Es gibt einen Begriff in der Robotik, der das unbehagliche Gefühl zum Ausdruck bringt, das menschenähnliche Roboter bei uns Menschen hinterlassen können: das "uncanny valley". Es ist ein Tal des Unbehagens, das auf beiden Seiten in ein ansteigendes Wohlbefinden mündet. Letzteres stellt sich ein, wenn ein Roboter, den wir vor uns haben, so abstrakt ist, dass er kaum etwas Menschliches an sich hat. Es entsteht aber auch, wenn er uns so perfekt ähnelt, dass er kaum noch als Maschine erscheint.

Wer ist wer? Hiroshi Ishiguro (li.) hat sich chirurgischen Eingriffen unterzogen, um seinem Doppelgänger weiterhin ähnlich zu sehen.
Foto: Hiroshi Ishiguro Laboratory / Makoto Ishida

Unheimlich wird es hingegen, wenn ein Roboter fast wie ein Mensch aussieht, aber doch nicht ganz – genau dann befinden wir uns in der Talsohle des "uncanny valley".

Als Paradebeispiele dieser Berg-und-Tal-Fahrt werden gerne die Fabrikate des japanischen Ingenieurs Hiroshi Ishiguro herangezogen. Wie kein anderer Mensch auf der Welt hat er sich damit einen Namen gemacht, Roboter zu entwickeln, die Menschen zum Verwechseln ähnlich sehen. Von sich selbst hat er fünf derartige Kopien hergestellt, die ihn bei seinen zahlreichen Vorträgen in aller Welt begleiten. Sein doppeltes Konterfei ist nicht nur ein vielfach abgelichtetes Motiv für Tech-Portale wie "Wired", sondern diente auch schon als Covermotiv für das wissenschaftliche Fachblatt "Science".

Eine Roboterphilosophiekonferenz des Technikphilosophieprofessors Mark Coeckelbergh an der Universität Wien hat Ishiguro kürzlich nach Österreich geführt. Wie er da so im Hörsaal C1 auf dem Uni-Campus vor dem Auditorium steht, wirkt er viel kleiner als die coverfüllende Person, die man schon so oft gesehen hat. Er wirkt schüchtern, beinahe zerbrechlich. Seine schwarze Lederjacke, die er den ganzen Tag über anbehalten wird, mutet wie ein Schutzschild an. Mit einer umständlichen Handbewegung richtet er alle paar Minuten die vorderen Strähnen seiner buschigen, schwarzen Haare. Bis er schließlich zu sprechen anfängt, wagt man kaum, sicher zu sein: Ist er es oder einer seiner androiden Doppelgänger?

Doch, es dürfte schon der "richtige" Ishiguro sein – wir schreiben das Jahr 2018, und die maschinellen Sprachfähigkeiten sind noch nicht derart entwickelt, dass ein ganzer Hörsaal voller Philosophen auf eine Täuschung hereinfallen könnte, oder?

Während man sich also zunehmend sicher glaubt, dass es schon ein Mensch ist, dem man hier beim Sprechen zuhört, bekommt man immer mehr Fotos und Videos von androiden Robotern präsentiert, quasi in allen Lebenslagen: Roboter als Lehrer, Roboter in der Altenbetreuung, Roboter als Restaurantservicepersonal und so weiter. Geht es nach Ishiguro, gibt es keinen Lebensbereich, in dem Roboter keinen Platz haben könnten und schon gar nicht sollten. Was uns zu einer Frage führt, die wir Ishiguro später im Interview gemeinsam mit einem belgischen Journalisten von der Wirtschaftszeitung "De Tijd" stellen werden, als sich die Möglichkeit ergibt, ihn zu zweit eine Stunde lang zu seiner Forschung zu befragen:

STANDARD: Was ist die Mission, die Sie in Ihrer Arbeit verfolgen?

Ishiguro: Ich bin Wissenschafter und Ingenieur. Ich will etwas Neues entwickeln – das ist für einen Wissenschafter und Ingenieur wirklich wichtig. Ich tue das, indem ich menschenähnliche Roboter entwickle.

Die größte Herausforderung bei der Konstruktion von menschenähnlichen Robotern ist die Haut. Bei den Androiden von Hiroshi Ishiguro wird sie alle paar Jahre erneuert.
Foto: Hiroshi Ishiguro Laboratory

STANDARD: Warum liegt Ihnen so viel daran, Roboter zu entwickeln, die den Menschen möglichst ähnlich sehen?

Ishiguro: Der Grund dafür ist, dass ich die Interaktion zwischen Menschen und Robotern erforschen will. Der humanoide Roboter ist also das Testobjekt, um Funktionen von Menschen zu studieren.

STANDARD: Momentan existieren von Ihnen fünf androide Kopien. Welche davon mögen Sie am liebsten?

Ishiguro: Die letzte ist immer die beste.

STANDARD: Und warum?

Ishiguro: Die alten sind meine alten Gesichter. Die neueste hat die größte Ähnlichkeit mit mir, und sie hat bessere Funktionen und bessere Mechanismen als frühere Versionen. Sie hat auch natürlichere Gesichtszüge – wir verbessern die Technologie immer weiter.

STANDARD: Warum wollten Sie einen Roboter entwickeln, der genauso wie Sie selbst aussieht?

Ishiguro: Um zu verstehen, was der Mensch ist. Mir ist der Mensch wichtiger als der Roboter. Was ist der Mensch? Das ist die Frage, der ich nachgehe.

STANDARD: Sie arbeiten seit zwei Jahrzehnten mit Robotern – was haben Sie denn bisher über Menschen gelernt?

Ishiguro: Sehr viele Dinge, aber vor allem technischer Natur – wie man Gesichtszüge imitiert, wie körperliche Bewegungen ablaufen. Was die Basis des Menschen angeht, sind es recht kleine Einsichten. Wir sind dabei, zu untersuchen, wie man gute Konversationen führen kann – zu zweit und zu dritt. Doch das menschliche Verhalten ist wirklich sehr kompliziert.

Hiroshi Ishiguros bislang perfektester Android ist Erica – hier vor der Kamera.
The Guardian

STANDARD: Als Sie begonnen haben, an Androiden zu arbeiten, war das noch ein recht unbekanntes Forschungsgebiet – wie ist das heute?

Ishiguro: Androiden sind immer noch ein sehr spezielles Forschungsgebiet. Es gibt kein anderes Team, das Androiden herstellen kann, die so perfekt sind wie unsere.

STANDARD: Was ist das Schwierigste dabei?

Ishiguro: Der Gesichtsausdruck und die Haut sind sehr schwer nachzubauen, es gibt dabei viele komplizierte Herausforderungen. Daher eignen sich Androiden nicht gut für die Massenproduktion.

STANDARD: Woraus besteht die Haut Ihrer Androiden?

Ishiguro: Aus Silikon. Das Problem ist, dass es nicht sehr robust ist. Wir müssen die Haut daher alle paar Jahre erneuern.

STANDARD: Und wie erzeugen Sie die Gesichtsausdrücke?

Ishiguro: Dafür gibt es viele kleine Motoren im Gesicht. Darin besteht unser wichtigstes Know-how.

STANDARD: Wie viel kostet es, so einen Androiden herzustellen?

Ishiguro: Das hängt stark von den eingebauten Funktionen ab, liegt aber mindestens bei 200.000 US-Dollar (umgerechnet rund 160.000 Euro, Anm.). Das ist das Minimum.

STANDARD: Ist es auch notwendig, einen Prozess des Alterns zu erzeugen, damit Ihr Android Ihnen auch künftig ähnlich sieht, wenn Sie gealtert sind?

Ishiguro: Es ist besser, das Design zu verändern. Alle Androiden älter zu machen ist sehr aufwendig, deswegen erzeuge ich alle paar Jahre einen neuen Androiden. Außerdem nutze ich medizinische Technologien, um mich zu verjüngen.

STANDARD: Sie arbeiten derzeit daran, die Konversationsfähigkeiten von Robotern zu verbessern – was sind die Herausforderungen dabei?

Ishiguro: Es geht um das Begehren – wir versuchen, es in Robotern zu installieren. Die Frage ist: Was ist eine gute Konversation? Ein Roboter erfüllt einfach die Aufträge der Menschen. Wenn ein Roboter aber Begehren oder Absichten hätte, könnte er viel authentischere Konversationen führen. Die Idee ist also: Wir installieren im Roboter Begehren, und der Roboter agiert dann basierend darauf.

Der androide Roboter Erica gehört zu den menschenähnlichsten Entwicklungen von Hiroshi Ishiguro. Der Ingenieur ist überzeugt, dass "sie" eine Seele hat.
Foto: Hiroshi Ishiguro Laboratory

An dieser Stelle wird Ishiguro still, klappt seinen Laptop auf und klopft in die Tasten. Die ungewöhnlich abrupte Unterbrechung des Gesprächs ist merkwürdig, bietet aber immerhin eine willkommene Möglichkeit, über das nachzudenken, was Ishiguro soeben gesagt hat: Begehren installieren – im Ernst?

Doch bevor wir ihn das fragen, interessiert uns, was hier gerade vor sich geht:

STANDARD: Was schreiben Sie eigentlich auf dem Computer?

Ishiguro: Ich muss kurz einen Gedanken notieren. Das ist der Grund, warum ich Interviews mache: Journalisten stellen andere Fragen als Wissenschafter. Deswegen können Sie mir Inspirationen aus einer ganz anderen Perspektive geben. Ich genieße Interviews, weil sie mich in der Forschung weiterbringen. Was ich jetzt gerade notiert habe, war: Das Problem ist, dass wir das Verhältnis von Begehren, Erfahrungen und Gefühlen herausfinden müssen.

STANDARD: Was meinen Sie damit?

Ishiguro: Wir haben es geschafft, künstliche Intelligenz zu erzeugen, es ist uns auch gelungen, Gefühle in Form von emotionalen Ausdrücken bei Robotern zu erwecken. Die Herausforderung für das nächste Jahrzehnt ist, Bewusstsein und Begehren zu erzeugen.

STANDARD: Glauben Sie tatsächlich, dass das möglich ist?

Ishiguro: Natürlich! Wenn wir als Wissenschafter denken, dass es unmöglich ist, würden wir nicht daran forschen.

STANDARD: Liegt die Erzeugung von Bewusstsein nicht jenseits mechanischer und elektronischer Fertigkeiten?

Ishiguro: Nein. Glauben Sie, dass ich ein Bewusstsein habe?

STANDARD: Ja, ich denke schon.

Ishiguro: Warum?

STANDARD: Das sagt mir mein Gefühl.

Ishiguro: Eben! Die Menschen fühlen etwas, das man nicht erklären kann – das ist die Schwierigkeit. Logisch verstehen Sie, dass ich ein Mensch bin. Ich habe einen lebendigen Körper aus Fleisch und Blut, also nehmen Sie an, dass ich ein Bewusstsein habe. Wenn ich aber meinen Körper öffne und Sie überall mechanische Bestandteile sehen, würden Sie wahrscheinlich Ihre Meinung ändern.

STANDARD: Wahrscheinlich schon.

Ishiguro: Sie können Ihre Meinung über das Bewusstsein also sehr schnell ändern. Das ist die Schwierigkeit: Bewusstsein ist nicht objektiv feststellbar.

Kaum ein Android kann so perfekt sprechen wie Erica. Die jüngste Aufgabe, die ihr dadurch zufällt: Im April startet sie als Moderatorin im japanischen Fernsehen.
Foto: Hiroshi Ishiguro Laboratory

STANDARD: Sie haben zuvor gesagt, dass Sie an Robotern arbeiten, weil Sie etwas über den Menschen lernen wollen. Was zeichnet den Menschen aus?

Ishiguro: Es ist die Technik. Der Nutzen von Technik ist das, was den Menschen vom Tier unterscheidet. Letztlich trägt auch die Entwicklung von Robotern dazu bei, was es heißt, ein Mensch zu sein.

STANDARD: Sind Sie schon einmal als moderner Frankenstein bezeichnet worden?

Ishiguro: Es hat mich schon einmal jemand als verrückten Professor bezeichnet. Ich finde das aber nicht, ich mache ehrliche Forschung. Auch Sie haben Fragen an Menschen, deswegen interviewen Sie mich. Ich mache genau dasselbe, nur stelle ich meine Fragen im Labor.

STANDARD: Wie würden Sie Ihre Beziehung zu Ihren Androiden beschreiben?

Ishiguro: Für mich gilt: Ein Roboter ist ein Werkzeug, um Forschung zu betreiben. In Japan gehen wir davon aus, dass viele Dinge so etwas wie eine Seele haben – auch Roboter. Meine Beziehung zu ihnen ist aber vergleichbar mit der zwischen einem Arzt und seinen Patienten. Ich habe keine persönliche Beziehung zum Roboter. Meine Rolle ist es, zu beobachten.

STANDARD: Wie wir gelesen haben, hat aber einer Ihrer Studenten für einen Roboter Gefühle entwickelt – wie ist das passiert?

Ishiguro: Das ist eine wirklich peinliche Geschichte. Dieser Student war nicht richtig krank, aber er war sehr einsam.

STANDARD: Können Roboter denn keinen Ausweg aus der Einsamkeit bieten?

Ishiguro: Das hängt von den jeweiligen Menschen ab. Autistische Kinder etwa lieben es, mit Robotern zu sprechen, aber sie hassen die Kommunikation mit Menschen. Auch alten Menschen könnte der Kontakt mit Androiden sehr helfen.

STANDARD: Wie sieht es mit physischer Intimität aus – denken Sie, dass es gang und gäbe sein wird, körperlich mit Robotern intim zu sein?

Ishiguro: Warum nicht? Der Roboter ist eine physische Entität. Sexroboter sind ein mögliches Anwendungsfeld meiner Forschung. Bei Menschen, die kein normales Sozialverhalten haben, können Roboter eine Lösung sein. Ich spreche nicht von normalen Menschen, sondern von solchen, die spezielle Probleme oder Bedürfnisse haben.

STANDARD: Denken Sie, dass es gut wäre, wenn immer mehr Menschen Beziehungen mit Robotern eingehen?

Ishiguro: Warum sollte es schlecht sein? Manche Menschen können keine normale Beziehung mit Menschen eingehen. Durch Roboter könnte sich unsere Gesellschaft verbessern. Letztlich wollen wir jeden Menschen durch den Einsatz von Technologie unterstützen.

Für ältere Menschen oder Kinder setzt Ishiguro abstrahierte Roboter ein – von Androiden würden sich Jung und Alt laut seiner Beobachtung abgeschreckt fühlen.
Foto: Hiroshi Ishiguro Laboratory

STANDARD: An welche Bereiche denken Sie?

Ishiguro: Zum Beispiel an die Erziehung: Es gibt so viele schlechte Eltern auf dieser Welt – Eltern, die ihre Kinder schlagen. Roboter behandeln die Menschen aber immer sehr behutsam. Androiden wären besser als schlechte Eltern.

STANDARD: Woran könnte es liegen, dass viele Menschen die Vorstellung, von Androiden erzogen zu werden oder ihnen auch nur zu begegnen, gruselig finden?

Ishiguro: Gruselig? Nein!

STANDARD: Was sagen Sie zum "Uncanny valley"-Effekt?

Ishiguro: Diesen Effekt gibt es, aber bei Robotern, die wie Zombies aussehen. Wir haben diesen gruseligen Effekt mit unseren Androiden bereits überwunden.

STANDARD: Denken Sie, dass sich humanoide Roboter künftig in großer Zahl in unsere Gesellschaft vollständig integrieren werden?

Ishiguro: Ja, selbstverständlich! Jetzt ist der Roboter noch eine Art Maschine, ein Werkzeug für uns, aber das menschliche Gehirn ist ja eigentlich auch nichts anderes als eine sehr komplexe Maschine. Wenn Roboter erst einmal autonom agieren, wird unsere Beziehung zu Ihnen viel komplizierter und menschenähnlicher werden. Der Kern Ihrer Frage ist aber nicht uninteressant: Die menschliche und die androide Gesellschaft werden sich verweben – das muss ich mir gleich notieren. (Tanja Traxler, 23.4.2018)