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Obst, das nicht den Konventionen der Supermärkte entspricht, landet oft im Müll.

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Lebensmittelinspektor Hengl prüft die Temperatur von Aufstrichen. Sie sollen nicht wärmer als vier Grad Celsius sein.

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Mit langsamen Schritten geht er über das mit Schnee bedeckte Feld. Immer wieder bleibt er stehen, beugt sich hinunter und streicht mit dem Finger über die grünen Pflanzenbüschel. "Ein paar hat mir der Frost schon zerstört", sagt Richard Mogg und seufzt. Er reibt die Hände aneinander und kontrolliert das Thermometer, das in einer Box neben dem Feld liegt. "Meine Sommerzwiebeln sollten es schaffen. Im Juli sind die reif."

Mogg ist Landwirt in der kleinen niederösterreichischen Gemeinde Herzogenburg nahe St. Pölten. Auf rund zehn Hektar baut Mogg verschiedene Gemüsesorten an, von A wie Andenbeere bis Z wie Zucchini, wie er sagt. Der 32-Jährige kennt jeden Quadratmeter seines Feldes, schon als Bub hat er seinem Vater bei der Ernte geholfen. Dieser übernahm die Fläche Ende der 1990er-Jahre wiederum von seinem Vater und baute den Anbau kontinuierlich aus.

Richard Mogg betreibt Landwirtschaft im Sinne der community supported agriculture.
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Früher belieferten sie mit der Ernte Supermärkte in Niederösterreich und Wien. "Da musst du als Betrieb wachsen, um mithalten zu können", sagt Mogg, "und im besten Fall nur eine Gemüsesorte anbauen." Form, Farbe und Größe müssen perfekt passen. "Als kleiner Betrieb sind wir da schnell auf die Nase gefallen."

Community Supported Agriculture

Seit fünf Jahren betreibt Mogg seine Landwirtschaft deswegen nach dem Prinzip der "Community Supported Agriculture" (CSA). Rund 200 Personen sind indirekt an seinem Betrieb beteiligt: Sie zahlen jedes Jahr einen fixen Beitrag und bekommen dafür den entsprechenden Teil der Ernte. "Erfolg und Misserfolg werden geteilt. Ist die Ernte gut, gibt es für alle viel, ist sie schlecht, muss sich jeder mit weniger Gemüse begnügen", sagt Mogg.

Einmal pro Woche fährt er alle 13 Verteilstationen in Niederösterreich und Wien an, um die aktuelle Ausbeute zu verteilen. Die Mitglieder holen sich ihren jeweiligen Anteil dann an den Stationen ab. Dass das Gemüse dort nicht immer wie im Supermarkt aussieht, weiß Mogg. "Um krumme Gurken mach ich mir jedenfalls keine Sorgen", sagt er und schmunzelt.

Mogg ist mit seinem Betriebskonzept unter Landwirten in der Minderheit – etwa zwei Dutzend CSA-Initiativen gibt es in Österreich. Die Mehrzahl der Landwirte liefern ihre Lebensmittel nach wie vor an Großmärkte und Handelsketten, wo diese vor dem Verkauf nach bestimmten Kriterien geprüft werden.

Einer, der diese Kontrollen durchführt, ist Alexander Hengl. Hengl arbeitet für die Lebensmittelaufsicht der Stadt Wien, mehrere Male pro Woche fährt er zu Großmärkten, Marktplätzen und Supermärkten, um die dortigen Lebensmittel stichprobenartig zu kontrollieren – an diesem Nachmittag bei einem Merkur in Wien-Penzing.

Hengl, großgewachsen, breite Schultern, eine schwarze Tasche umgehängt, wandert zwischen den Gemüseregalen auf und ab. Er nimmt einen gelben Paprika aus dem Regal, riecht daran und sucht die Unterseite nach Schimmel ab. Dann schnappt er sich einen Karfiol und drückt mit beiden Fingern an der Oberfläche. "Die Oberfläche muss fest sein, und es sollten keine braunen Flecken darauf sein, damit der in die erste Klasse fällt", erklärt Hengl.

Wenig später wirft er sich einen weißen Kittel um und bestimmt mit einem Wärmemessgerät die Temperatur des Fleisches und der Aufstriche in der Theke. "Das sollte bei rund vier Grad gelagert werden", sagt der Lebensmittelinspektor. Er nimmt einzelne Produkte aus den Regalen, kontrolliert, ob das aufgeschriebene Haltbarkeitsdatum nicht überschritten wurde, und legt sie wieder zurück.

Mit geschulten Händen prüft Hengl die Gemüsequalität.
Foto: Newald

Bis zu vier Stunden kann ein Besuch wie dieser dauern. Einen Teil davon macht die Kontrolle der hygienischen Bestimmungen aus, erklärt Hengl: Wie sauber ist es in dem Geschäft, gibt es Waschmöglichkeiten für die Mitarbeiter, sind verdorbene Lebensmittel dabei. Aber auch für die Überwachung der sogenannten Vermarktungsnormen ist Hengl zuständig – das heißt, ob die Lebensmittel der richtigen Klasse zugeordnet sind.

Erdbeernormen

Hengl führt dies anhand der Erdbeeren vor, die er aus einer der verpackten Boxen nimmt. "Unterschieden wird zwischen Klasse extra, Klasse eins und Klasse zwei." Für extra müssen die Erdbeeren noch größer sein – nämlich mindestens 25 Millimeter – und noch röter glänzen als herkömmliche Erdbeeren. Zudem müssen alle Stücke einer Packung denselben Reifegrad aufweisen. "Wundererdbeeren" nennt Hengl die Extraklasse-Erdbeeren. Klasse eins erlaubt da schon ein wenig mehr: Eine kleine weiße Stelle, bis zu einem Zehntel der Fruchtoberfläche ist zulässig, auch kleine Druckstellen an der Oberfläche sind noch erlaubt. Bei Klasse zwei schließlich darf die weiße Stelle bis zu einem Fünftel der Erdbeere ausmachen, auch leichte Spuren von Erde gehen durch.

Die Liste an Vorschriften gilt auch für viele andere Obst- und Gemüsesorten, Hengl selbst braucht einen Schummelzettel, um sie sich alle zu merken. Für die Landwirte und Händler bedeuten die Klasseunterschiede allerdings bedeutende Preisunterschiede. Stellt Hengl beispielsweise in den Großmärkten fest, dass die Klassenbezeichnung aufgrund des Aussehens oder der Form geändert werden muss – etwa weil die Ernte aufgrund ungünstiger Wetterverhältnisse schlechter als sonst ausgefallen ist – kann es sein, dass der Landwirt auf seinem Gemüse sitzenbleibt. Wie viel so jedes Jahr an Lebensmitteln verlorengeht, kann Hengl nicht sagen.

Tausende Tonnen landen im Abfall

"Schon auf dem Feld muss der Landwirt entscheiden, welches Obst und Gemüse er erntet. Zahlen, wie viel am Ende liegenbleibt, weil es nicht den Qualitätsansprüchen genügt, gibt es nicht", sagt Helene Glatter-Götz, Expertin für nachhaltige Ernährung vom WWF Österreich. Rund 74.100 Tonnen an Lebensmitteln werfen Österreichs Supermärkte jedes Jahr in die Abfalltonne.

Bei den Lebensmittelketten Rewe und Spar heißt es auf Anfrage, man befinde sich in einem schwierigen Spannungsfeld zwischen der Vielfalt, die sich Kunden bis zum Ende der Ladenöffnungszeiten wünschen, und der Verwertung der Lebensmittel. "Unsere Kunden wollen immer volle Regale, manche werden richtig ungut, wenn sie eine Sorte nicht mehr bekommen", sagt Dagmar Niemann, Sprecherin bei Rewe. Man arbeite mit Sozialeinrichtungen zusammen, um Lebensmittel weiterzugeben, allerdings sei man auch da an die Vorschriften gebunden: Sensible Produkte wie Fleisch und Fisch dürfen nicht weitergegeben werden. Werden Lebensmittel nach Überschreitung des Haltbarkeitsdatums weitergegeben, hafte dafür der Händler.

Das ist laut Glatter-Götz nur zum Teil richtig: Lebensmittelrechtlich dürfen Supermärkte Produkte auch nach Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums (MHD) noch verkaufen, sie müssen sich allerdings von der Qualität überzeugen und die Kunden darauf hinweisen.

Viele Kunden hätten allerdings immer noch kein gutes Verständnis von dem MHD: nämlich dass die Lebensmittel oft weit nach Ablauf des Datums noch genießbar sind. Mehr Abfall entstehe auch durch Aktionen wie eins plus eins und XXL-Packungen, bei denen sich der Kunde mehr mitnimmt, als er schlussendlich essen kann, meint Glatter-Götz.

Frankreich nimmt Vorreiterposition ein

Initiativen in anderen Ländern zeigen, was möglich ist: So verabschiedete Frankreich vor drei Jahren ein Gesetz, das es Supermärkten verbietet, Essen wegzuwerfen. Supermärkte ab einer Fläche von vierhundert Quadratmetern sind verpflichtet, mit einer Sozialorganisation bei der Lebensmittelspende zusammenzuarbeiten, was zu einem deutlich gestiegenen Angebot für die Tafeln führte.

In Österreich verlässt man sich derzeit auf ein rein freiwilliges System, wie es auf Anfrage aus dem Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus heißt. 6600 Tonnen an Lebensmittel gab der Handel 2013 weiter. "Eine gesetzliche Weitergabe erscheint aufgrund der guten Kooperation nicht erforderlich."

Zahlreiche Initiativen

Initiativen zur Vermeidung von Lebensmittelabfällen gibt es aber auch hierzulande. In der Landwirtschaft etwa durch Modelle wie Lebensmittelkooperativen, bei denen sich Privatpersonen zu Einkaufsgemeinschaften zusammenschließen, oder CSA, wie sie Mogg betreibt, im Handel über Sozialorganisationen wie die Tafeln oder freiwillige Food Saver, die Lebensmittel bei den Händlern einsammeln und an Haushalte verteilen. Auch einige Start-Ups haben sich dem Thema gewidmet: So sammelt das Wiener Start-Up Unverschwendet Lebensmittel-Überschüsse, die in der Landwirtschaft anfallen, um daraus Produkte wie Marmeladen, Sirups und Saucen herzustellen.

Letztlich entscheidet sich auch in den Haushalten, wie viele Lebensmittel im Müll landen. In Österreich wirft jede Person im Jahr durchschnittlich rund 20 Kilogramm an Lebensmitteln weg, die bei rechtzeitigem Konsum genießbar gewesen wären, wie es in einer Studie der Wiener Universität für Bodenkultur (Boku) heißt. Der Einkauf sei schlecht geplant oder die Lebensmittel nicht gut gelagert worden. Auch Reste könnten öfter zu neuen Gerichten verarbeitet werden.

Das Kaufverhalten seiner Kunden kennt auch Mogg in Herzogenburg. Denn auch mit CSA kommt er nicht an der Ästhetik vorbei: Besonders große Zucchini seien zu schwierig zu verteilen. "Aufgeplatzte Rüben kann ich den Mitgliedern auch nicht zumuten." (Jakob Pallinger, 3.4.2018)