UNO-Generalsekretär Antonio Guterres fordert "unabhängige und transparente Ermittlungen" zu den Vorfällen im Gazastreifen, bei denen laut palästinensischen Angaben mindestens 16 Menschen ums Leben kamen.

Foto: APA/AFP/MAHMUD HAMS

New York/Gaza/Jerusalem – Die Unruhen in Gaza schüren international Sorgen vor einer neuen Eskalation der Gewalt im Heiligen Land. UN-Generalsekretär Antonio Guterres forderte "unabhängige und transparente Ermittlungen" zu den Vorfällen vom Freitag. Nach jüngsten Angaben des palästinensischen Gesundheitsministeriums waren am Freitag mindestens 15 Palästinenser während des "Marschs der Rückkehr" erschossen oder durch Panzergranaten getötet worden.

Zuvor war von mindestens 16 Toten die Rede. Mehr als 1400 Demonstranten wurden verletzt, die meisten durch Tränengas.

Auch am Samstag sind bei Zusammenstößen mit israelischen Soldaten erneut Palästinenser verletzt worden. Drei Männer hätten Schussverletzungen an der Grenze zu Israel erlitten, teilte das palästinensische Gesundheitsministerium in Gaza mit. Israels Armee wollte die Aussagen überprüfen.

Bei Massenprotesten im Gazastreifen sollen mindestens 15 Palästinenser getötet und mehr als 1.000 verletzt worden sein. Die radikalislamische Hamas hatte aufgerufen, für das "Recht auf Rückkehr" zu demonstrieren.
ORF

Uno: Zivilbevölkerung soll nicht gefährdet werden

Der UN-Sicherheitsrat trat wegen der Gewalteskalation in der Nacht zum Karsamstag in New York zusammen. Die Vereinten Nationen fürchteten, dass sich die Situation in Gaza in den kommenden Tagen verschlimmern könnte, sagte der stellvertretende Untergeneralsekretär für politische Angelegenheiten, Taye-Brook Zerihoun, in New York. Er ermahnte Israel zur Aufrechterhaltung seiner Verantwortung unter humanitärem Recht. Tödliche Gewalt dürfe nur als letztes Mittel angewandt werden. Zivilisten dürften nicht zum Ziel werden, vor allem keine Kinder, sagte er. Nach Angaben des palästinensischen Gesundheitsministeriums war einer der Toten erst 16 Jahre alt.

Der US-Diplomat Walter Miller bedauerte das Fehlen Israels bei der Dringlichkeitssitzung aufgrund des Pessachfests. "Wir sind über den Verlust von Menschenleben tief betrübt", sagte Miller. "Wir rufen alle beteiligten Parteien dazu auf, Schritte zu unternehmen, um die Spannungen zu reduzieren und das Risiko neuer Zusammenstöße zu verhindern." Schädliche Akteure würden die Proteste ausnutzen, um Gewalt herbeizuführen, und gefährdeten damit das Leben Unschuldiger, so der Diplomat.

UN-Chef Guterres rief die Beteiligten auf, auf jegliche Handlungen zu verzichten, die zu weiteren Todesfällen führen oder die Zivilbevölkerung gefährden könnten. Die Tragödie vom Freitag zeige die Dringlichkeit, mit der der Friedensprozess im Nahen Osten wiederbelebt werden müsse, um es Palästinensern und Israelis zu ermöglichen, in Frieden und Sicherheit als Nachbarn zu leben.

Palästinenser streiken

Der palästinensische UN-Botschafter Rijad Mansour sagte, sein Land betrachte die Handlungsweise Israels als "ein riesiges Massaker gegen unser Volk". Ägypten verurteilte "den übermäßigen Einsatz von Gewalt" gegen "friedliche Märsche" der Palästinenser scharf. In einer Erklärung betonte das ägyptische Außenministerium in Kairo zugleich das Recht der Palästinenser, einen eigenen Staat mit Jerusalem als Hauptstadt zu gründen.

Im Westjordanland und in Ost-Jerusalem sind am Samstag die Läden geschlossen geblieben. Der Generalstreik der Palästinenser bezog sich auch auf Privatschulen, die samstags offen sind. Der palästinensische Präsident Mahmoud Abbas hatte nach den Konfrontationen an der Grenze zu Israel einen "Tag der Trauer" ausgerufen. Am Samstag sollen im Gazastreifen die Toten beerdigt werden.

Auch der Iran kritisierte die Gewalteskalation. "Zionistische (israelische) Tyrannen haben friedlich demonstrierende Palästinenser, deren Land sie gestohlen haben, ermordet", twitterte Außenminister Mohammad Javad Zarif. Der Iran unterstützt die radikal-islamische Hamas in Gaza und betrachtet Israel als seinen Erzfeind.

Israel: Gezielte Provokationen der Hamas

Israel warf der im Gazastreifen herrschenden Hamas dagegen eine gezielte Provokation vor. "Was wir gestern gesehen haben, war ein organisierter Terrorakt", sagte der israelische Armeesprecher Ronen Manelis. Nach seinen Angaben waren alle toten Männer im Alter von 18 bis 30 Jahren. "Die große Mehrheit von ihnen kennen wir als Terroraktivisten", sagte Manelis. Insgesamt hätten an dem Marsch rund 30.000 Palästinenser teilgenommen, die große Mehrheit davon Frauen und Kinder. Doch nur wenige Tausend seien bis zum Grenzzaun vorgedrungen.

Der Militärsprecher warf der Hamas-Führung vor, auf zynische Weise Frauen und Kinder zu gefährden. Man könne keinesfalls von einer friedlichen Demonstration an der Gaza-Grenze sprechen. Viele Palästinenser hätten "pure Gewalt" eingesetzt und Soldaten mit Steinen und Brandsätzen beworfen, Reifen in Brand gesetzt und versucht, den Grenzzaun zu beschädigen. Es habe auch Versuche gegeben, Raketen auf Israel abzufeuern. Nur aktive Gewalttäter seien getötet worden, keine friedlichen Demonstranten, betonte er.

Unterdessen rief die deutsche Bundesregierung Israelis und Palästinenser zur Mäßigung auf. Die Beteiligten müssten alles "unterlassen, was eine weitere Eskalation hervorrufen und erneut Menschen gefährden würde", forderte das Auswärtige Amt am Samstag in Berlin. Die Bundesregierung sei "äußerst besorgt" über die Entwicklung.

Experte: Möglichkeit zur weiteren Eskalation

Der Nahost-Experte Marc Frings sieht nun die Möglichkeit einer weiteren Eskalation in den Palästinensergebieten. "Das ist die Gefahr, dass dies nur der Anfang einer Welle von Unruhen ist", sagte der Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Ramallah der Deutschen Presse-Agentur.

"Uns steht bis Mitte Mai eine Phase der absoluten Unsicherheit bevor." Die Frage sei, ob es etwa die radikal-islamische Hamas schaffe, weitere Unruhen anzuzetteln. Der Schock über die hohe Zahl der Toten könne auch die Menschen im Westjordanland auf die Straßen treiben.

Mehr als 20.000 bei "Marsch der Rückkehr"

Die Proteste fanden anlässlich des "Tags des Bodens" statt, der an die gewaltsame Niederschlagung von Protesten arabischer Bauern gegen die Enteignung ihres Landes im Norden Israels am 30. März 1976 erinnert. Israel hatte das Grenzgebiet im Vorfeld der Proteste zur militärischen Sperrzone erklärt.

Nach palästinensischen Medienberichten waren am Freitag mehr als 20.000 Menschen zum "Marsch der Rückkehr" gekommen. Die radikal-islamische Hamas wollte mit der Aktion ihren Anspruch auf ein "Recht auf Rückkehr" für palästinensische Flüchtlinge und deren Nachkommen in das Gebiet des heutigen Israels untermauern. Israel lehnt eine Rückkehr in das eigene Staatsgebiet ab.

Die Proteste sollen bis zum 15. Mai dauern. Anlass sind die Feiern zum 70. Jahrestag der Gründung Israels. Die Palästinenser begehen den 15. Mai als Nakba-Tag (Tag der Katastrophe), weil im ersten Nahost-Krieg 1948 rund 700.000 Palästinenser flohen oder vertrieben wurden. (APA, dpa, 31.3.2018)