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Uwe Tellkamp bei einer Lesung. Die deutsche Debattenwetterlage ist derzeit ganz schön finster.

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Uwe Tellkamp gehört zu Deutschlands größten Schriftstellern – preisgekrönt und literarisch hochgeachtet. Seine Bücher haben Weltruf und millionenfache Auflagen, sein Bestseller Der Turm ist ein Schlüsselroman der deutschen Wiedervereinigung. Der Träger des Deutschen Nationalpreises könnte für den Rest seines Lebens vom literarischen Ruhm leben, dem linksliberalen Feuilleton gefallen und es sich politisch korrekt bequem machen.

Doch Tellkamp macht es sich unbequem. Er sagt lieber offen, was er denkt, zum Beispiel dass "die illegale Masseneinwanderung" Deutschland schwer schade: "Die meisten fliehen nicht vor Krieg und Verfolgung, sondern kommen her, um in die Sozialsysteme einzuwandern, über 95 Prozent." Doch das und die gewaltigen Folgeprobleme einer schleichenden Islamisierung traue sich kaum einer offen anzusprechen. In Deutschland gebe es nämlich einen "Gesinnungskorridor zwischen gewünschter und geduldeter Meinung".

Neue Hassfigur

Tellkamp ist damit schlagartig zur neuen Hassfigur der linken Intellektuellenszene geworden. Vom Schriftstellerverband über den NDR bis zur Linkspartei hagelt es Kritik, sein eigener Suhrkamp-Verlag distanziert sich auf peinliche Weise per Twitter. Sogar Sachsens Kunstministerin Eva-Maria Stange von der SPD, die eigentlich für die Freiheit der Meinungen eintreten sollte, warnt öffentlich: "Verallgemeinerungen dieser Art geben denen Futter, die mit ausländerfeindlichen Parolen das gesellschaftliche Klima vergiften."

Tellkamp steht plötzlich da wie ein Thilo Sarrazin der Literatur. Er wird öffentlich beschimpft, attackiert, beleidigt und als Rechtsextremer gebrandmarkt. Ein Shitstorm bricht über den Schriftsteller nieder wie seit Martin Walsers Paulskirchenrede keiner mehr. Doch Tellkamp weicht nicht zurück, sondern legt nach. Zusammen mit anderen Intellektuellen formuliert er eine "Gemeinsame Erklärung 2018". Sie lautet: "Mit wachsendem Befremden beobachten wir, wie Deutschland durch die illegale Masseneinwanderung beschädigt wird. Wir solidarisieren uns mit denjenigen, die friedlich dafür demonstrieren, dass die rechtsstaatliche Ordnung an den Grenzen unseres Landes wiederhergestellt wird."

Neben 33 Erstunterzeichnern (darunter die Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld, der Ex-Politiker Thilo Sarrazin und Publizist Henryk M. Broder) haben 1200 Autoren, Publizisten, Künstler, Wissenschafter und Akademiker die Erklärung unterzeichnet. Die "Erklärung 2018" ist damit zum spektakulären Pamphlet geworden; die Wochenzeitung Die Zeit widmet dem Vorgang eilends die Titelseite. Nun tobt eine wilde Debatte um Merkels Migrationspolitik, Tellkamps Meinungstabus und die Freiheit der Rede. Während die AfD jubelt, ihre politische Position habe nun offenbar das Intellektuellenmilieu erreicht, bekommt Tellkamp reihenweise Prügel in Leitartikeln, Onlineforen und auf Kulturtreffen. Er traut sich derzeit nicht mehr, mit Lesungen aufzutreten, zumal sein Suhrkamp-Verlag ihn so demonstrativ im Stich lässt.

Die Zahl der ...

Doch Tellkamp wird auch verteidigt. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer von der CDU stellt sich hinter ihn. Er sei ihm als kritische Stimme willkommen, twittert Kretschmer, der bei der Bundestagswahl im September sein Direktmandat an einen bisher unbekannten AfD-Mann verloren hat und sich im kommenden Jahr als Ministerpräsident der Landtagswahl stellen muss. "Ärgerlich ist die schon wieder beginnende Stigmatisierung", wirbt Kretschmer um fairen Umgang mit Andersdenkenden.

Auch die Schriftstellerin Monika Maron verteidigt Tellkamp und warnt, Deutschland drohe eine Gesinnungsdiktatur von links. Wer in Deutschland offen seine Meinung sage, dem drohe "eine kleinere oder größere Ächtung". "Das haben die Leute oft genug erlebt. Und das erleben sie jetzt bei Uwe Tellkamp", sagt Maron. Ulrich Greiner, einer der einflussreichsten Literaturkritiker Deutschlands, schreibt in einem Leitartikel in der Zeit, Tellkamps Meinung sei diskussionswürdig, es gebe keinen Grund, ihn in die rechte Ecke zu stellen. "In unserer Streitkultur jedoch hat die Zahl der Platzanweiser zugenommen."

Tellkamp ergeht es damit wie Thilo Sarrazin in der SPD, Boris Palmer von den Grünen oder Henryk M. Broder in der Publizistik. Sie sind Symbolfiguren für eine kritische Haltung wider die Migrationspolitik Merkels und gewinnen großes Publikum. Zugleich aber stehen sie für die Autonomie der Meinung, für das offene Wort gegen die politische Korrektheit und Gesinnungsrepression.

... der Platzanweiser ...

Im Falle Tellkamps ist das besonders nachhaltig. Denn Tellkamp ist ein Meister der Sprache und des Wortes. Seine Literatur, insbesondere sein Turm, thematisiert die Tragödien und Deformationen von Freiheitsverlusten. Damit bekommt seine Mahnung vor Gesinnungskorridoren eine politische Macht.

Tellkamp wächst in die Rolle eines Leitintellektuellen der Merkel-Kritik, in Ostdeutschland sieht man ihn gar als Führungsfigur einer neuen Freiheitsbewegung des Wortes. Tellkamp erklärt das so: "Wie wird geredet über abweichende Meinung? Ziemlich mies und auch ziemlich herablassend. Das spüren die Leute und wehren sich dagegen."

... hat zugenommen

Unter Literaten fühlen sich manche an Günter Grass und die Sechzigerjahre erinnert. So wie Grass seinerzeit mit der Blechtrommel Weltruhm erlangte, so ist es Tellkamp heute mit dem Turm gelungen. So wie der eine in Manifesten und Aktionen bis hin zur Kommune 1 der linken Studentenbewegung von 1968 zum literarischen Kopf wurde, so wirkt Tellkamp mit seinen "Erklärungen" und Auftritten 2018 als Stichwortgeber der neobürgerlichen Wende – wie ein Günter Grass der Konservativen. (Wolfram Weimer, 30.3.2018)