Den Tod besiegen: Investoren stecken Milliarden in die Erforschung der Lebensverlängerung.

Illustration: Francesco Cioccolella

Der Satz wirkt nüchtern, fast beiläufig, und kündet dennoch von einer geradezu ungeheuerlichen Vision: "Im 21. Jahrhundert werden die Menschen wahrscheinlich einen ernsthaften Wurf in Richtung Unsterblichkeit machen", schreibt Yuval Noah Harari in seinem aktuellen Buch "Homo Deus". Der Tod, so meint er, sei bloß ein technisches Problem. Und solche könne man lösen. Natürlich werde es nicht einfach, aber jeder Erfolg auf dem mühsamen Weg dürfte die Bestrebungen weiter vorantreiben. Der Mensch könne sich nun mal nicht mit seiner Vergänglichkeit abfinden. Der Kampf gegen den Tod werde deshalb nie abreißen, bis irgendwann ein großer Durchbruch gelinge. Wie auch immer der aussehen möge.

Harari befindet sich mit seiner Sicht in bester Gesellschaft. Peter Thiel, US-Milliardär und Mitbegründer der Online-Bezahlplattform Paypal, ist sogar deutlich optimistischer. Er möchte selbst zu den ersten Unsterblichen gehören und hält das für eine realistische Perspektive. Krebs werde innerhalb der nächsten 20 Jahre heilbar sein, sagte Thiel 2014 dem britischen Telegraph. Ein Sieg über Alzheimer wäre ebenfalls in Griffweite. Der 51-Jährige ist keinesfalls nur ein prominenter Zaungast – er investiert Millionen in biotechnologische Forschung. Ähnliches treiben der Google-Mutterkonzern Alphabet in seinem Tochterunternehmen Calico und andere Giganten des Silicon Valley in ihren Laboren voran. Geld scheint kaum eine Rolle zu spielen.

Euphorie bremsen

Allerdings sind weder Harari noch Thiel & Co Biologen oder Mediziner. Die allermeisten Fachleute sind in Sachen Unsterblichkeit viel skeptischer. Gewiss, es gibt viele Fortschritte, doch meistens gleicht der wissenschaftliche Wettkampf mit dem Sensenmann jenem sprichwörtlichen Rennen zwischen Hase und Igel: Er ist stets schon da.

Einen der größten Hoffnungsdämpfer veröffentlichte der Molekulargenetiker Jan Vijg 2016 zusammen mit zwei Kollegen im Fachmagazin "Nature". Die am Albert Einstein College of Medicine in New York tätigen Forscher hatten demografische Daten aus Frankreich, Japan, Großbritannien und den USA einer statistischen Analyse unterzogen und dabei eine ernüchternde Entdeckung gemacht. Das Sterbealter von Senioren, so zeigte sich, erfuhr zwischen 1968 und den frühen Neunzigern eine signifikante Steigung, erreichte um 1995 ein Plateau und sank danach sogar leicht ab.

Laut den Berechnungen nimmt auch die maximale Lebensdauer seit gut zwei Dekaden nicht mehr zu – trotz diverser medizinischer Neuerungen. Die Studie scheint tatsächlich ein natürliches Limit für die menschliche Existenz aufzuzeigen. Das mittlere mögliche Höchstalter beträgt demnach 114,9 Jahre. Den bisherigen Rekord hält die 1997 verstorbene Französin Jeanne Calment. Sie wurde 122 Jahre alt.

Festgelegte Haltbarkeit

Kommt also jeder von uns mit einer zumindest ungefähr festgelegten Haltbarkeit zur Welt? Womöglich ja. Auf den ersten Blick erscheint eine vorprogrammierte Lebensspanne sogar sinnvoll. Unsterbliche Geschöpfe wären für die Evolution ein echtes Problem. "Das Leben ist von Umwälzung geprägt", sagt Jan Vijg. Ohne Mutationen zum Beispiel gäbe es keine Entwicklung. Um Neuem Platz zu verschaffen, muss das Alte weichen. Generationswechsel eben.

Der Idee einer gezielten, genetisch gesteuerten Mortalität erteilt Vijg gleichwohl eine Absage. Ein solcher Mechanismus sollte erst spät im Leben Wirkung zeigen, betont der Experte. Dann jedoch ist meist auch die Reproduktionsfähigkeit am Ende. Die Kräfte der Selektion können dadurch kaum greifen, denn der programmiert Sterbliche hätte keinen Fortpflanzungsvorteil. Er würde nicht mehr Nachkommen haben als seine langlebigeren, inzwischen unfruchtbaren Artgenossen. Stattdessen, meint Vijg, dürfte der Tod eher das Nebenprodukt anderer, im Erbgut verankerter Abläufe sein. Unerwünscht zwar, aber genauso unvermeidlich.

Am Jungbrunnen arbeiten

Douglas Vaughan, Mediziner an der Northwestern University in Chicago, sieht das ähnlich. Der Alterungsprozess basiere auf verschiedenen Vorgängen, erklärt er. Am wichtigsten sei vermutlich der Abbau von Telomeren, jenen nichtkodierenden Abschnitten an den Enden von Chromosomen. Wie Schonkappen schützen sie die DNA-Stränge während der Zellteilung vor Schäden. Mit der Zeit verschleißen die Telomere allerdings. In Säuglingen sind sie ungefähr viermal so lang wie bei Hochbetagten.

Der Verlust hat offenbar gravierende Folgen. "Kurze Telomere sind das Vorzeichen für Diabetes Typ 2 und andere altersbedingte Krankheiten", betont Vaughan. Die Zusammenhänge sind noch nicht abschließend geklärt, doch schon 1998 erregte ein Experiment US-amerikanischer Forscher großes Aufsehen.

Die Wissenschafter erzeugten genmanipulierte Klone menschlicher Zellen, ausgestattet mit der Fähigkeit, selbst das Enzym Telomerase herzustellen. Letzteres ist in der Keimbahn aktiv und verlängert dort die Telomere von sich häufig teilenden Zellen. Andere Körpergewebe verfügen normalerweise nicht über Telomerase, aber die manipulierten Zellen produzierten es reichlich. Infolgedessen vermehrten sie sich munter weiter und zeigten keinerlei Anzeichen von Seneszenz, sprich Zellalterung.

Vitalität von Zellen

Es dürfte kaum verwundern, dass Telomerase seither der Ruf eines biochemischen Jungbrunnens vorauseilt. Der Wunderstoff kann in der Tat das sogenannte Hayflick-Limit, die begrenzte Vitalität und Teilungsfähigkeit von Zellen, außer Kraft setzen. Ob das Enzym auch die menschliche Lebensspanne zu verlängern vermag, bleibt dennoch fragwürdig. Tierversuche haben widersprüchliche Ergebnisse geliefert. Über den gentherapeutischen Einsatz von Telomerase ließen sich, zumindest theoretisch, Gewebe und Organe regenerieren, doch dieser Ansatz birgt auch ein erhebliches Risiko: Unbegrenzt teilungsfähige Zellen können schnell außer Kontrolle geraten. So entstehen Tumoren.

An dieser Stelle kommt wieder die Seneszenz ins Spiel, wie Jan Vijg erläutert. Bei diesem Prozess handelt es sich nicht um eine schlichte Alterung im eigentlichen Sinne, sondern um die gezielte Stilllegung dysfunktionaler Zellen – unter anderem solcher mit beschädigtem Erbgut. In jungen Jahren schütze Seneszenz vor Krebs, erklärt Vijg. Später aber führe sie zunehmend zu Störungen.

Der Hintergrund: Seneszente Zellen sterben nicht. Sie verharren stattdessen in einem Dämmerzustand und geben dennoch bestimmte entzündungstypische Signalmoleküle ab. Wenn sich in einem Gewebe immer mehr solcher Zellzombies ansammeln, gibt es Probleme. Die Entzündung nimmt zu und die Regenerationsfähigkeit ab. Abgesehen davon scheinen die besagten Botenstoffe ab gewissen Konzentrationen auch die Zellen in anderen Körperbereichen zu beeinträchtigen. Die Seneszenz bildet quasi Metastasen. Hier hätten wir also einen grundsätzlich günstigen Vorgang, der erst im höheren Alter schade, sagt Jan Vijg. Vergleichbares könnte für DNA-Reparaturmechanismen gelten. "Darüber wissen wir allerdings nur sehr wenig."

Vorteile des Alters

Für Vaughan indes dürfte gerade die Seneszenz das vielversprechendste Ziel für therapeutische Eingriffe sein. Vielleicht ließen sich die stillgelegten Zellen kontrolliert entfernen oder man könnte zumindest ihre Signale blockieren. Die aktuelle Untersuchung eines internationalen Forscherteams unter Vaughans Leitung zeigt, welche Bedeutung diesen Molekülen zukommt.

Einer der Botenstoffe trägt die Bezeichnung PAI-1. Sein kodierendes Gen, Serpine1, ist in seneszenten Zellen stark aktiviert. PAI-1 reguliere verschiedene Stoffwechselprozesse, erklärt Vaughan. Es fördere allerdings auch die Ausbreitung der Seneszenz.

Eine hochinteressante Mutation findet sich jedoch bei Mitgliedern der Old Order Amish, einer im US-Bundesstaat Indiana lebenden religiösen Gemeinschaft. Rund 16 Prozent dieser Menschen tragen mindestens ein defektes Serpine1-Gen in sich, manche von ihnen sogar in doppelter Ausführung. Die PAI-1-Konzentrationen in ihrem Blut sind dementsprechend herabgesetzt. Den Betroffenen schadet das Defizit anscheinend nicht – im Gegenteil. Einer ersten Analyse zufolge liegt ihre durchschnittliche Lebenserwartung satte zehn Jahre über der ihrer Glaubensgenossen. Sie haben zudem um zehn Prozent längere Telomere als Gleichaltrige und erkranken anscheinend nie an Diabetes Typ 2. PAI-1-Inhibitoren könnten bestimmte Altersleiden womöglich lindern oder ihnen vorbeugen, meint Douglas Vaughan. In Japan werden solche Wirkstoffe bereits getestet.

Verschiebung der Todesursachen

Man sollte allerdings nicht glauben, dass derartige Medikamente der Schlüssel zur ewigen Jugend sind. In den westlichen Industriestaaten würden die meisten von uns an Krebs oder Herzgefäßkrankheiten sterben, sagt Vaughan. "Daran wird sich nicht viel ändern." Hinsichtlich der Todesursachen dürfte es zukünftig eine Verschiebung zugunsten der Tumorerkrankungen geben, glaubt der Molekulargenetiker. Dieser Trend sei bereits erkennbar.

Medizinische Neuerungen könnten für viele das Leben um einige Jahre verlängern, meint Vijg, aber spätestens bei 115 werde wohl Schluss sein. "Die Menschen unterschätzen die Komplexität unseres Organismus. Wir sind eben keine Maschinen" – und deshalb auch nicht wie diese zu reparieren oder optimierbar. Sogar der Möchtegern-Unsterbliche Peter Thiel ahnt offenbar Schwierigkeiten. Er hat angeordnet, notfalls in flüssigem Stickstoff kryokonserviert zu werden – falls der Tod den von ihm finanzierten Fortschritt doch wieder einholt. (Kurt de Swaaf, CURE, 10.5.2018)