Die Sevilla-Fans vor dem Achtelfinal-Duell mit ManUnited im Estadio Ramón Sánchez Pizjuán. Die dichte Atmosphäre in der Arena ist ein Paradebeispiel für das Phänomen namens Heimvorteil.

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Sevilla/München – Einen Gegner von der Qualität des FC Sevilla sucht Bayern München in der deutschen Bundesliga vergeblich – meint jedenfalls Ex-Nationalspieler Andreas Hinkel. "Sie spielen so stark, wie es in Deutschland keine Mannschaft neben den Bayern tut", sagte der heutige Trainer des VfB Stuttgart II vor dem Viertelfinal-Duell des deutschen Serienmeisters mit den Andalusieren in der Champions League. Hinkels Einschätzung ist profund, er trug zwischen 2006 und 2008 Sevillas rot-weißes Trikot.

Für die Bayern, glaubt er, kann es am Dienstag (20.45 Uhr, ZDF und Sky) unangenehm werden. Wenn es noch einen Beweis dafür gebraucht hätte, dann wäre Sevillas Generalprobe am letzten Samstag gegen den FC Barcelona (2:2) dafür durchaus geeignet. Erst in den Schlussminuten wendete Barca durch Tore von Luis Suarez (88.) und Lionel Messi (89.) eine Niederlage ab – es wäre die erste der laufenden Saison gewesen. "Wir sind verärgert", sagte Sevillas italienischer Coach Vincenzo Montella.

Für das Viertelfinal-Hinspiel kündigte er den gewohnten Ballbesitzfußball an. Die Münchner sollen hinterherlaufen, Sevilla will wie schon gegen Manchester United den Takt vorgeben. Auch das sagt einiges über das Selbstverständnis beim Europa-League-Rekordgewinner aus, der die Engländer im Achtelfinale ausschaltete.

Abgänge kompensieren

Doch was zeichnet diesen Klub aus, der zwischen 2006 und 2016 fünfmal den Uefa-Cup beziehungsweise die Europa League gewann, von 2014 bis 2016 sogar dreimal in Folge? Hinkel meint, der erste große internationale Triumph habe die DNA des Klubs verändert. "Obwohl sie Jahr für Jahr Leistungsträger verlieren, wird diese von denen, die bleiben, vorgelebt und weitergegeben", erklärt Hinkel. "Sie scouten gut, führen immer wieder Qualität zu. Und sie verkaufen Spieler oft um ein Vielfaches. Das ist ihre Nische."

Diese Kreativität ist es, die Sevilla in Spanien und Europa die Konkurrenzfähigkeit garantiert. An Barcelona, Real Madrid und Atletico Madrid ist zwar schwer vorbeizukommen, aber beständig ärgern kann Sevilla die großen drei – etwa mit Hochveranlagten wie den Franzosen Wissam Ben Yedder und Steven N'Zonzi oder dem am Dienstag gesperrten argentinischen Spielgestalter Ever Banega.

Über Ben Yedder, der hinter Cristiano Ronaldo (12) die zweitmeisten Tore in dieser Champions-League-Saison geschossen hat, sagt Hinkel: "Er ist der gefährlichste Mann, hat aber drei seiner acht Tore gegen Maribor erzielt." Bedeutet: In der Offensive verfügt Sevilla nicht über die ganz große Durchschlagskraft. Das hätte sich bereits gegen Manchester rächen können, als Sevilla beim 0:0 im heimischen Estadio Ramón Sánchez Pizjuán trotz klarer Überlegenheit kein Tor gelang.

Gute Form, schwarze Serie

Die heiße Atmosphäre in der 42.000 Zuschauer fassenden Arena bedeutet aber ein klares Plus für die Gastgeber. "Das Stadion ist ein Trumpf, Sevilla hat mit die besten Fans in Spanien", sagte Hinkel. Und noch eine Unwägbarkeit führt der 21-fache Internationale an: das Wetter. "Zwischen München und Sevilla kann der Unterschied bei 15 Grad liegen. Das merkst du sofort, das hat Einfluss."

Für die Bayern geht es auch darum, eine rabenschwarze Serie zu beenden: In den vergangenen vier Jahren schieden die Münchner immer gegen eine Mannschaft aus Spanien aus. "Bei der Statistik darf man nicht arrogant oder gar überheblich dahingehen", mahnte Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge.

Andererseits: Seit Jahresbeginn haben die Bayern 13 Partien bestritten und dabei siebenmal vier oder mehr Treffer erzielt, zuletzt beim 6:0-Heimsieg am Samstagabend im Spitzenspiel gegen Borussia Dortmund. Thomas Müller hielt allerdings fest: "Jetzt beginnen die Wochen, für die man die ganzen Vorbereitungen absolviert, im April geht es um alles."

Trainer Jupp Heynckes geht mit der üblichen Abgeklärtheit an die Sache heran. "Das wird eine große Herausforderung, aber der FC Bayern kennt solche Spiele zur Genüge. Uns kann nichts mehr erschüttern", sagte der 72-Jährige am Montag.

Starke Juve-Bilanz gegen Real

In der zweiten Begegnung des Tages kommt es zur Neuauflage des Endspiels aus dem Vorjahr, wenn Juventus Turin Real Madrid empfängt. Real hatte sich im Finale 2017 klar mit 4:1 durchgesetzt und schrieb mit der ersten erfolgreichen Titelverteidigung der Königsklasse Geschichte. Matchwinner war auch damals Ronaldo, der zwei Tore erzielte.

Mit zwölf Treffern führt der Goalgetter die Saisontorschützenliste an. Im ewigen Ranking ist er mit 117 Toren in 15 Saisonen ebenfalls die Nummer eins. Juves Tormannlegende Gianluigi Buffon darf sich somit auf gute Beschäftigung einstellen. "Wir wissen, dass Real Madrid die beste Mannschaft der Welt ist. Mit Hin- und Rückspiel haben wir aber zweifellos bessere Chancen", erinnerte der mittlerweile 40-Jährige an die jüngsten vier K.-o.-Duelle mit Real, die allesamt den Aufstieg für die Turiner brachten. Zuletzt im Halbfinale 2015, als Juventus 2:1 zu Hause gewann und in Madrid ein 1:1 holte. Für Real ist die Champions League die letzte Chance, die Saison noch zu retten, liegt man doch in der Meisterschaft 13 Punkte hinter Barcelona. (sid, APA, red, 2.4.2018)