Arbeitsbedingungen in ÖBB-Speisewagen führten zu hohen Strafen.

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Wien – Kaum ist die Aufregung um ministeriell verordnete Beanstandungsquoten für Arbeitsinspektorate und budgetschonende Leiharbeit in Ministerkabinetten abgeflaut, kommt neuer Schwung in die Debatte. Ausgerechnet im Sozialministerium gibt es einen besonders delikaten Fall von Arbeitskräfteüberlassung: Das für die Einhaltung von Arbeitnehmerschutzbestimmungen bei Schienenbahnen, Seilbahnen, im Schiffs- und Luftverkehr zuständige Verkehrsarbeitsinspektorat (VAI; eine Untereinheit der Zentralen Arbeitsinspektion) beschäftigt ein Dutzend von der ÖBB ausgeliehene Sachbearbeiter und Kontrollore. Diese stellen rund 38 Prozent der VAI-Beschäftigten dar und bekommen ihre Gehälter von der Bundesbahn überwiesen, der selbige vierteljährlich vom Sozialministerium, also vom Bund refundiert werden.

Für das Ministerium hat dies den Vorteil, dass die Personalkosten künstlich niedriggehalten werden, die zwölf ÖBB-Leiharbeiter scheinen im Budget lediglich als Sachkosten auf, im Stellenplan sucht man nach ihnen vergebens, argwöhnt Neos-Abgeordneter Sepp Schellhorn, der via parlamentarische Anfrage Aufklärung urgiert. "Arbeitsinspektoren müssen unbefangen und unabhängig sein – auch bei der ÖBB. Leihpersonal ist völlig fehl am Platz", sagt Schellhorn zum STANDARD.

Selbstkontrolle

Die Konstruktion ist insofern pikant, als sich damit die ÖBB in Sachen Arbeitnehmerschutz zumindest teilweise selbst inspiziert und kontrolliert. "Das ist so, als würden Mitglieder der Hoteliervereinigung ihre eigenen Hotels kontrollieren", sagt Mandatar Schellhorn, der im Zivilberuf ein Hotel und Restaurants betreibt. Es könnte der Verdacht aufkommen, dass sie dort weniger konsequent vorgehen als in anderen Unternehmen. Das wäre ein wirtschaftlicher Vorteil für den Überlasserbetrieb, also die ÖBB, aber ein Nachteil für die anderen.

In der Praxis scheint dies jedoch eher nicht der Fall zu sein. Im Gegenteil, das 2012 vom Verkehrs- ins Sozialministerium transferierte Verkehrsarbeitsinspektorat gilt in der Branche als streng und furchtlos. Vorstandsmitgliedern der ÖBB-Personenverkehr AG etwa wurden vom VAI Strafen in fünfstelliger Höhe aufgebrummt, weil die Prüfbefunde der Railjet-Türen (entspricht dem "Pickerl" von Kraftfahrzeugen) nicht an Bord waren. Als sich die Direktoren anhaltend weigerten, die Befunde zu hinterlegen, folgten Anzeigen, die sich aufgrund der vielen betroffenen Zugtüren auf 30.000 Euro pro Person summierten. Bei Landesverwaltungsgericht und Verwaltungsgerichtshof wurden die Strafbescheide des VAI bestätigt, nun ist der Verfassungsgerichtshof am Zug. Ihn haben die ÖBB-Führungskräfte angerufen, um die Kumulierung des Bußgelds zu bekämpfen.

Ministerium will prüfen

In der Wirtschaftskammer, zuletzt sehr kritisch gegen die Arbeitsinspektorate und insbesondere wegen der Quotenvorgaben für Kontrollen und Anzeigen durch das Zentrale Arbeitsinspektorat im Sozialministerium unterwegs, sieht man private Eisenbahnverkehrsunternehmen durch das VAI nicht schlechter behandelt als die ÖBB. Die in sogenannten Lastenheften gesammelten Spezialbestimmungen, Musterbestimmungen und Betriebsanweisungen für Schienenfahrzeuge, Bahnbaustellen und Bahnbetrieb seien kompakt und nützlich, sagt ein mit der Materie vertrauter Privatbahnmanager, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will.

Im Ministerium wollte am Karfreitag niemand zur parlamentarischen Anfrage Stellung nehmen. Man prüfe das, sagt ein Sprecher.

Zulässig ist die Arbeitskräfteüberlassung laut Arbeitsinspektionsgesetz. Zwar dürfen Arbeitsinspektionsorgane grundsätzlich nicht in einem Arbeitsverhältnis zu einem Unternehmen stehen, das in den Wirkungsbereich der Arbeitsinspektion fällt (§18/3). Allerdings kann der Minister eine Ausnahme bewilligen (§18/4), was auch im Verkehrsministerium der Fall war, dem das VAI bis 2012 unterstellt war.

Spezialisten nötig

Der Hintergrund: Das VAI braucht Spezialisten, die mit Betriebsführung, Technik und Sicherheit vertraut sind, sonst können Missstände, durch die Eisenbahner und in der Folge Fahrgäste zu Schaden kommen, nicht aufgespürt werden. Diese gebe es nirgends auf dem Markt. "Eine Rückkehr in die ÖBB ist für einen Inspektor nur theoretisch möglich. Praktisch bekommt er dort keinen Fuß mehr in die Tür", sagt ein früherer ÖBB-Vorstand, der mit dem VAI Sträuße gefochten hat.

Den Vorwurf, das Verkehrsarbeitsinspektorat habe mit 80 Anzeigen pro Jahr eine deutlich niedrigere Beanstandungsquote als die allgemeinen Arbeitsinspektoren mit 200, weil es wegschaue, weist man in Ministeriumskreisen zurück. Hauptaufgabe sei, wie von der Wirtschaft gewünscht, Beratung, nicht Bestrafung. (31.3.2018)