Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen errichtet in Akobo ein neues Spital.

Foto: Standard\Dieterich

In der Nähe stationierte Regierungstruppen lassen die Helfer das Schlimmste befürchten. Die Stadt gilt als letzte größere Bastion der Rebellen.

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Sie werden kommen", sagt Stephane Reynier de Montlaux und steckt sich eine Zigarette an, "spätestens wenn der Fluss ausgetrocknet ist." Der Franzose sitzt vor seinem Zelt im Schatten eines Baumes, es hat 43 Grad: Auf dem Plastiktisch sein Laptop und zwei Packerln Zigaretten, die am Abend leer sein werden. Im Baum sitzt eine Schar zwitschernder Vögel, und am Himmel fliegt ein Pelikan: Nichts deutet darauf hin, dass hier bald ein Krieg toben könnte.

Auch außerhalb des Stützpunkts von Ärzte ohne Grenzen (MSF) in Akobo, einem im äußersten Osten des Südsudans gelegenen Städtchen, geht es entspannt zu: Vom Fluss bringen Fischer ihren Fang auf den Markt, Frauen stampfen Hirse und Kinder spielen Fußball im Staub. In der mehrere Zehntausend Einwohner zählenden Stadt ist kaum eine Waffe zu sehen, obwohl Akobo der letzte größere Stützpunkt der rebellischen "Südsudanesischen Volksbefreiungsbewegung in Opposition" (SPLM-IO) ist, die sich vor vier Jahren von der regierenden SPLM abspaltete.

Kriegerische Zeitgeschichte

Seitdem herrscht in dem 2011 unabhängig gewordenen jüngsten Land der Welt wieder Krieg wie – mit nur kurzen Unterbrechungen – seit 62 Jahren. Kein anderes Land blickt auf eine ähnlich kriegerische Zeitgeschichte zurück – und in kein anderes Land ist in den vergangenen Jahrzehnten mehr Nothilfe geflossen.

Auf dem Flughafen der Hauptstadt Juba sind mehr als 50 Propellermaschinen geparkt: Ihre Aufschriften weisen sie als Eigentum der UN, des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes (ICRC) oder von Ärzte ohne Grenzen aus. Gemeinsam mit den riesigen Antonow-Transportern des Welternährungsprogramms (WFP) hält die Flotte die südsudanesische Staatsruine zusammen.

Jubas Budget wird auf 350 Millionen US-Dollar geschätzt, die ausländische Hilfe auf fast zwei Milliarden. Für MSF ist der Südsudan das weltweit größte Einsatzgebiet: Mehr als 3000 lokale und 300 ausländische Beschäftigte der Organisation sorgen sich um das Überleben der von Krieg, Hunger und Krankheiten gepeinigten Bevölkerung.

Regierungstruppen warten

Reynier de Montlaux ist erst seit wenigen Tagen im Camp – seine Organisation kümmerte sich bisher um bedürftigere Orte. Akobo liegt direkt am fischreichen Akobo-Fluss und an der Grenze zu Äthiopien. Das sorgte unter der Bevölkerung bisher noch für Entspannung. Nun aber will die Regierungsarmee die letzte Bastion der Rebellen einnehmen: Die SPLA-Soldaten stehen in der knapp 150 Kilometer entfernten Stadt Waat – mit Panzern, Hubschraubern und Geschützen. Ohne Widerstand könnten sie in vier Stunden in Akobo sein, sagt Reynier de Montlaux: Sie warten offenbar nur noch auf das Austrocknen eines Zulaufs zum Fluss, in dem sie stecken bleiben könnten.

Die Wartezeit ermöglicht es den Helfern, dass sie sich auf den Notfall vorbereiten können. Auf der Flucht vor den SPLA-Truppen würde die Mehrheit der Bevölkerung nach Norden in Richtung des knapp 50 Kilometer entfernten Dorfs Keir ausweichen, spekuliert Reynier de Montlaux: Wenn die Notärzte den vom Krieg Vertriebenen oder Verwundeten tatsächlich helfen wollen, müssten sie ihren Einsatzort dorthin verlegen.

Antwort auf Kriegspläne

"Proaktiv", nennt der Exoffizier die Vorgehensweise seiner Organisation: Ständig studieren die MSF-Strategen die Pläne der Bürgerkriegsparteien, um darauf die beste Antwort zu finden. Das ist einerseits vorbildlich, weil ihre Hilfe damit effektiver wird – doch gleichzeitig droht die Arbeit der Humanitären so zu einem Teil des Kalküls der Kämpfer zu werden.

Denn Rebellen wie Regierungssoldaten können damit rechnen, dass sich die Hilfsorganisation im Ernstfall auch um sie kümmern wird: "Sobald sie verwundet und unbewaffnet sind", sagt der die Schweizer MSF-Sektion im Südsudan leitende Münchner Raphael Veicht, "werden sie von uns nach den Grundsätzen des humanitären Völkerrechts als hilfsbedürftige Zivilisten behandelt". Zumindest die Rebellen verfügen nicht einmal über eine eigene Sanitätsabteilung: Bei Gefechten nehmen sie die Dienste von MSF oder dem ICRC in Anspruch. "In gewisser Weise", räumt Reynier de Montlaux ein, "werden wir damit Teil der Kriegsmaschinerie."

Feilschen um Abgaben

Der Ex-Offizier muss nach Keir, um mit dem dortigen Verwalter zu reden. Der verlangt 1.200 US-Dollar als "Zoll" für die Baumaterialien, die zur Errichtung des MSF-Spitals aus Äthiopien eingetroffen sind: Doch Reynier de Montlaux will ihm 500 Dollar geben. Längst gehört das Feilschen um Gebühren zum Alltag. Kürzlich wollte die Regierung den internationalen Organisationen 10.000 Dollar für die ein Jahr lang gültige Arbeitserlaubnis abknöpfen. Da drängt sich dann die Frage auf, ob die Anwesenheit der Helfer den endlosen Konflikt nicht noch weiter verlängert. Richtet das ausländische Helferheer etwa mehr Unheil an, als es verhindert?

Auf dem Gelände der Volksschule ist soeben eine Gruppe von Flüchtlingen eingetroffen. Sie sind den Kämpfen entflohen, zu denen es an der Front immer wieder kommt. Das Dorf, in dem die mehr als 70-jährige Nyaruach Kuon ihr bisheriges Leben verbrachte, wurde vor wenigen Tagen von Regierungssoldaten angezündet. Auf dem Weg hierher seien sie von Soldaten aufgerieben worden, berichtet Großmutter Kuon. Dabei wurden sowohl ihr Sohn als auch ihre Schwiegertochter erschossen. Es war ihr vierter und letzter Sohn, der dem Bürgerkrieg zum Opfer fiel, auch zwei ihrer Onkel fanden den Tod. "Ich habe geweint, bis sich meine Augen entzündet haben", fährt die Großmutter fort: Vom Weinen und der Entzündung sei sie schließlich erblindet. (Johannes Dieterich aus Akobo, 5.4.2018)