Fast versteckt in einer Auflistung von Vorschlägen zur Rettung des europäischen Projekts stehen die Sätze, in denen sich verdichtet, worum es den Autoren geht: "Das kulturelle Erbe Mitteleuropas hat die Kraft zur Erneuerung Europas, weil es die westeuropäische Periode einer postmodernen Beliebigkeit nicht mitvollzogen hat und diese kritisch infrage stellt. Dieses Erbe erinnert an die essenzielle Bedeutung der Kultur und vermittelt, dass Europa als ausschließlich technokratischbürokratische Idee nicht zukunftsfähig ist."

Vor 30 Jahren haben Erhard Busek und Emil Brix in ihrem Buch Projekt Mitteleuropa das Verschwinden des Eisernen Vorhangs und die Rückkehr der unter Sowjethegemonie stehenden Staaten nach Europa quasi vorweggenommen. Dass diese Länder dort nicht wirklich angekommen sind oder – zutreffender – vom westlichen Europa nicht für voll genommen werden, ist für die Autoren eine der Hauptursachen der tiefen EU-Krise.

Warum aber sollte Europa ausgerechnet am mitteleuropäischen Wesen genesen, jenem letztlich undefinierbaren, oft unheimlichen Kosmos, der mit den größten Katastrophen der Menschheitsgeschichte verknüpft ist? Genau deshalb, wäre die knappestmögliche Antwort. In den Worten der Autoren: Es mache die Ironie der Geschichte Mitteleuropas aus, dass die großen, radikalen europäischen Projekte des 20. Jahrhunderts, der Nationalismus und der Kommunismus, in diesem Raum reale Verbindungen nachhaltig zerstört hätten und dennoch das Gefühl des "parallelen Lebens" in Mitteleuropa nicht ganz verlorengegangen sei.

Mitteleuropa hat Glanz und Ende der großen Ideologien erlebt. Daraus resultiert auch die Skepsis gegenüber einem zwangsbeglückenden Brüsseler Zentralismus. Und trotzdem lebt die Hoffnung namens Europa. Wird diese Hoffnung weiter enttäuscht, davon sind Busek und Brix mit höchst schlüssigen Argumenten überzeugt, dann muss dies fatale Folgen für das gesamte europäische Projekt haben. (Josef Kirchengast, 29.3.2018)