Abiy Ahmed ist erster Premier Äthiopiens aus der größten Volksgruppe des Landes, den Oromo.

Foto: Foto: AFP / Samuel Gebru

Addis Abeba / Wien – "Land der Widersprüche" ist ein Etikett, das sich Touristenregionen gerne umhängen. Äthiopien gilt bisher nicht als klassisches Touristenziel, trotzdem passt der Titel. Rund zehn Prozent hat das Wirtschaftswachstum in den vergangenen Jahren im Schnitt betragen, mehr als in fast allen anderen Staaten weltweit. Für viele Menschen hat sich die Lebenssituation gebessert. Für Ruhe hat das nicht gesorgt: Schon seit Jahren gibt es im Land Großproteste. Mitglieder verschiedener Ethnien gehen gegen die autoritäre Regierung auf die Straße. Sie werfen ihr Unterdrückung vor. Mehrere hundert Demonstranten sind seither von der Polizei getötet worden.

Ins Bild passt auch, dass es nicht vorrangig Minderheiten sind, die sich unterdrückt fühlen, sondern Mitglieder der Mehrheit. Mehr als ein Drittel der Äthiopier gehören der Volksgruppe der Oromo an, hohe politische Ämter haben sie seit Beginn der nominellen Demokratie 1991 aber noch nie gestellt. Nun ist es erstmals so weit: Die regierende Partei der Revolutionären Demokratischen Front der Äthiopischen Völker EPRDF hat sich, wie Dienstag bekannt wurde, für Abiy Ahmed als nächsten Premier des Landes entschieden. Er kommt aus der Region Oromia – seine Bestellung ist auch als Signal gedacht.

"Partizipativer Führungsstil"

Aber nicht nur: Der 41-jährige Doktor der Informatik (Kryptologie) hat sich in den vergangenen Jahren auch als mitreißender Redner bewiesen – und somit als Gegensatz zu seinem eher farblosen Vorgänger Hailemariam Desalegn, der Mitte Februar wegen der anhaltenden Proteste in den Regionen Oromia und Amhara zurückgetreten war.

Ob er allerdings demokratischer auftreten wird als sein Vorgänger, ist umstritten. Zwar verkörpert der Sohn eines Muslims und einer Christin, der drei Landessprachen (Oromo, Amharisch und Tigrinya) spricht, die Vielfalt des ostafrikanischen Staates. Auch wird ihm "partizipativer Führungsstil" nachgesagt. Doch ist auch Abiy tief in der EPRDF verankert. Als 2008 bis 2010 die Partei versuchte, die nationalen Medien auf Linie zu bringen, war er für den öffentlichen Rundfunk zuständig. Zudem hat der Oberstleutnant des Militärs beste Kontakte zu Sicherheitsdiensten und Polizei. Es ist anzunehmen, dass auch er am "chinesischen Entwicklungsmodell" seines Landes festhalten will, das die EPRDF verfolgt – also auf wirtschaftliche Reformen setzt, die von einem starken, autoritär auftretenden Staat umgesetzt werden.

Ob es auch politische Reformen gibt, wird spätestens 2020 zu sehen sein. Dann sind Parlamentswahlen angesetzt. (Manuel Escher, 28.3.2018)