"Ghost of a Tale"
"Ghost of a Tale"
"Ghost of a Tale"
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"Ghost of a Tale"
"Ghost of a Tale"
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"Ghost of a Tale"
Foto: "Ghost of a Tale"

Lionel Gallat hat noch nie ein Spiel gemacht, und trotzdem gewaltige Berufserfahrung in sein erstes Projekt mitgebracht. Als Animationskünstler hat der gebürtige Franzose in den letzten Jahren in und außerhalb Hollywoods an riesigen Animationsfilmprojekten gearbeitet, vom Minions-Vehikel "Ich, einfach unverbesserlich" über den "Lorax", die er als "Animation Director" entscheidend mitgestaltet hat, bis hin zu diversen Arbeiten an Dreamworks-Filmen wie "Der Prinz von Ägypten" oder "Der Weg nach El Dorado".

Mit "Ghost of a Tale" (Windows, 22,99 Euro; Xbox One in Vorbereitung) hat Gallat sein Animations-Know-how in ein Herzensprojekt eingebracht, das fünf Jahre in Vorbereitung war. Nach einer erfolgreichen Kickstarter-Kampagne und fast zweijähriger Early-Access-Phase ist das eigenwillige Abenteuer mit der umwerfenden Präsentation nun endlich final erschienen. Als Chef eines winzigen Teams von nur vier anderen Mitarbeitern hat Gallat den Löwenanteil seines Debütspiels allein gestemmt.

"Ich liebe Computerspiele. Auch als ich für Filme arbeitete, habe ich immer mit Tools und an der Programmierung gearbeitet. Jetzt habe ich die künstlerische Seite und das Programmieren in einem Projekt vereinen können. Es ist sehr aufregend, endlich den Sprung vom Film zum interaktiven Medium zu machen", so Lionel Gallat in einem schon älteren Interview.

Der tapfere Mausmusikant

Was sofort ins Auge fällt, ist, dass dieser Sprung anscheinend ohne Einbußen in Sachen Präsentationsqualität gelungen ist: "Ghost of a Tale" sieht tatsächlich schöner als so mancher Animationsfilm aus den großen Hollywood-Trickfilmschmieden aus, und das auch in Details, die über das ohnedies stets subjektive Prädikat "gute Grafik" hinausgehen. Das beginnt beim liebevollen Charakterdesign, geht über die unglaublich flüssigen, liebevoll und charakterstark gestalteten Animationen bis hin zum Weltdesign, das in seiner Kompaktheit und Detailverliebtheit seinesgleichen sucht.

Doch zum Anfang: In der Gestalt des Mause-Barden Tilo finden sich Spielerinnen und Spieler zu Beginn von "Ghost of a Tale" in einer Gefängniszelle, bewacht von riesigen, übellaunigen Ratten. Schon der Größenunterschied macht klar: Direkter Kampf ist aussichtslos – stattdessen schleicht sich der fellige Held auf der Suche nach seiner Liebsten im Idealfall unbemerkt durch diese Welt, die sich nach und nach öffnet.

Entdecken die Gegner die Maus, sind schnelle Flucht und Verstecken in diversen Kisten, Fässern und Truhen angesagt; nur hier darf übrigens das Spiel gespeichert werden. Im Verlauf der etwa 15 Stunden Spielzeit findet Tilo allerdings auch Uniformen und andere Verkleidungen, die ihm unter anderem das unbemerkte Herumlaufen vor den mäßig intelligenten Ratten möglich machen.

Tierwelt mit Witz

Wirklich riesig werden die erforschbaren Burggänge und späteren Freiflächen rund um das mittelalterliche Gemäuer nicht, aber dafür hat so gut wie jede Örtlichkeit in der verwinkelten Spielewelt ihren eigenen Charakter und ist architektonisch stimmig verankert – eine Designphilosophie, die man aus den Kultspielen der "Dark Souls"-Reihe kennt. Weil die Orte sich räumlich logisch zusammenfügen, verzichtet "Ghost of a Tale" genau wie die Werke von From Software auf Questmarker oder Minimap, was die Orientierung manchmal zur Herausforderung werden lässt. Auch dass die Aufgaben, die sich dem Maushelden vor allem zu Beginn in fast überwältigender Fülle aufdrängen, nicht bis ins Detail erklärt werden, lässt die Erforschungstouren ins zu Beginn unbekannte Schloss allerdings ein wenig ziellos werden.

Als ultrakompaktes Open-World-Schleichspiel tröstet "Ghost of a Tale" über dieses anfängliche Manko aber mit Charme hinweg. Alle bedeutenderen Nebenfiguren sind liebevoll gestaltet und überraschen in ihren Dialogen mit Witz und Originalität. Man bewegt sich gern durch diese sichtlich liebevoll von Hand gestaltete Welt, die durch einen atmosphärisch spektakulären Tag- und Nachtwechsel noch lebendiger wirkt.

"Ghost of a Tale"-Trailer.
seithcg

Fazit

"Ghost of a Tale" ist schon auf den ersten Blick anzusehen, dass es etwas Besonderes ist: Ein Spiel mit derart hinreißender und charmanter Grafik, in einer von Animation bis Charakterdesign derart brillanten Qualität sieht man selten, umso mehr, wenn es das Werk eines winzigen Entwicklerteams ist. Auch nach stundenlangem Spielen ertappt man sich immer wieder dabei, über eine zuvor nicht aufgefallene Animation des felligen Helden oder der anderen Weltbewohner ins Lächeln zu geraten.

Bei all diesen Schauwerten ist es umso schöner, dass das Spiel auch sonst zu gefallen weiß: Die zentralen Spielmechaniken sind solide und motivierend, die Geschichte ist ebenso charmant wie die sie bevölkernden Figuren und die Erforschung der vorbildlich gestalteten Welt motiviert, bis wir sie wie unsere Westentasche kennen. Schön, dass sich Lionel Gallat seinen Traum vom eigenen Computerspiel erfüllen konnte: "Ghost of a Tale" ist ein außergewöhnliches Spiel geworden. (Rainer Sigl, 05.04.2018)