Wien – Weltweit gefeiert wird dieses Jahr der große US-amerikanische Komponist Leonard "Lenny" Bernstein. Sein 100. Geburtstag am 25. August wirft bereits seit vergangenen September reichlich Licht voraus: Insgesamt sind mehr als 2000 Veranstaltungen auf sechs Kontinenten zum Gedenken an den Schöpfer der West Side Story, aber auch der Symphonie The Age of Anxiety, der Kaddish-Symphonie mit Soli und Chor, des Chorwerks Chichester Psalms oder einer Serenade über Platons Symposion, geplant.

In 933 Kinosälen

Dienstagabend hat das Londoner Royal Opera House als seinen Beitrag zur Würdigung Bernsteins eine getanzte "Bernstein Celebration" live in 933 Kinosäle von 26 Ländern übertragen. Deshalb hieß es auch im UCI Millennium City Leinwand frei für den feinen Spitzentanz. Wer mehr Hochkultur auf Großleinwand sehen will, kann zum Beispiel schon am Mittwoch nächster Woche Anna Netrebko in Verdis Macbeth vom Kinofauteuil aus bewundern – nicht nur in Wien, sondern etwa auch in Linz, Graz, St. Pölten, Baden oder Bruck an der Mur.

Die Londoner Bernstein-Hommage brachte dem Publikum jedenfalls erstklassiges Ballett nahe. Das Royal Ballet zählt zu den renommiertesten Compagnien überhaupt und das Orchester in Covent Garden zu den erlesensten Musikformationen im angloamerikanischen Raum. Zu sehen im ehrwürdigen Haus und den Kinos war eine "Triple Bill" aus Stücken dreier britischer Choreografen der mittleren und jüngeren Generation.

Bild eines Keramikkünstlers

Wayne McGregor (48) – dessen Autobiography Mitte April im Festspielhaus St. Pölten präsentiert wird – zeigte eine Uraufführung mit dem Titel Yugen. Ebenfalls erstmals vor Publikum war Corybantic Games von Christopher Wheeldon (45), der den Wienern bereits durch Fool's Paradise bekannt ist, eine Choreografie im Repertoire des Staatsballetts. Liam Scarletts The Age of Anxiety stammt aus dem Jahr 2014. Zur Erinnerung: Der 31-jährige Künstler wurde im Vorjahr vom Theater an der Wien mit seiner Interpretation der Carmen glanzvoll vorgestellt.

Das Bühnenbild für McGregors Yugen hat der Keramikkünstler und Autor (Der Hase mit den Bernsteinaugen) Edmund de Waal entworfen, der auf Bernsteins Chichester Psalms, die musikalische Grundlage des Stücks, mit hohen, stelenhaften Vitrinen antwortet. Sie seien, sagt de Waal, als individuelle "Sakralräume" gedacht.

McGregor gewinnt aus der zuversichtlichen Stimmung der Musik ein wunderbar fließendes Bewegungsgewebe, und der Royal Opera Chorus unter William Spaulding hat die anspruchsvolle Komposition gut bewältigt.

Der "West Side Story"-Floh

Liam Scarlett hat Bernsteins Symphonie No. 2 für Piano und Orchester von 1949, die auf W. H. Audens Dichtung The Age of Anxiety, dem Pulitzerpreiswerk von 1948, beruht, in ein eher durchschnittliches Erzählballett verwandelt. Bereits 1950 schuf der US-amerikanische Choreograf Jerome Robbins, nachdem er Bernstein den West Side Story-Floh ins Ohr gesetzt hatte, ein Tanzstück zur Musik The Age of Anxiety. Scarlett scheint durch die Uraufführung seiner Version mit dem Royal Ballet dessen Leiter Kevin O'Hare auf die Idee dieser Bernstein-"Triple Bill" gebracht zu haben.

Zu Lennys Serenade (after Plato's Symposium) hat Christopher Wheeldon mit Corybantic Games einen etwas steif strukturierten Edelkitsch fabriziert. Darin kann sich Beatriz Stix-Brunell, Erste Solistin der Londoner Compagnie, als herausragend charismatische Tänzerin beweisen.

Bewiesen ist auch, dass der Großbildtanz im Kino durchaus seine veritablen Reize hat. Vor dem Sommer können Ballettfans übrigens noch die Londoner Aufführungen von Manon (Kenneth McMillan, 3. 5.) und Schwanensee von Liam Scarlett (12. 6.) genießen. (Helmut Ploebst, 28.3.2018)