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Umkreist in ihrem neuen Buch mit Harvard -Vorlesungen in immer neuen Denkbewegungen das Erbteil der Sklaverei: Toni Morrison.

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Toni Morrison, "Die Herkunft der Anderen". Über Rasse, Rassismus und Literatur. Aus dem Englischen von Thomas Piltz. € 16,– / 114 Seiten. Rowohlt 2018

Cover: Rowohlt

Eine Urszene aus Toni Morrisons Kindheit belegt die verheerenden Aus wirkungen des "Rasse"-Begriffs auf junge US-Amerikanerinnen in den 1930ern. Morrisons Urgroßmutter, eine weise Hebamme von majestätischer Statur, besuchte, aus Michigan kommend, ihre (Ur-)Enkelkinder in Ohio.

Nachdem sie Tonis und deren Schwester ansichtig geworden, erhob sie, die "teerschwarz" war, unwillig den Stock und beschied der Mutter: "Diese Kinder sind verpfuscht worden!" Der angeb liche "Pfusch" gehört zu einem Konzept, das – wohlgemerkt ohne die geringste wissenschaftliche Plausibilität – die Lebensbedingungen von Millionen Afroamerikanern zerrüttet und vielfach zerstört hat. Die neue Folge von Harvard-Vorlesungen, die Literaturnobelpreisträgerin Morrison 2016 unter dem Titel Die Herkunft der Anderen gehalten hat, umkreisen in immer neuen Denkbewegungen das Erbteil der Sklaverei.

Gemeint ist jene Form von Entmenschlichung, die den Rassismus zur Voraussetzung hat. Erst dieser ermöglicht die Konstruktion des "Rasse"-Begriffs. Wer Rassen voneinander unterscheidet, tut dies mit dem nicht immer klaren Vorsatz, die "andere" Spezies ihrer Minderwertigkeit zu überführen. Was der weiße "Herrenmensch" in Betrachtung der "Nigger" stillschweigend voraussetzt, geht so in seine Beschreibung als schnöde Herablassung ein. Die Beschimpfung dunkelhäutiger Menschen – oder die Bestimmung ihrer Schwärzegrade – tarnt sich damit als Philanthropie. Und ist doch nichts anderes als die fortgesetzte Verunglimpfung der "Negerrasse" mit anderen Mitteln.

Morrison, die Autorin so beklemmender Romane wie Paradies oder Gott, hilf dem Kind, hat noch einmal in den Aufzeich nungen der US-Sklavenhalter bis hinauf in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts geblättert. Eugeniker und andere Ideologen der Merkmalsforschung unterstellten den von ihnen unterdrückten Menschen "natürliche Trägheit", die Unfähigkeit, die Kapazität ihrer Lungen "mehr als zur Hälfte zu nutzen", den Zwang zur Flucht und "Dysaesthesia aethiopica": eine Art geistigen Halbschlafs, von Sklaventreibern gerne auch als "niedere Gesinnung" benannt.

Auf der anderen Seite der Skala stehen pathologische Zeug nisse weißer Brutalität und Niedertracht. Ein selbstauferlegter Zwang zu Vergewaltigung und Missbrauch manifestiert sich in akribisch geführten sexuellen Leistungstabellen. Legion die Gewaltausbrüche, die sich in brutalen Züchtigungen Bahn brechen: Als wollten sich die Peiniger mit der Heftigkeit der von ihnen exekutierten Strafen noch irgendwie selbst bestrafen. Doch über allen Exzessen bleibt das Bedürfnis der weißen Herrschaft spürbar, das eigene Wirken nach Möglichkeit ins Gnadenlicht der Philantropie zu rücken. Kitsch wie Harriet Beecher Stowes Onkel Toms Hütte zelebriert die Unterwürfigkeit von Sklaven, die sich zutraulich geben wie die Lämmlein und von den Brosamen der Weißen leben.

Rassischer Selbsthass

Morrison selbst hat in ihrem reichen fiktionalen Werk diverse Facetten des "rassischen Selbsthasses" zu erkunden versucht. Wie kommt es zu jener fatalen Konstruktion von Andersartigkeit, die unwillkürlich Gewalt erzeugt und bis weit herauf ins 20. Jahrhundert für Lynchjustiz und sadistische Übergriffe sorgt?

Der "Reinheitsbegriff" hat mit Blick auf die Hautfarbe einen mehrfachen Resonanzraum. Morrison hat ihrerseits – etwa in Paradies – versucht, mit der Beschreibung von "Schwarzensiedlungen" den Spieß umzudrehen – und den Leser bei der ethnischen Bestimmung von Figuren vorsätzlich im Dunkeln tappen zu lassen. Afroamerikanische Literatur steht vor dem Dilemma, das Gift des Fremdseins (im eigenen Land) zu schlucken und vom "Anderssein" erzählen zu müssen. Das führt zur Konstruktion von Medea-Gestalten (Menschenkind, 1987).

Was Morrison ebenso wurmt, das sind die ignoranten Vorstellungen, die sich die Erste Welt von Afrika macht. Dabei wären afri kanische und afroamerikanische Schriftsteller die wahrhaft Berufenen, um von der grundlegenden Erfahrung so vieler in die Mi gration entlassenen Menschen zu künden: Exilanten zu sein am Ort ihrer Herkunft, kaum identisch mit sich und den kränkenden Zuschreibungen durch disziplinierende Mächte.

Toni Morrison hielt ihre brillanten Vorlesungen übrigens in sicherer Erwartung des US-Wahlsieges von Hillary Clinton. Barack Obama beendete seine zweite Amtszeit, seine beiden schwarzen Justizminister engagierten sich gegen rassistische Polizeigewalt und bezogen sich damit auf die Black-Lives-Matter-Bewegung.

Ta-Nehisi Coates weiß in seinem Vorwort zeitlich schon besser Bescheid. Trumps Wahlsieg verdanke sich angeblich den jenigen, die von der "New Economy" abgehängt worden wären. Doch ist dem wirklich so? "Warum", fragt Coates eisig, hätten dann die "am gründlichsten Ab gehängten" Trump nachweislich nicht gewählt: die schwarze und die hispanischstämmige Arbeiterschaft? (Ronald Pohl, Album, 31.3.2018)