Ab in die Blutbahn, in den Magen oder sogar ins Gehirn: Nanoroboter sollen es möglich machen.

illustration: francesco ciccolella

Mit Kraft schiebt der Arzt den daumendicken Schlauch eines Endoskops durch den Mund die Speiseröhre hinab in den Magen. Der Betäubungsspray gegen den Würgereiz hilft nur mäßig. Wer seine Magenschleimhaut von innen betrachten lassen muss, kommt gegenwärtig nicht um diese Prozedur herum.

In Zukunft könnte eine Magenspiegelung viel eleganter und patientenfreundlicher verlaufen. Am Max-Planck-Institut (MPI) für intelligente Systeme in Stuttgart entwickeln Forscher um Metin Sitti, Leiter der Abteilung für physische Intelligenz, winzige Roboter, die im menschlichen Körper zum Einsatz kommen sollen. Einer der größten misst 24 Millimeter und könnte Magengeplagte erleichtern: Den sogenannten Millibot soll man eines Tages wie eine Pille schlucken können. Im Magen angekommen funkt der kabellose Milliroboter Bilder der Magenschleimhaut nach außen, entnimmt mit Mikrogreifern Gewebeproben und transportiert Medikamente gezielt an Ort und Stelle.

Klein und steuerbar

Vorläufer, sogenannte Kapselendoskope, existieren bereits und kommen in Ausnahmefällen schon zum Einsatz. Mit Minikameras ausgestattet durchlaufen sie den gesamten Verdauungstrakt. Allerdings lassen sich die Kapseln nicht steuern, das heißt, die Bilder entstehen unkontrolliert und sind oft unscharf. Die MPI-Forscher entwickeln daher Kapselroboter, die man über Magnetfelder von außen gezielt steuern kann. Denn für den Einsatz im Körperinneren müssen Roboter nicht nur klein sein, sondern sich auch leiten lassen.

Auch Sittis neuesten Milliroboter, der kürzlich im Fachjournal "Nature" vorgestellt wurde, steuert man über Magnetfelder. Revolutionär ist seine Beweglichkeit: Der vier Millimeter lange und 0,1 Millimeter dünne Streifen besteht aus biegsamem Silikon und Magnetpartikeln. Variiert man die Stärke und die Richtung des Magnetfelds, verformt sich der Winzling entsprechend: So kann er laufen, rollen, hüpfen, schwimmen und kleine Lasten greifen und transportieren.

Minimalinvasiver Einsatz

"Das Ergebnis ist eine Mischung aus mehreren Lebewesen wie Käferlarven und Raupen, aber auch ein Spermatozoid und eine Qualle standen Modell", sagt Sitti, der den Winzling bereits in Hühnerfleisch getestet hat. Das Ziel ist der minimalinvasive Einsatz im menschlichen Körper. "Uns schwebt vor, dass unser Milliroboter eines Tages Medikamente dorthin transportiert, wo sie gebraucht werden – ähnlich einer Paketlieferung an die Haustür", sagt Sitti.

Für einige Aufgaben dürfte aber auch der Winzling noch zu groß sein. Entsprechend forscht man bereits an noch kleineren Strukturen im Mikro- und Nanometerbereich. Doch so winzige Roboter haben ein fundamentales Problem: "In dieser Dimension herrschen andere Kraftverhältnisse, die Physik ist nicht mehr intuitiv begreifbar", erklärt Eva-Kathrin Ehmoser, Leiterin des Instituts für synthetische Bioarchitekturen an der Boku in Wien. Gravitation spiele kaum mehr eine Rolle, Interaktion zwischen Molekülen dafür umso mehr. Folglich schwimmt ein Bakterium nicht durch Wasser, sondern muss sich hindurchbohren, ungefähr so, wie wenn wir uns durch Honig bewegen müssten.

Mit Antrieb peitschen

Die Natur aber macht es vor: Einzeller, Bakterien und Spermien haben im Laufe ihrer Evolution Techniken entwickelt, um sich aktiv durch Flüssigkeiten und Gewebe zu bewegen. So haben viele einen Schwanz, Geißel oder Flagellum genannt, der sich wie ein Propeller dreht, während Spermien vorankommen, indem sie ihr Flagellum hin und her peitschen.

Mechanismen, von denen sich Nanobiotechnologen inspirieren lassen: "Wir versuchen das Prinzip zu verstehen und es mit uns möglichen Mitteln umzusetzen", erklärt Peer Fischer, Professor an der Universität Stuttgart und Leiter des Labors für Mikro-, Nano- und Molekulare Systeme am MPI für intelligente Systeme. Fischer entwickelt Mikro- und Nanoschwimmer, die so klein sind, dass sie sich eines Tages durch Schleimhäute, die Blut-Hirn-Schranke oder im Inneren des Augapfels bewegen könnten.

Hürden überwinden

Doch der Weg durch den menschlichen Körper ist voller Hürden. Um beispielsweise Medikamente zur Magenwand zu transportieren, muss erst die Magenschleimhaut durchdrungen werden. Sie schützt die Magenwand vor der aggressiven Magensäure und Keimen.

Um diese zähe Barriere zu überwinden, ahmten Fischer und sein Team nicht nur den Bau bestimmter Nanostrukturen nach, sondern schauten sich auch den chemischen Trick eines unbeliebten Bakteriums ab: Helicobacter pylori ruft in der menschlichen Magenwand Entzündungen und Geschwüre hervor – doch wie kommen die Bakterien durch die schützende Schleimschicht? Sie sondern das Enzym Urease ab, das den Harnstoff zerlegt, der in der Magenflüssigkeit vorkommt. Dabei entsteht Ammoniak, eine chemische Verbindung, die basisch wirkt und den pH-Wert kurzfristig erhöht: Der Magenschleim löst sich vorübergehend auf, und die Bakterien können hindurchschwimmen.

Erfolgreicher Test

Fischers Team konstruierte also eine Mikroglasschraube nach dem Vorbild einer Bakteriengeißel. Enthalten war auch Nickel, um das Schräubchen durch ein von außen angelegtes Magnetfeld zu steuern. Den Mikropropeller beschichteten die Forscher mit dem Enzym Urease und testeten es erfolgreich in der Schleimschicht eines Schweinemagens.

Das Glasschräubchen existiert aber in einer noch viel kleineren Version: Mit 400 Nanometern Länge ist es das bislang kleinste Vehikel aus Fischers Fuhrpark. Etwa 100-mal kleiner als der Durchmesser eines menschlichen Haars und kleiner als die meisten Bakterien, schlüpft es selbst durch ein eng geknüpftes Molekülnetz.

Roboterschwärme

Solch winzige Gebilde haben für sich allein keine große Wirkung, da sie nicht in der Lage sind, ausreichend Wirkstoff zu transportieren – weswegen sie im Schwarm agieren sollen. "Man könnte Nanobots zum Beispiel mit Metallpartikeln ausstatten und sie am Zielort von außen erwärmen, um Krebsgewebe zu zerstören", sagt Fischer.

Auch das Team des Nanobiotechnologen Bradley Nelson von der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich entwickelt Mikro- und Nanoroboter für medizinische Zwecke: "Wir wollen Roboterschwärme in die Nähe von Tumorzellen manövrieren und sie für gezielte Therapien nutzen. Im Labor ist uns die gezielte Abgabe von Medikamenten an Krebszellen bereits gelungen", sagt Daniel Ahmed aus Nelsons Team.

Im Tiermodell sei das noch schwierig, auch weil die Standortverfolgung der miniaturisierten Gefährte mithilfe von Ultraschall oder Röntgenstrahlen noch eine Herausforderung sei.

Sich automatisch auflösen

Dennoch entwickeln die ETH-Forscher bereits biologisch abbaubare Roboter, die sich nach ihrem Einsatz im Körperinneren automatisch auflösen sollen. Der größte Traum aller Nanobiotechnologen heißt aber: Autonomie. Roboter, die sich eigenständig zu ihrem Ziel bewegen und nicht von außen gesteuert werden müssen. Sittis Team hat dazu Bakterien auf die Oberfläche winziger Kugeln befestigt: Lockt man sie mit Nährstoffen, schwimmen sie mithilfe ihrer Flagellen auf die Nahrungsquelle zu und ziehen die Kugel mit.

"Selbstständig Fortbewegung bedeutet selbstständige Energiegewinnung. Das ist momentan aber noch nicht machbar", sagt Ehmoser. Fischers Team arbeitet auch daran. "Wir entwickeln Partikel, die diese Energie aus chemischen Reaktionen gewinnen können, wie etwa der Umsetzung von Glucose", so Fischer, der aber auch betont, dass man momentan Grundlagen erforsche und Therapien noch Zukunftsmusik seien.

Der Blick in die Zukunft lässt immerhin staunen und den Science-Fiction-Film von 1966 "Die phantastische Reise", in dem ein winziges U-Boot durch das Körperinnere fährt, in einem anderen Licht erscheinen. (Juliette Irmer, CURE, 9.8.2018)