Der Smart Vision EQ fortwo ist die Vision für den urbanen Lifestyle der Zukunft von Mercedes-Benz: ein autonomer Zweisitzer für den Verkehr in der Stadt.

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Der "Futurist" Gerd Leonhard beschäftigt sich mit der Frage, wie neue Technologien unseren Alltag prägen werden.

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Wien – Zukunft ist Technik. Die Vorentwürfe moderner Gesellschaften bestehen zu einem großen Teil in der Vorwegnahme neuer technologischer Möglichkeiten. Hilfsbereite Roboter, künstliche Intelligenzen und selbstfahrende Autos sind in den Köpfen vieler Menschen bereits eine Selbstverständlichkeit, eine greifbar nahe Errungenschaft, die – ungeachtet der noch bestehenden technologischen Hürden – in ein paar Jahren unseren Alltag prägen werden.

Computer, Internet und Telekommunikation haben gelehrt, dass die Zukunft oft schneller kommt, als man denkt. Doch gibt es auch Faktoren, die den Fortschritt zurückhalten. In der Fahrzeugindustrie war man etwa lange hin- und hergerissen zwischen der Wahrung des Status quo, dem Erfolg, der aus der Optimierung konventioneller Technologien resultiert, und der Umarmung einer Zukunft, die von Elektromobilität, Mobilität als geteiltem Service und autonomen Fahrzeugen bestimmt wird.

Gerd Leonhard sprach bei einem Kongress in Berlin 2017 über das Zusammenspiel von Mensch und Maschine.
Gerd Leonhard

Einer der Apologeten einer schnellen Transformation ist Gerd Leonhard. Sein Beruf: "Futurist". Auf Konferenzen, die wirtschaftsnahe Forschung und die Transformation und Neuausrichtung von Unternehmen und Branchen zum Thema haben, peitscht der Schweizer Chef eines Beratungsunternehmens auf die Faktizität, aber auch auf die Herausforderungen einer technologisch geprägten Zukunft ein. Eine seiner zentralen Fragen lautet: Wo bleibt der Mensch inmitten der technikgeprägten Zukunftswelt?

Umbrüche in der Mobilität

Leonhard wird auch bei der kommenden TRA 2018, einer Tagung zu Forschung und Entwicklung im Transportbereich, die vom 16. bis 19. April in Wien stattfindet, sprechen. Rund 3000 Experten werden dabei über Umbrüche in der Mobilität diskutieren. Organisiert wird die Veranstaltung vom Infrastrukturministerium, der Ministeriumstochter AustriaTech, dem Austrian Institute of Technology und der Europäischen Kommission.

Leonhard ist sich sicher, dass angesichts der Erfolge in der Batterietechnik in 15 bis 20 Jahren keine fossil betriebenen Autos mehr verkauft werden, dass der öffentliche Verkehr drastisch zunimmt, dass selbstfahrende Fahrzeuge, Carsharing-Angebote und hochgradig vernetzte multimodale und von künstlicher Intelligenz unterstützte Verkehrssysteme in den Städten bald kommen werden. Für den Futuristen sind das keine Prognosen: "Ich sage nichts voraus, sondern ich observiere. Dass diese Dinge kommen, kann jeder sehen, der sich die Zeit dafür nimmt", sagt Leonhard.

Natürlich sei der Wandel nicht flächendeckend, natürlich bringe die neue Technologie neue Herausforderungen: Viele werden weiterhin mit benzinbetriebenen Autos fahren – auch wenn der "Spaß am Fahren" auf überfüllten Straßen, bei einer vergleichsweise kostenintensiven Individualmobilität und in einer neuen Generation, die ihren Status nicht mehr über ein Fahrzeug transportieren will, nicht mehr im Vordergrund stehen wird. "Dass man von Wien nach Budapest mit einem selbstfahrenden Auto fahren wird und gleichzeitig zu Mittag isst, wird noch längere Zeit dauern", schränkt Leonhard ein. Dennoch sei absehbar: "Wenn du heute um die 30 Jahre alt bist, werden deine Kinder wahrscheinlich niemals wissen, wie man selbst ein Auto fährt."

Europa mit guter Ausgangsposition

Europa bezieht trotz des späten Erwachens der Autoindustrie bei der Mobilitätswende keine schlechte Ausgangsposition: "Dadurch, dass wir Mobilität als öffentlichen Auftrag verstehen, haben wir etwa gegenüber den USA einen gigantischen Vorteil. Wir haben viel Forschung und führende Unternehmen in dem Bereich. Die große Herausforderung ist, das Thema nicht auf nationaler, sondern auf europäischer Ebene anzugehen", sagt Leonhard. Erst durch die staatenübergreifende Vernetzung von Energie-, Mobilitäts- und Transportkonzepten könne sich Europa auch global durchsetzen.

Für den Zukunftsforscher sind neue Technologien von einem "exponentiellen und kombinatorischen" Wachstum geprägt. Eine zuerst langsame Entwicklung beschleunigt sich stark, verschiedene Forschungsbereiche forcieren sich gegenseitig. Im dominanten Narrativ einer stark technologisierten Zukunft wird aber gern auf einen wesentlichen Aspekt vergessen – den Menschen. Er läuft Gefahr, sich dem Maschinendenken, also größtmögliche Effizienz zu erreichen, unterordnen zu müssen. Leonhards Antwort darauf: "Wir müssen genauso viel in Menschlichkeit investieren wie in die Technologie." Im Leben eines Menschen gebe es sehr viele Dinge, die nicht effizient sein müssen: Interaktion mit anderen, Wünsche, Beziehungen.

Freier Wille des Menschen

In der Welt der Zukunft muss Raum bleiben für den freien Willen des Menschen, auch wenn dieser irrational oder vielleicht sogar selbstschädigend sein mag. Wer gern Bier trinkt, Zigaretten raucht oder benzinbetriebene Autos fährt, solle das tun dürfen. "Wir haben das Recht auf Ineffizienz, auf unsere Privatsphäre, darauf, auch offline zu sein", sagt der Zukunftsforscher. Die Industrie werde sich aber nicht beschränken, im eigenen Interesse Druck auf die Menschen auszuüben.

Wer also bremst eine Technologisierung, die letztendlich das Menschsein einschränkt? Wer sorgt dafür, dass eine total vernetzte Gesellschaft nicht unmenschlich wird? Wer stellt sicher, dass wir Dinge, die uns menschlich machen – Entdeckergeist, Kreativität, Geheimnisse haben zu dürfen -, nicht verlieren? Der Staat werde für Leonhard hier seine neue Rolle finden. "Irgendjemand muss sagen: Bis hierhin und nicht weiter. Irgendwer muss sagen: Wir machen euch verantwortlich. Denn wenn wir nicht einen Vermittler zwischen Mensch und Technologie haben, dann gewinnt die Technologie." (Alois Pumhösel, 16.4.2018)