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Bei der Entwicklung von Systemen, die unter die Haut gehen, gilt es praktische Hürden zu überwinden.

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Der Alltag von Typ-1-Diabetikern ist dank handlicher Blutzucker-Messgeräte und schnell wirksamer künstlicher Insuline relativ unkompliziert geworden: Trotzdem fragt sich jeder Patient ab und zu, wie es wohl wäre, wenn diese Autoimmunerkrankung nicht ausgebrochen wäre. Wenn die körpereigene Immunabwehr die Insulin produzierenden Betazellen der Bauchspeicheldrüse nicht zerstört hätte und nicht lebenslang künstliches Insulin von außen notwendig wäre, um kohlenhydrathaltige Nahrung in Energie umzuwandeln.

So aber muss jede Portion Reis, Kartoffeln oder Nudeln, jedes Brot, jede Orange und jeder Apfel in "Broteinheiten" (BE) umgerechnet werden, um vorab dementsprechend genau gegengerechnete Insulineinheiten (IE) zu injizieren. Wird zu wenig Insulin berechnet, kann das Blut zu viel Zucker enthalten, was langfristig zu gravierenden Schäden an Blutgefäßen und Nervenbahnen führt. Wird zu viel injiziert, besteht die Gefahr einer Unterzuckerung (Hypoglykämie), die akut, aber auch langfristig schwerwiegende Folgen haben kann – Schwindel, Zittern, Ohnmacht, ein erhöhtes Risiko von kardiovaskulären Erkrankungen beeinträchtigen das Leben massiv.

Management der Krankheit

Zwar gibt es vielversprechende Versuche, aus Stammzellen neue Betazellen zu entwickeln, derzeit gilt aber Typ-1-Diabetes als unheilbar. Die aktuelle medizinische Strategie ist deshalb, das Management der Krankheit so einfach wie möglich zu machen. Forscher arbeiten nun schon seit einigen Jahren an Technologien, die sowohl das Blutzuckermessen als auch die Insulingabe vereinfachen, wenn nicht sogar automatisieren sollen.

Ein erster Schritt ist, wie berichtet, mit dem Freestyle Libre des US-amerikanischen Herstellers Abbott Diabetes Care gelungen, das seit 2014 auf dem Markt ist. Dieses Gerät ermöglicht eine Messung des Blutzuckerspiegels über Sensortechnologie. Es ist nicht mehr nötig, einen Blutstropfen auf Messstreifen aufzutragen. Patienten stempeln nun einen Kunststoffknopf auf den hinteren Oberarm. Alle 14 Tage wird er ausgetauscht.

Der Sinn: Dieser Sensor, der nicht dicker als ein Haar ist und sich an der Unterseite des kreisrunden Kunststoffteils befindet, wird so in das Unterhautfettgewebe eingeführt. Im Messgerät ist der Scanner enthalten. Streift man es eingeschaltet über den Oberarm, zeigt es den Zuckergehalt in der Gewebeflüssigkeit an.

Qual der Wahl

Eine Freestyle-App macht mittlerweile Smartphones mit Android-System zu einem zusätzlichen Scanner. Nur für iPhones gelingt das noch nicht. Hier könnte ein Sensor namens BlueCon vom kalifornischen Unternehmen Ambrosia Systems Abhilfe schaffen: Wird der Sensor mit dem Kunststoffknopf am Oberarm verbunden, sendet er ohne Scannen automatisch alle fünf Minuten Werte an das Handy.

Nutzer berichten allerdings, dass die Messwerte von den gescannten Daten abweichen. Eine praktikable Alarmfunktion bei zu niedrigen oder zu hohen Werten gibt es allerdings nur für Android-Geräte. Darüber freuen sich Eltern von frisch diagnostizierten Typ-1-Diabetikern. Bei der Insulineinstellung müssen sie Kinder nicht mehr, wie früher, nachts aufwecken, um Blutzucker zu messen und bei Bedarf gegenzusteuern.

Eine Lebensnotwendigkeit

Seit 2016 gibt es Eversense, ein Messsystem, dessen einzelne Sensoren länger als 14 Tage getragen werden können. Das vom US-Medizintechnik-Unternehmen Senseonics in Maryland entwickelte System besteht aus einem Sensor, der 90 Tage verwendet werden kann und vom Arzt unter die Haut implantiert wird.

Über diesem Sensor, also auf der Haut, wird ein Transmitter getragen, der die Blutzuckerdaten laufend an eine App am Smartphone sendet, somit Schwankungen registriert und Alarm schlagen kann. Das hierzulande von Roche Diagnostics vertriebene System funktioniert mit iPhones und Android-Telefonen gleichermaßen.

Eine mögliche Übernahme der Kosten von Eversense durch die österreichischen Sozialversicherungsträger wird derzeit noch verhandelt. Im Fall des Free Style Libre ist diese Frage schon geklärt. Die Wiener Gebietskrankenkasse etwa übernimmt die Kosten vollständig. Voraussetzung ist eine funktionelle Insulintherapie mit langen und schnell wirksamen künstlichen Insulinen für Typ-1- oder Typ-2-Diabetiker gleichermaßen.

Selbst gegensteuern

Diese zweite Gruppe ist mit gut 90 bis 95 Prozent aller Zuckerkranken (etwa 366 Millionen Menschen weltweit) die Mehrheit. Diabetes-Typ-2-Patienten produzieren zwar körpereigenes Insulin, das Gewebe kann es aber nicht aufnehmen und daher kohlenhydrathaltige Nahrung nicht in Energie umwandeln. Hier lässt sich durch Änderungen im Lebensstil allerdings gegensteuern.

Doch prinzipiell scheint Automatisierung gekoppelt mit Insulinpumpen der zukünftige Weg. Der Omnipod von Mylife beispielsweise ist nur 25 Gramm schwer und lässt sich über eine Fernsteuerung regulieren. MiniMed 670G von Medtronic soll das erste Hybrid-Closed-Loop-System sein, das Insulingaben an Zuckerwerte anpasst. Allerdings nicht vollständig automatisch, die Menge der durch Nahrung zugeführten Kohlenhydrate müssen Patienten einstweilen selbst angeben.

Das System kann noch nicht erkennen, wie viel gegessen wird. Kritik kommt auch aufgrund der Enttäuschung, dass die automatische Gabe von künstlichem Insulin noch nicht 100-prozentig funktioniert. Der Traum von einer Technologie, die die gesunde Bauchspeicheldrüse vollwertig ersetzt, war allerdings noch nie so realistisch wie heute. (Peter Illetschko, CURE, 6.8.2018)