Angeblich soll dem Gemüse anhaftender Schmutz Vitamin B12 enthalten, das es selbst nicht produzieren kann, aber ich war nicht am Verzehr dreckiger Karotten interessiert und behalf mir mit einem Vitaminpräparat.

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Im Frühjahr 2012, ich machte damals eine Krise durch, wies mich mein Internist, den Kopf sorgenvoll schräggelegt, darauf hin, dass bei etlichen meiner Stoffwechselparameter Verbesserungsbedarf bestehe, und kein geringer. Der Veganismus war schon damals stark en vogue, also entschloss ich mich dazu, den ärztlich empfohlenen Lebensstilwandel durch einen Wechsel zu dieser Verköstigungsform zu absolvieren: Servas, ihr Steaks, adieu, liebe Eier, lebt wohl, ihr Würste und so fort. Die Tiere durften sich vor mir sicher fühlen, und obwohl es nicht mein Hauptbeweggrund war, ihnen Leid zu ersparen, war ich doch in den folgenden drei Jahren häufig stolz drauf, dies zu tun.

Das Regelwerk der veganen Ernährung ist einfach – Verzicht auf jedes vom Tier herrührende Nahrungsmittel -, sie in die Praxis umzusetzen ist komplizierter. Als am wenigsten kompliziert erachtete ich die Gefahr eines Vitamin-B12-Mangels, die in Einführungen in die vegane Lebensweise regelmäßig an die Wand gemalt wird. Ich fürchte, dass ich als medizinischer Laie nicht in der Lage war, eine wissenschaftlich wasserdichte Vorstellung von einem sachgerecht optimierten Vitamin-B12-Stoffwechsel zu erwerben. Angeblich soll dem Gemüse anhaftender Schmutz Vitamin B12 enthalten, das es selbst nicht produzieren kann, aber ich war nicht am Verzehr dreckiger Karotten interessiert und behalf mir mit einem Vitaminpräparat. Mangelerscheinungen habe ich nie verspürt.

Und Schokolade?!

Komplizierter kann es manchmal sein, zu entscheiden, ob ein Lebensmittel nun rein pflanzlich ist oder nicht. Eine Leberkässemmel oder eine Bratwurst fallen beim Veganismustest mit Bomben und Granaten durch, das ist klar, aber wer weiß denn schon ohne weiteres, dass es, pfui, pfui, in der so arglos pflanzlich wirkenden Worcestershiresauce auch tierisch abgeht: Sardellen! Wenn es sich ganz blöd abspielt, halten Sie sich jahrelang für einen lupenreinen Veganer, sind aber, weil Sie dauernd Ihren Salat mit Worcestershiresauce anmachen, in Wahrheit keiner, sondern ein hundsordinärer Fleischfresser! Ein klassischer Zweifelsfall ist auch Schokolade (Milch drin oder nicht? Kein Problem: einfach auf der Verpackung recherchieren), und nicht selten müssen Sie in einem Gasthaus nachfragen, ob in dem, was der Koch zusammengemanscht hat, Viehzeug und Viehzeugprodukte drin sind oder nicht. In manchen Landgasthäusern erweckt man mit dieser Frage schneller als einem lieb ist den Eindruck, man sei ein affektierter Esel.

Am kompliziertesten ist es, das durch den Wegfall von Schnitzeln, Eiern, Wurst und Käse entstandene Vakuum zu füllen. Die marktgängigen, aus allen erdenklichen Zutaten fabrizierten Fleisch- und Wurstsimulationen mögen manchem Veganismusnovizen bei der Umstellung geholfen haben. Ich persönlich stehe Pflanzenwürsten und Pflanzensteaks eher skeptisch gegenüber, auch wenn manche – wahrlich nicht alle – dieser Produkte in Konsistenz und Geschmack dem "real thing" erstaunlich nahe kommen. Das ist ja auch gut so, weil es sich inzwischen herumgesprochen hat, dass exorbitanter Fleischverzehr dem Bestand unseres Planeten alles andere als zuträglich ist.

Der "Eh scho wurscht"-Effekt

In der traditionellen österreichischen Küche wird man wohl ein paar rein pflanzliche Speisen finden (Krautfleckerl), aber wenn man vegan essen und auf Ernährungsvielfalt Wert legen will, kommt man an einer ausführlichen Beschäftigung mit der internationalen Küche, namentlich der indischen, aber auch der chinesischen, levantinischen, italienischen oder karibischen nicht vorbei. Das dabei erworbene Wissen um die enorme Kreativität, die ganz unterschiedliche Kulturen bei der Zubereitung von Nichtfleischlichem an den Tag legen, möchte ich nicht missen, es kommt mir auch in der postveganen Phase, in der ich mich befinde, oft zugute. Paste e lenticche, Gajar no sambharo und Turshi alubalu, sie leben hoch!

Wieso ich diesen Artikel im Status des Postveganers schreibe? Ich kann nicht mehr in jedem Detail nachvollziehen, wie der Prozess verlief, der mich nach drei Jahren vom rein pflanzlichen Weg abgebracht hat. Ein Überdruss am organisatorischen Aufwand hat mitgespielt. Auch ein gewisser Schlendrian riss ein, als ich immer öfter von einem nährstoffbewussten, der Gesundheit sehr zuträglichen Veganismus in einen Bier-, Pudding- und Soletti-Veganismus abdriftete. Die prompt sich einstellende gesundheitliche Verschlechterung führte ihrerseits zu einem "Eh scho wurscht"-Effekt, und irgendwann war es dann halt aus mit dem Veganismus. Mein Organismus reagierte, bizarr, wie ich finde, mit einem Craving nach spanischen Chorizos, dem ich einen Monat lang hemmungslos nachgab.

Ich bereue meine veganen Jahre keineswegs, fühlte mich nicht gepflanzt, habe gesundheitlich profitiert, vieles gelernt und verspüre auch heute noch eine manchmal gelinde, manchmal ausgeprägte Aversion gegen Fleisch und Ei. Eine Rückkehr ins Pflanzenland habe ich deswegen noch nicht ins Auge gefasst, aber ich bin mir sicher, dass sich das schnell ändern könnte. (Christoph Winder, 9.7.2018)