Bild nicht mehr verfügbar.

Die Darstellung des Menschen als Großwildjäger ist beliebt. Fleisch wurde bis in die jüngste Vergangenheit jedoch eher selten verzehrt.

Illustration: Picturedesk / Science Photo Library

Bild nicht mehr verfügbar.

Seit mindestens 500.000 Jahren nutzen Menschen Feuer zur Nahrungszubereitung und können so Kohlenhydrate besser verwerten.

Illustration: Picturedesk / Science Photo Library

Die Aromen von Reisgerichten aus unterschiedlichen Ecken der Welt in einem anthropologischen Museum in der Nase haben: Wo, wenn nicht in Frankreich? Das Pariser Musée de l'Homme möchte an die menschlichen Sinne appellieren und dabei die biologischen wie kulturellen Eigenheiten unseres Seins veranschaulichen. Uneingeschränkter Ausblick auf den Eiffelturm inklusive. Und warum gerade Reis? "Dabei handelt es sich um das weltweit meistgegessene Nahrungsmittel", sagt Marcel Hladik, ehemaliger wissenschaftlicher Direktor am nationalen Forschungszentrum CNRS.

Jahre seines Lebens hat er in Regenwäldern "auf der Suche nach einer idealen Ernährungsweise von Menschen und anderen Primaten" verbracht – so heißt auch das Werk in französischer Sprache, welches er im vergangenen Jahr veröffentlichte. Das Resümee seiner Forschung zeigt: Unser Verdauungstrakt ist am ehesten mit jenem frugivorer Primaten, also Affenarten, die sich vor allem von Früchten im weitesten Sinne ernähren, vergleichbar. Ihr Speiseplan ist wesentlich facettenreicher als der reiner Fleisch- oder Blätterfresser, deren Körper sich auf die einheitliche Nahrungsquelle spezialisiert haben. Zu den Anpassungen gehören lange Blinddärme, in denen die zellulosehaltigen Blätter verdaut werden, nachdem sie von flachen Mahlzähnen aufgebrochen wurden – oder aber das scharfkantige Gebiss vieler Raubtiere.

Kochen und Gehirnentwicklung

"Im Vergleich dazu sind unsere Zähne ziemlich langweilig", findet Peter Ungar, Paläoanthropologe und Direktor für Umweltdynamik an der Universität Arkansas. Eine Adaptation an unterschiedliche Nahrungsmittel schien in den vergangenen sechs bis sieben Millionen Jahren aber sinnvoll: "Einerseits ist das Klima global tendenziell kühler und trockener geworden, andererseits traten immer stärkere und schnellere Umschwünge auf."

Um flexibler zu sein, verbreiterte sich das Nahrungsspektrum besonders zum Ende der Australopithecinen hin und zu Beginn der Gattung Homo. Ungar sagt: "Das hat es unserer Art erlaubt, die Welt zu erobern: Wir sind die einzige Säugetierspezies, die sich vom Äquator bis hin zu den Polen ansiedelt – abgesehen von Ratten, unseren Anhängseln."

Dies dürfte aber auch dem Kochen zu verdanken sein. Der populärste Vertreter dieser nicht unumstrittenen These ist der britische Primatologe Richard Wrangham. Er geht davon aus, dass das Aufschließen schwer verdaulicher Kohlenhydrate über dem Feuer noch wichtiger für die Entwicklung unseres Gehirns war als ein Anstieg im Fleischverzehr. Betrachtet man nur die Datierungen von Werkzeugspuren an Tierknochen, so liegen die Beweise für Fleisch- und auch Knochenmarkkonsum weiter zurück als nachweisbare Feuerstellen: Erstere sind rund 2,5 Millionen Jahre alt, die prähistorischen Lagerfeuer des Homo erectus in Kenia liegen bei 1,6 Millionen Jahren. Robustere Schätzungen gehen von einem regelmäßigen Gebrauch von Feuer seit etwa 500.000 Jahren aus.

Aufstieg des Küchenwerkzeugs

Durch gekochte Nahrung könnte sich auch die Zahnentwicklung der Hominiden miterklären lassen, die Laien merkwürdig vorkommt: Unser letzter gemeinsamer Vorfahre mit heute lebenden Affen hatte Zähne ähnlich jenen von Schimpansen, die auf weiche, fruchtlastige Ernährung schließen lassen. Später schienen Australopithecus-Arten aufgrund ihrer größeren, flacheren Zähne eher harte Lebensmittel zu sich zu nehmen. Vor 2,5 Millionen Jahren wurde der Trend jedoch wieder gegenläufig, die Zähne kleiner. Ungar sagt dazu: "Anstatt besondere körperliche Merkmale auszubilden, haben unsere Vorfahren begonnen, Werkzeuge zu benutzen und zu kochen."

Hladik ist der festen Überzeugung, dass Wrangham mit seiner Kochtheorie richtig liegt. Der Franzose beobachtete auch zentralafrikanische Pygmäenvölker und erkannte, dass der Boden kaum Brandspuren aufweist, nachdem man hier eine Mahlzeit gekocht hat und anschließend weitergezogen ist. Wenig verwunderlich also, dass Millionen Jahre alte Hinweise kaum auffindbar sind.

Großwild, Aas, Kleintiere?

Den Kern der menschlichen Hirnentwicklung sieht Hladik in der Yamswurzel – dem "Ursprung des Menschen", wie er sie enthusiastisch nennt. Die Knolle soll dem japanischen Ethnobiologen Hirokazu Yasuoka zufolge über mehrere Monate hinweg ausreichend zur Ernährung von Jäger-Sammler-Gesellschaften im Kongobecken beitragen und sie mit dem Großteil der notwendigen Kalorien versorgen. Immer noch relevant sei Wildfleisch, werde aber in geringerem Ausmaß konsumiert.

Doch selbst in Sachen Fleischkonsum gibt es unter Wissenschaftern genügend Diskussionsmaterial. Womöglich kam Großwild auch in früheren Jäger-Sammler-Gesellschaften nur unregelmäßig auf den metaphorischen Tisch. Kleinere Säugetiere, von Sammlerinnen in Fallen gefangen, gelten vielen als die zuverlässigere Fleischquelle. Auch Aas könnte eine wichtige Rolle bei der tierischen Ernährung unserer Vorfahren eingenommen haben. In welchem Umfang dies alles stattfand, lässt sich heute jedoch kaum mehr nachvollziehen.

Ein breitgefächerter, aber nicht gerade fleischlastiger Speiseplan wird in Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation und der Österreichischen Gesellschaft für Ernährung angeraten. Letztere rät zu maximal drei Portionen Fleisch pro Woche, was manch einem erklärten Carnivoren wenig vorkommen mag.

Fleischkonsum steigt rasant

"Tatsächlich bildete ein hoher Fleischkonsum über die längste Zeit der Menschheitsgeschichte die Ausnahme", sagt Lothar Kolmer, Historiker und Gründer des Zentrums für Gastrosophie an der Universität Salzburg. Der Großteil der Bevölkerung konnte sich bestenfalls an Feiertagen Fleisch leisten, und selbst dann handelte es sich eher um tendenziell minderwertige Bestandteile. Die "guten Stücke" gingen an die wenigen Wohlhabenden. "Erst als sich die Versorgungslage im 19. Jahrhundert verbesserte, war es möglich, zumindest am Sonntag Fleisch auf den Tisch zu bringen. Teils auch, weil Regierungen die Rindfleischproduktion finanziell unterstützten, so auch in Österreich."

Mit Beginn der Massentierhaltung in den 1950ern unter Einsatz von Antibiotika und Wachstumshormonen stieg der Konsum rapide an, da der Preis beim großen Angebot fiel und Fleisch weithin leistbar wurde. Daraus ergibt sich ein frappierender Vergleich: In Österreich wurden 1950 knapp unter 300.000 Tonnen Fleisch verbraucht, 2010 waren es rund 800.000 Tonnen. Die Tendenz ist international steigend.

Einflussreiche Prägung

Die Entscheidung, auf Fleischprodukte zu verzichten, ist für viele eine rationale. Eine wichtige Rolle spielt aber auch, in welchem Umfeld wir aufgewachsen sind und wo auf der Welt wir uns befinden: "Was wir nicht essen, ist weitgehend kulturell definiert", sagt Kolmer. Speisetabus haben unterschiedliche Ursprünge, müssen aber nicht – wie das muslimische oder jüdische Verbot, Schweinefleisch zu essen – religiös konnotiert sein: Hierzulande würde man kaum Haustiere wie Hunde oder Katzen essen.

"Über Speisen lässt sich auch leicht eine Gruppe bilden und von anderen abgrenzen: Das dient der Identitätsbildung, aber auch der Behauptung gegenüber anderen", ergänzt Kolmer und führt als Beispiel die Franzosen als "Froschfresser" an. Wie wenig dies manchmal mit der Realität zu tun hat, erkennt man daran, dass sich Froschschenkel selten auf Pariser Menükarten finden – bevorzugt aber in Lokalen asiatischer Betreiber in der Nähe des Eiffelturms. (Julia Sica, 1.5.2018)