Die Aussicht darauf, in den Trümmern der beinahe komplett zerstörten Stadt Marawi tatsächlich noch intakte persönliche Wertgegenstände zu finden, ist gering. Dennoch durften am vergangenen Wochenende erstmals 7.000 Personen für bis zu drei Tage in die Ruinen der ehemals 200.000 Einwohner zählenden Stadt im Süden der Philippinen zurückkehren.

Die extrem intensiven Kämpfe zwischen der Regierung und jihadistischen Rebellen in der Stadt sowie der massive Bombenhagel hatten von Mai bis Oktober 2017 nicht nur mehr als 1.200 Menschen, darunter knapp 90 Zivilisten, das Leben gekostet. Auch die im Zentrum der Kämpfe gelegene, rund vier Quadratkilometer große Innenstadt Marawis wurde zu 95 Prozent dem Erdboden gleichgemacht – mehr als 3.000 Gebäude dabei komplett, 2.000 weitere teilweise zerstört.

Marawi liegt seit den Kämpfen in Trümmern.
Foto: APA/AFP/ Ted Aljibe

Vorausgegangen war den heftigen fünfmonatigen Kämpfen ein seit längerem schwelender interkonfessioneller Konflikt auf den Philippinen. Die Stadt Marawi liegt auf der Insel Mindanao im mehrheitlich muslimischen Süden der großteils christlich geprägten Inselgruppe.

Der Bombenhagel zertörte mehrere tausend Gebäude.
Foto: APA/AFP/ Ted Aljibe

Bereits seit den späten 1960er-Jahren kämpfen dort verschiedenste muslimische Rebellengruppen für weitreichende Autonomie beziehungsweise die Unabhängigkeit. Im Mai 2017 hatten sich jedoch Islamisten auf Mindanao festgesetzt, um dort nach dem Vorbild der Jihadistengruppe "Islamischer Staat" ein Kalifat auszurufen.

Traum vom Kalifat im Westpazifik

Am 23. Mai 2017 hatten rund fünfhundert Kämpfer der mit der IS-Miliz verbündeten Maute-Brüder und der Abu Sayyaf die Stadt gestürmt. Präsident Rodrigo Duterte verhängte umgehend das Kriegsrecht in der gesamten Region, zunächst für 60 Tage. Dieses Kriegsrecht wurde mittlerweile durch Beschlüsse des Parlaments zwei weitere Male verlängert, momentan bis mindestens Ende des Jahres.

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Das einst pittoreske Städtchen am Lanao-See soll möglichst bald wieder aufgebaut werden.
Foto: REUTERS/Romeo Ranoco

Die Maute-Brüder gehörten einst zur Moro Islamic Liberation Front (Milf), brachen mit dieser jedoch, nachdem die Milf in Friedensgespräche mit der Regierung eingetreten war. Sieben Maute-Brüder gründeten daraufhin 2013 unter der Führung von Omarkhayam und Abdullah Maute ihre eigene Terrorgruppe "Dawlah Islamiyah" (Islamischer Staat) beziehungsweise "IS-Ranao". Sie schworen dem IS in Syrien und dem Irak die Treue. Die Gruppe zeichnet für mehrere Anschläge sowie Gräueltaten der letzten Jahre verantwortlich.

Vor Beginn der Kämpfe sollen sich in diesem Haus hochrangige Mitglieder der Maute-Brüder sowie von Abu Sayyaf eingemietet haben.
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Mittlerweile lebt keiner der sieben Brüder mehr. Sie wurden, wie beinahe die gesamte Führungsriege von Abu Sayyaf, von den Streitkräften der Philippinen getötet. Die philippinische Armee kämpft dabei gemeinsam mit der Moro Islamic Liberation Front und der Moro National Liberation Front (MNLF) sowie multilateraler Unterstützung gegen die Islamisten. Die USA lieferten Waffen, zahlreiche andere Staaten gaben geheimdienstliche Unterstützung.

Lange Liste an Problemen

Nachdem Duterte im Oktober 2017 den Sieg über die Jihadistenmiliz verkündet hatte, mussten weite Teile der lokalen Bevölkerung dennoch vorerst auf ihre Rückkehr in das ehemals pittoreske Städtchen am Lanao-See (in der Ortssprache Maranao: Ranao) verzichten. Noch immer sollen nach Angaben der Streitkräfte 53 Blindgänger in der Stadt zu finden sein. Erschwerend hinzu kommen zahlreiche Sprengfallen, die der IS hinterlassen hat.

Samsida Mangcol findet einige Brautkleider in den Überresten ihres zerbombten Brautmodengeschäfts.
Foto: APA/AFP/Ted Aljibe

"Ich habe vor Wut und Schmerz geweint", sagte Samsida Mangcol der Nachrichtenagentur Agence France Presse, als sie am Wochenende in die Stadt zurückkehrte und sah, was von ihrem Brautmodengeschäft übriggeblieben ist. Die 44-jährige Mutter von drei Kindern beklagte: "Ich habe Kleider verliehen, aber nun bin ich eine Bettlerin, die ihre Verwandten um Essen und Kleidung bitten muss."

200.000 Einwohner lebten vor dem Krieg in der Stadt.
Foto: APA/AFP/ Ted Aljibe

Hunderttausende Binnenflüchtlinge befinden sich nach wie vor in den umliegenden Städten, untergebracht großteils bei Verwandten und Freunden. Den hoffnungslos überfüllten Evakuierungszentren fehlt es oft am Notwendigsten. Wann die Menschen endgültig zurückkehren können, wissen sie nicht.

Die seit dem Wochenende laufenden Kurzbesuche sind aber wohl die letzte Chance, Habseligkeiten zu retten, bevor demnächst die großen Bulldozer anrücken, um die Stadt zunächst abzureißen und dann wiederaufzubauen. Alle Konfliktparteien sollen jedoch schon bisher massiv in den Ruinen geplündert haben, was die ohnehin verheerende Situation für die Bevölkerung weiter verschlimmert.

95 Prozent der Gebäude auf einer Fläche von vier Quadratkilometern sind komplett oder stark zerstört.
Foto: APA/AFP/Merlyn Manos
Rückkehrer suchen in den Ruinen nach persönlichen Andenken und Besitztümern und können die Tränen dabei nur selten zurückhalten.
Foto: APA/AFP/ Ted Aljibe

Militarisierung der Region

Die Regierung geht indes gegen mutmaßliche Jihadisten ähnlich gnadenlos vor, wie sie es mit Drogendealern tut, was beides immer wieder für harsche Kritik von internationalen Menschenrechtsorganisationen sorgt. Diese beklagen auch zahlreiche Übergriffe auf Zivilisten durch Militär und Polizei seit Beginn des Konflikts. Die wenig erfreuliche Aussicht auf eine friedvolle Zukunft der demnächst zurückkehrenden Bevölkerung wird dadurch zusätzlich getrübt.

Während die Militarisierung der Region durch die Armee voranschreitet, wird die Entwaffnung der verbleibenden Rebellengruppen weiterhin mit harten Mitteln vorangetrieben. Dutertes Ankündigung, in Marawi während des Wiederaufbaus eine zweite Militärbasis zu errichten, sorgte Anfang des Jahres zudem für heftigen Unmut in der lokalen Bevölkerung.

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Mit Walzen werden mehr als 100 Waffen der IS-Jihadisten medienwirksam vernichtet.
Foto: AP/ Aaron Favila

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Die restlichen Waffen werden per Kreissäge von der Armee vernichtet.
Foto: AP/ Aaron Favila

Die muslimischen Maranaos stellen die Mehrheit in der Region und befürchten, dass durch die zusätzliche Militärpräsenz Mittel für den Wiederaufbau, aber auch dringend benötigter Baugrund verloren gehen. Zugleich ist ihre Angst aber, dass die Autonomiebestrebungen der Region einen weiteren Dämpfer erhalten – sogar von Okkupation ist mitunter die Rede.

Viele befürchten außerdem, dass die erhöhte Militärpräsenz zur weiteren Radikalisierung islamischer Gruppen führen wird, auch wenn sie kurzfristig eine befriedende Wirkung haben könnte. "Das ist das perfekte Rekrutierungsargument für Gruppen wie Maute", sagte die junge Anwältin Moumina Domadalug der Zeitschrift "The Diplomat". Mit der Priorisierung des Camp-Aufbaus "verletzen sie uns auf schlimmstmögliche Art und Weise". (Fabian Sommavilla, 4.4.2018)


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