Ob sich Viktor Orbán nach der Wahl uneingeschränkt freuen kann, bleibt ungewiss: Das Wahlsystem, das ausgerechnet seine Fidesz-Partei 2011 mit ihrer damaligen Zweidrittelmehrheit geschaffen hat, könnte zum Bumerang werden.

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Eigentlich könnten Ungarns Premier Viktor Orbán und seine rechtsnationale Regierungspartei Fidesz der Parlamentswahl am Sonntag entspannt entgegensehen. Umfragen sehen Fidesz weit vor den politischen Mitbewerbern. Und doch gibt es einiges, das Orbán Kopfzerbrechen bereitet. Neben der noch relativ großen Anzahl von Unentschlossenen ist das vor allem das derzeit geltende Wahlsystem – jenes System, das ausgerechnet die Fidesz-Partei 2011 mit ihrer damaligen Zweidrittelmehrheit geschaffen hat.

Das ungarische Wahlrecht kombiniert Elemente von Mehrheits- und Verhältniswahl. Jeder Wahlberechtigte hat zwei Stimmen: eine für einen Kandidaten oder eine Kandidatin aus dem jeweiligen Wahlkreis und eine zweite für eine Parteiliste. Eine ähnliche Mischform gab es zwar bereits vor 2011, doch wurde der Anteil der direkt gewählten Mandatare danach deutlich erhöht. Die Reform lief also auf eine Stärkung der Mehrheitswahl hinaus, was in der Regel der stärksten Partei zugutekommt.

Nur 93 der 199 Parlamentssitze gehen seither aus nationalen Parteilisten hervor und werden – ähnlich wie in Österreich – nach dem Verhältniswahlrecht vergeben. Die übrigen 106 Mandatare werden in 106 Wahlkreisen direkt gewählt, und zwar in nur einer Runde: Wer in einem Wahlkreis die meisten Stimmen bekommt, zieht sofort ins Parlament ein. Genau hier liegt einer der Knackpunkte der Reform: Vorher nämlich durften in den Einerwahlkreisen jeweils mindestens drei Kandidaten in einer Stichwahl gegeneinander antreten. Wer wollte, konnte sich vor Runde zwei aber auch zurückziehen, Absprachen unter den Oppositionsparteien wurden dadurch leichter.

Hoffnung auf Direktmandate

Mit der Reduktion auf nur einen einzigen Wahlgang erhoffte Orbán sich 2011 mehr Chancen für seine Parteigänger – eine Rechnung, die bei der Wahl 2014 auch aufging. Sollte aber die Stimmung in mehreren Wahlkreisen kippen, etwa aufgrund von Korruptionsaffären rund um diverse Orbán-Günstlinge, könnte sich genau diese Taktik als Bumerang erweisen. Vielerorts werden derzeit Allianzen geschmiedet, die einem der Oppositionskandidaten die relative Mehrheit – und damit ein direktes Abgeordnetenmandat sichern sollen.

Dass dies durchaus Erfolg haben könnte, hat im Februar die Bürgermeisterwahl in der südostungarischen Fidesz-Hochburg Hódmezovásárhely gezeigt, in der ein Oppositionspolitiker überraschend hoch gewonnen hat. Ob die Taktik auch bei Parlamentswahlen gelingen kann, das ist vor den Wahlen am Sonntag die Gretchenfrage. Bei der erfolgsverwöhnten Fidesz-Partei sorgt sie derzeit immerhin für einige Nervosität.(Gerald Schubert, 5.4.2018)