Wider die Sepsis: Sechs Werte geben Hinweis auf eine Blutvergiftung.

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Es beginnt mit einer scheinbar harmlosen Infektion. Bakterien, Viren oder Pilze gelangen in den Körper, das Immunsystem erkennt die Eindringlinge, nimmt Fahrt auf, begrenzt die Infektion auf ihren Entstehungsort und heilt sie aus. Das typische Abwehrprogramm: Die Blutgefäße weiten sich, werden durchlässiger und stärker durchblutet, die Körpertemperatur steigt, die entzündete Stelle rötet sich, schmerzt, schwillt an. So weit, so gut.

Es kann aber auch anders kommen: Die Erreger brechen aus dem ursprünglichen Entzündungsherd aus, gelangen in die Blutbahn und verbreiten sich im ganzen Körper. Es kommt zu einer Sepsis, im Volksmund auch "Blutvergiftung" genannt. Schon länger beobachten Forscher und Mediziner einen Anstieg der Erkrankungsfälle. So zählt die Sepsis neben Herz-Kreislauf-Komplikationen zu den häufigsten Todesursachen. In Deutschland sind jährlich rund 280.000 Menschen betroffen, in Österreich dürften es Schätzungen zufolge um die 30.000 Personen sein. Für ein Viertel der Patienten ist die Sepsis tödlich.

Angekündigte Eskalation

"Jede Infektion kann aus dem Ruder laufen. Daher ist die Sepsis im medizinischen Alltag ein großes Thema", bestätigt Günter Eichmüller, der als Intensivmediziner im Landeskrankenhaus Weststeiermark-Deutschlandsberg arbeitet. Untersuchungen haben ergeben, dass es in Europa bei acht bis 17 Prozent der stationären Patienten zu unvorhergesehenen Komplikationen wie Herz-Kreislauf-Stillstand, Herzinfarkt, Lungenembolie, Schlaganfall oder schwerer Sepsis kommt.

Derartige Ereignisse passieren allerdings nicht von einem Moment auf den anderen, sie kündigen sich typischerweise bis zu acht Stunden vor einer Eskalation an. "Während der Pflegevisite werden aber meist nur Blutdruck, Herzfrequenz und Temperatur gemessen. Das sind oftmals zu wenige Parameter, um etwaige Komplikationen frühzeitig abschätzen zu können", sagt Eichmüller.

Im Jahr 2013 wurde deshalb in Deutschlandsberg ein sogenannter "Early Warning Score" (EWS) eingeführt, der sich aus sechs Messgrößen zusammensetzt: Atemfrequenz, Sauerstoffsättigung, Körpertemperatur, Blutdruck, Herzfrequenz und Vigilanz – also wie wach der Patient ist. Damit sollen Komplikationen rechtzeitig erkannt werden.

"Durch die Sepsis wird der Stoffwechsel angekurbelt. Es kommt zu erhöhter Produktion von Kohlendioxid, das durch die Atmung abgegeben wird. Das heißt, die Atemfrequenz steigt und damit die Anzahl der Atemzüge", erklärt Eichmüller. Prognostiziert das System eine bevorstehende Krise, kann etwa der Einsatz von Antibiotika gegensteuern.

Werte sagen, was zu tun ist

Für jeden Patienten auf der Allgemeinstation in Deutschlandsberg gibt es ein Datenblatt, in dem diese sechs Werte eingetragen werden. Daraus wird händisch ein EWS berechnet. Nach der Höhe des Scores richtet sich die weitere Vorgehensweise. So bedeutet etwa ein Gesamtwert von 4, dass der Patient engmaschiger beobachtet werden muss. Ab 5 ist das Notfallteam zu benachrichtigen.

Das Problem: Das System ist zeitintensiv und einstweilen anfällig für Berechnungsfehler. In einem Pilotversuch wird nun ab April 2018 das Hard- und Softwaresystem Guardian von Philips getestet. Es besteht aus einem mobilen Gerät, mit dem Herzfrequenz, Atem, Blutdruck, Temperatur und Sauerstoffsättigung drahtlos, parallel und zeitsparend gemessen werden.

Erste internationale Studien haben bereits gezeigt: In Spitälern, die auf den automatisierten EWS setzen, konnte die Mortalitätsrate signifikant reduziert werden. (Günther Brandstetter, CURE, 15.4.2018)