterspaziergang planen oder einen Frühjahrsbesuch, von Interesse sein – denn die Konstellationen sind vergleichbar, und die Regierung Kurz und Strache orientiert sich ja mit ihrem haushälterischen Generalcredo stark an dem mittlerweile ausgeschiedenen deutschen Finanzminister Schäuble. Der war nicht immer in allen Teilen der Welt beliebt: Ein Titelbild des "Economist" zu "The German Problem" steht unter anderem am Eingang zu der Ausstellung.
Zweischneidige Folgen
Das deutsche Problem haben in diesem Fall die anderen. Die Deutschen übertreiben es mit dem Notgroschen. Sie legen so viel zurück, dass ihre Kapitalreserven wie ein Albdruck auf den internationalen Handelsbilanzen liegen. Es wäre besser, sie würden (noch) fröhlicher konsumieren, also ihr Geld in die Kreisläufe pumpen – in Österreich ist die Lage nicht unähnlich. Die Ausstellung im DHM kann man also auch als einen Erklärungsversuch begreifen für eine Einstellung, die als Tugend begriffen werden kann, die aber zweischneidige Folgen hat.
Schon der Begriff Tugend ist im Grunde ein wenig Propaganda. Tugenden sind immer etwas Gutes. Den Deutschen sagt man Pünktlichkeit und Ordnungssinn nach, und eben Sparsamkeit. Was sie heute besorgen könnten, verschieben sie auf übermorgen – wobei das durchaus mit Spannungen verbunden ist, wie man dem Bild "Der Spargroschen" von Wilhelm Leibl aus dem Jahr 1877 entnehmen kann. Der Mann zählt da aus einem kleinen Beutel die eiserne Reserve, die stehende Frau blickt argwöhnisch auf seine Finger – der Begriff Haushaltsgeld wird hier noch einmal tiefer verständlich. Leibls Bild stammt aus einer Ära, die in den Künsten einen bürgerlichen Realismus ausgeprägt hat. Es zeigt, dass es auch in den Familien einen solchen Realismus gab. Er hat Deutschland starkgemacht, bis im Ersten Weltkrieg alles durcheinanderkam und die Schrankfächer nicht mehr sicher waren.
"Sparen ist nicht Geiz"
Die Ausstellung lädt zu einem Durchgang durch die Geschichte ein, und zwar ganz nach der Idealvorstellung von Sparern: Man schreitet ungestört von Raum zu Raum, von Jahr zu Jahr, auch der Nationalsozialismus passt bei diesem Interesse nahezu perfekt in die große Erzählung von einer deutschen Lernbereitschaft ("Sparen ist nicht Geiz"). Allerdings waren es gerade die Nazis, die das Sparen erstmals mit der Konsumkultur verbanden – man sparte "auf" etwas, zum Beispiel einen KdF-Wagen oder eine Reise. Ein nicht geringer Teil der Exponate besteht aus Werbemedien, zu denen auch unterschiedlichste Sparautomaten zählen – nicht nur Schweine nehmen gern Bares.
Am Ausgang gibt es dann eine kleine Volksabstimmung. Die Besucher dürfen hier deklarieren, wo bei ihnen der Groschen hinfällt, wenn sie etwas zurücklegen – Reisen ist hier stark gewichtet, während die Rentenbeiträge anscheinend den Wenigsten als eine Sparform bewusst sind. Eines der letzten Worte hat Peer Steinbrück, der Vorgänger von Wolfgang Schäuble, der 2008 gemeinsam mit Angela Merkel den deutschen Sparern erklärte, dass ihre Einlagen sicher sind. Diese Sicherheit wird seither mit Zinsen bezahlt, die eigentlich für ein Comeback der Schrankfächer sorgen müssten. (Bert Rebhandl, 30.3.2018)
Deutsches Historisches Museum Berlin, bis 26. August, Katalog: 25 Euro
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Wer seine Groschen spart, macht keine Revolution