Wien – Eines gibt Lorenz K. vor dem Geschworenengericht unumwunden zu: Er ist ein Terrorist gewesen. Seinen Treueschwur auf die Terrormiliz "Islamischer Staat" hat der damals 17-Jährige auf dem Quellenplatz in Wien-Favoriten abgelegt, ein Freund hat ihn dabei gefilmt, das Video wurde via Internet an einen IS-Kontaktmann weitergeleitet. Nur: Er habe weder einen Zwölfjährigen dazu angestiftet, einen Selbstmordanschlag auf einem Weihnachtsmarkt in Deutschland zu verüben, noch habe er selbst einen Anschlag geplant.

Seit Mittwoch steht am Wiener Landesgericht ein 19-Jähriger vor Gericht, der im Verdacht steht, einen damals erst 12 Jahre alten Buben zu einem Bombenanschlag auf einen Weihnachtsmarkt im deutschen Ludwigshafen angestiftet zu haben. Dieser Anschlag ist damals zum Glück misslungen. ORF-Reporter Robert Berger berichtet vom Prozess.
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Das behauptet allerdings der Staatsanwalt, der den heute 19-jährigen K. mit einer Mordanklage vor Gericht gebracht hat. Für ihn ist K. ein Mastermind des IS, wie er in seinem fast einstündigen Eröffnungsplädoyer darlegt. K. habe sich ab Mitte 2016 "voll und ganz dem IS verschrieben", ist der Ankläger, der ebenso wie der Vorsitzende in den Medien nicht namentlich erwähnt werden möchte, überzeugt.

"Technisches Unvermögen" bei Nagelbombe

Im Internet besprach K. sich mit Gleichgesinnten, in einem zwölfjährigen Deutschen habe er ein geeignetes Opfer gefunden, das er zu einem Attentat in Ludwigshafen überreden konnte. Er habe dem Buben auch einen Bauplan für eine Nagelbombe übermittelt, die dieser bastelte. Nur "aus technischem Unvermögen" habe er sie bei der Veranstaltung am 26. November 2016 nicht zünden können, sie sei später von der Polizei sichergestellt worden.

K. selbst habe ebenfalls geplant, gemeinsam mit einer 16-jährigen Deutschen, die er kurz zuvor nach islamischem Recht geheiratet hatte, einen Bombenanschlag zu begehen. Das Ziel ist etwas unklar: In Chats spricht er einmal davon, er wolle deutsche Soldaten töten, an anderer Stelle wiederum nennt er als Ziel Ramstein – das allerdings eine Einrichtung der US-Luftwaffe ist.

Laut Ankläger ist K. am 28. November 2016 jedenfalls mit einem One-Way-Ticket nach Deutschland zu einer weiteren Internetbekanntschaft gefahren. Das Duo habe zunächst eine Testbombe gebaut und in einem Park erfolgreich gezündet, dass es zu keinem Anschlag kam, sei wiederum einem Zufall zu verdanken. Der Vater der 16-Jährigen habe Verdacht geschöpft, deren Handy konfisziert und die Polizei alarmiert.

Polizei sah Bild von "Testbombe"

K. wurde zwar in Aachen auf einen Polizeiposten geladen, die Beamten dort entdeckten sogar das Foto der "Testbombe" auf seinem Handy – und ließen ihn doch wieder gehen. Aus Sicht des Staatsanwalts sei K. dadurch aber nervös geworden, habe seinen Komplizen gewarnt und gebeten, den echten Sprengsatz zu vernichten, ehe er nach Österreich zurückkehrte.

Selbst retour in Wien habe er seinem IS-Kontaktmann, von dem man nur den Kampfnamen kennt, noch angekündigt, er wolle nun in Österreich einen Anschlag mit einem Messer verüben. In der Zwischenzeit hatten allerdings die deutschen Polizisten ihre österreichischen Kollegen informiert, elf Tage nach dem Verhör in Aachen wurde K. in Wien festgenommen.

"Vieles von dem, was er Herr Staatsanwalt erzählt hat, stimmt, vieles aber nicht", konzediert Verteidiger Wolfgang Blaschitz zunächst in seinen Eröffnungsworten. Um den Laienrichtern dann zu erklären, dass die schwerwiegendsten Anklagepunkte Humbug sind.

"Kein Heintje-artiger Sängerknabe"

Denn: "Vergessen Sie Ihre Vorstellungen über Zwölfjährige", appelliert er an die Geschworenen. "Der ist kein Heintje-artiger Sängerknabe, kein Klassensprecher – er hat einen Kampfnamen und war aktiver Teilnehmer im Chat 'Muslim Task Force'. Er hat sich Gedanken darüber gemacht, ob es legitim ist, Frauen als Sklaven zu halten", bietet er Einblicke in radikalisierte Gedankengänge.

"Es hat kein Subordinationsverhältnis zwischen dem Zwölfjährigen und meinem Mandanten gegeben", betont Blaschitz, beide seien zum Großteil nicht Täter, sondern Opfer – des geheimnisvollen IS-Kontakts nämlich. K. und der Bub hätten nämlich ab dem 26. November, als sich der Zwölfjährige auf den Weg zum Anschlag machte, keinen Kontakt mehr gehabt. Die von der Polizei sichergestellte Bombe stamme von einem weiteren Versuch des Kindes am 28. November – dazwischen hatte der Bub Kontakt mit dem IS-Kontaktmann, also müsse der der wahre Anstifter für beide Versuche gewesen sein.

"Jugendliche Hirngespinste eines 17-Jährigen"

Und was K.s eigene Attentatspläne angeht: "Das waren jugendliche Hirngespinste eines 17-Jährigen", stellt Blaschitz seinen Mandanten als Möchtegern-Jihadisten dar. Die "Testbombe" sei ein besserer Feuerwerkskörper gewesen, eine echte habe es nie gegeben. Überhaupt habe der Angeklagte wenig Ahnung gehabt: "Der jugendliche Idiot hat Rammstein geschrieben, das ist aber der Name einer Band und nicht der des Ortes. Er hat auch keine Ahnung, wo der überhaupt liegt."

Der vorsitzende Richter versucht zunächst den Werdegang des Angeklagten herauszuarbeiten. Der ist in Wien geborenes Kind albanischer Eltern und hat eine unauffällige Kindheit verbracht. "Religion hat mich nicht interessiert", sagt der großgewachsene K. dem Vorsitzenden, das Thema habe daheim keine Rolle gespielt.

"Mit 14 bin ich dann in den falschen Freundeskreis geraten – auf Partys gehen, kleine Schlägereien, ein bisschen was zum Rauchen", skizziert der 19-Jährige. Die falschen Freunde führten im Endeffekt dazu, dass K. zu 29 Monaten Haft, neun davon unbedingt, verurteilt wurden.

Wut auf den Staat

Sein damals bester Freund, Mitglied der Bande, tötete sich im Gefängnis, auch er sei schlecht behandelt worden, so seine Wut auf den Staat gestiegen. Ein Tschetschene brachte ihn in Wiener Neustadt in Haft dazu, zum Islam zu konvertieren. "Warum haben Sie das gemacht?", interessiert den Vorsitzenden. "Die Belohnung für die Geduldigen hat mich überzeugt", antwortet K., der als islamischen Namen "Sabur" angenommen hat, was "der Geduldige" bedeutet.

Radikal sei er aber nicht gewesen, im Gegenteil, in der Haft habe er die Schule beendet, nach vielen erfolglosen Bewerbungen in Freiheit eine Lehre begonnen. Seine Vorstrafe gab er beim Vorstellungsgespräch nicht an. "Erst in der Berufsschule habe ich mich wieder mit dem Islam beschäftigt. Ich hatte mehrere Leute in der Klasse, das waren mehr Erdoğan-Sympathisanten, mit denen habe ich auch Predigten angeschaut. Von Pierre Vogel." – "Will der den Islam eher in die Neuzeit tragen, oder ist er nach hinten gewandt?", will der Vorsitzende wissen. K. gibt keine klare Antwort.

Dann habe ihn die Vergangenheit eingeholt: Das Gericht schickte eine Gehaltsexekution an seinen Arbeitgeber, der ihn darauf hinauswarf. K. fiel ab März in ein Loch, beschäftigte sich wieder intensiver mit dem Islam und kam schließlich im Internet mit Gesinnungsgenossen in Kontakt.

Lügende Medien

Warum er sich für den IS entschieden habe? "Die Feindschaft zum Staat hat mich angesprochen. Ich habe mich verstanden gefühlt." Der Beisitzer fragt ihn, ob er sich die Gräuelvideos im Internet angesehen habe, wo jemand bei lebendigem Leib verbrannt oder geköpft wird. K. hat das getan, die Erklärungen des IS, warum das notwendig sei, überzeugten ihn aber. Denn: "Die Medien lügen."

Insgesamt versucht der Angeklagte sich als ruhigen, reflektierten Gläubigen darzustellen, manchmal funktioniert das aber nicht so wie gewollt. Beispielsweise als er davon spricht: "Die Schiiten haben uns Muslime eingesperrt." – "Schiiten sind also keine Muslime?", hakt der Vorsitzende sofort nach. K. eiert herum.

Anschuldigungen gegen Verfassungsschutz

Als ihm der Staatsanwalt vorhält, er habe bei seiner ersten Einvernahme beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BVT) noch radikaler geklungen, kommt es zu einer Überraschung. "Der BVT-Beamte Peter K. hat mich geschlagen, nachdem ich ihn beleidigt habe", begründet der Angeklagte, warum die damalige Aussage nicht ganz ernst zu nehmen sei.

"Dem werden wir nachgehen, ganz klar", reagiert der Staatsanwalt professionell, wird dann aber von Verteidiger Blaschitz überrascht. "Wir haben das mit dem BVT schon geklärt, das hat sich hochgeschaukelt, Schwamm drüber", versucht er zu beruhigen. "Ich will auch keine Anzeige machen", versichert dazu K., lernt aber, dass es sich um ein Offizialdelikt handelt, das nun von Amts wegen verfolgt werden muss.

K. begründet jedenfalls unter anderem damit, dass seine Vernehmungen bei der Polizei nicht stimmen würden. "Ich hatte keine Lust mehr auf die Vernehmung", argumentiert er, wenn ihm der Staatsanwalt selbstbelastende Aussagen vorliest. In der Kommunikation mit dem Zwölfjährigen schrieb K. demnach: "Du wirst am jüngsten Tag Deine Körperteile zu Allah bringen, die Du ihm geopfert hast."

Das habe er nie geschrieben, kontert der Angeklagte, das habe er nur gesagt, weil die Polizisten es hören wollten. Warum er in mehreren Polizeivernehmungen gesagt hat, er habe so den Buben zum Anschlag "motivieren" wollen? "Ich habe mich auf die vorherigen bezogen." Und selbst wenn es stimmen würde, würde es beweisen, dass die Anschlagsidee nicht von ihm stamme, sondern er das Kind nur aufgemuntert habe, das Attentat auch durchzuführen.

Der Prozess ist auf mindestens fünf Tage anberaumt und wird am Donnerstag fortgesetzt. (Michael Möseneder, 4.4.2018)