Für die Radparade werden recht unregelmäßig Wiener Straßen für Radfahrer reserviert. Die Klimastrategie sieht einen häufigeren Vorrang für Radler vor.

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Es mag nur ein Lippenbekenntnis sein, aber selbst dann ist es ein positives Signal: Die Bundesregierung mit der Autofahrerpartei FPÖ als Juniorpartner verfolgt in ihrer Klimastrategie das Ziel, den Anteil des Radverkehrs auf allen Wegen in nur sieben Jahren zu verdoppeln. Das wäre vor allem für Wien eine kleine Revolution: Mit einem Anteil von 13 Prozent würde die Bundeshauptstadt ins europäische Oberfeld aufrücken, würden Radfahrer beginnen, das Straßenbild zu dominieren.

Aus Sicht von Nachhaltigkeitsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) ist der Flirt mit dem Zweirad verständlich: Die Förderung des Radverkehrs ist die billigste Art, Treibhausgasemissionen zu verringern und die Klimaziele doch noch zu erreichen. Radwege kosten nur einen Bruchteil von neuen U-Bahn-Linien, Räder verbrauchen nur wenig öffentlichen Raum und verursachen – anders als alle Öffis – gar keinen CO2-Ausstoß. Auch Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) könnte zufrieden sein: Radfahren verringert das Risiko von Übergewicht, Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen; in einem ausgebauten Radwegnetz ist die Verletzungsgefahr viel geringer als oft befürchtet. Und dank E-Bikes ist das Radeln auch für Senioren zur attraktiven Fortbewegungsart geworden.

Einflussreiche und selbstbewusste Interessengruppe

Aber die Umsetzung einer solchen Fahrradstrategie hat einen Haken: Sie funktioniert nur, wenn man den Autoverkehr im dichtbesiedelten Gebiet zurückdrängt. Bisher wurden in Wien die Radler aus Rücksicht auf Autofahrer oft in den Fußgängerbereich gezwungen. Das war ein Fehler. Breite und sichere Radwege kosten Parkplätze und Fahrspuren, und selbst über Land würde die Errichtung von Fahrradhighways, die etwa Pendler für den Weg zur Arbeit nützen können, auf Kosten des Straßenbaus gehen.

Ob ÖVP und FPÖ bereit sind, diesen politischen Preis zu bezahlen, ist fraglich. Denn Autofahrer sind eine einflussreiche, selbstbewusste und emotional aufgeladene Interessengruppe, mit der sich Politiker ungern anlegen. Das gilt auch für die SPÖ: Wenn der künftige Wiener Bürgermeister Michael Ludwig ein "faires Miteinander" aller Verkehrsteilnehmer verspricht, verkennt er das Problem. "Fairness" zwischen PS- und blechbeladenen Autofahrern und den schwächeren Verkehrsteilnehmern zementiert bloß einen ungerechten, nicht mehr zeitgemäßen Status quo ein.

Damit der Radanteil in der Stadt ernsthaft steigt, müssten tausende Autofahrer ihr Fahrzeug stehen lassen – aber nicht auf subventionierten öffentlichen Stellplätzen. Auch Betriebe müssten Alternativen zur motorisierten An- und Zufahrt finden. Das wird erst geschehen, wenn das Autofahren weder Zeitgewinn noch Freude bringt und viel teurer wird als heute. Diese Anpassung ist schmerzhaft, aber nur temporär: Wer einmal auf das Kfz verzichtet hat, lernt meist, gut damit zu leben. In Amsterdam ruft keiner mehr nach freier Fahrt für Autolenker. Zu einer solchen Wende ist in Österreich bis auf die Grünen derzeit niemand bereit. (Eric Frey, 29.3.2018)