Russland ist eine Demokratie mit starkem Internetbezug. Das wollte auch die russische Botschaft in Washington D.C. jüngst deutlich hervorheben: Via Twitter fragte sie ihre Follower, welches US-Konsulat der Kreml nun im Gegenzug zu den US-Sanktionen schließen lassen solle. 57.000 User nahmen teil, die Antwort war am Ende klar: Für jenes in Sankt Petersburg sprach sich eine Mehrheit von 47 Prozent aus.

Dass Moskau neben der Ausweisung von 60 Diplomaten nun tatsächlich diesen prominenten Standort schließen lässt, dürfte weniger durch die Abstimmung als durch Geografie und Strategie begründet sein. Und doch steht die Episode bildhaft dafür, wie die eigene Medienstrategie am Ende auch jene zu Gefangenen macht, die diese eigentlich nutzen und steuern wollten.

Das gilt auch für Russlands westliche Kontrahenten. Wochenlang haben sie Moskau als sehr wahrscheinlichen Täter hinter der Vergiftung Sergej Skripals, seiner Tochter Julia und zahlreicher Passanten im britischen Salisbury bezeichnet und dabei plausible Indizien und logische Schlüsse präsentiert, aber keine Beweise. Am Ende mussten sie handeln. Wer zeigen will, dass der Einsatz chemischer Kampfstoffe gegen Zivilisten in einem anderen Staat inakzeptabel ist, beteiligt sich an den Sanktionen – auch dann, wenn die Täterschaft des Kreml zwar naheliegt, aber eben nicht sicher ist. Das macht die Solidarität unter jenen EU-Staaten, die sich angeschlossen haben, erfreulich. In so einer Situation nichts zu tun ist ein falsches Signal.

Eine andere Frage ist aber in den Hintergrund getreten, im beidseitigen Eifer, den eigenen Worten Taten folgen zu lassen: Sind die konkreten Maßnahmen wirklich sinnvoll? Ist es etwa durchdacht, in einer Situation, in der zwei Machtblöcke zunehmend aneinander vorbeireden, reihenweise Diplomaten auszuweisen – selbst dann, wenn einige von ihnen hauptsächlich im Auftrag der Geheimdienste tätig sind?

Beide Kontrahenten agieren in Blasen, die sie selbst geschaffen haben. Russland schürt bewusst Unsicherheit, entwickelt bewusst dutzende Szenarien, die Erklärungen für die Causa Skripal liefern sollen. Manche sind lachhaft, andere auf den ersten Blick zumindest plausibel. Aber das Ziel ist ohnehin nicht, dass sie geglaubt werden. Ziel ist, Zweifel an der am nächsten liegenden Variante – einer Schuld Moskaus – zu wecken. Aber: Der Propagandaschwall öffnet einen Raum, in dem die Regierung gezwungen ist, nach ihren eigenen Worten zu handeln. Auch strategische Lügen schaffen sich so ihre Realität.

Das sollte auch "der Westen" bedenken: Seine Vertreter sind ebenso in der Blase gefangen. Sie müssen aufpassen, nicht in Reflexe zu verfallen, in denen alles, was aus Moskau kommt, falsch und abzulehnen ist, in denen Russland als Täter feststeht, bevor Ermittlungen starten. Um die Eskalationsspirale zu stoppen, braucht es auch neues Vertrauen. Dafür muss man respektvoll mit dem Gegner umgehen. (Manuel Escher, 30.3.2018)