Spider-Man und sein Erzfeind Venom auf dem Dach eines chinesischen Kleinwagens.

Erling

Iron Man, wenn auch nicht als angeklebte Figur.

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Verkehrspolizisten in der südwestchinesischen Provinzhauptstadt Chengdu stoppten um acht Uhr früh einen weißen Kleinwagen, weil er einen Passagier zu viel an Bord hatte. Genau genommen auf seinem Dach, auf dem der vermummte Mitfahrer stand und dem Fahrtwind trotzte. Es war eine 40 Zentimeter große Gummipuppe von Spider-Man, dem Superhelden aus der Marvel-Comicreihe und ihren Verfilmungen. Der Spinnenman klebte am Autoblech.

Nicht fest genug allerdings, meinten die Behörden. Sie witterten Unfallgefahr, falls der Superheld seinen Halt verliert, sobald der Fahrer abrupt bremst. Sie bereiteten dem Spuk schließlich ein Ende, als immer mehr Fahrzeuge mit Superheldenfiguren auf Autokühler, -dach oder -heck auf den Straßen der Millionenstadt auftauchten. Am 22. März wurde Autobesitzern verboten, weiterhin mit ihren außen festgeklebten Maskottchen unterwegs zu sein. Ihnen drohe sonst neben 200 Yuan Bußgeld (etwas mehr als 25 Euro) auch der Abzug von zwei Punkten in der Zwölf-Punkte-Verkehrssünderkartei.

Kontrollen in Chengdu

Vier Tage später, am 26. März, schwärmten die Polizisten zur Kontrolle aus, ob die Straßen in der Metropole auch tatsächlich superheldenfrei seien. 62 Autos mit unerwünschtem Passagier gingen ihnen ins Netz. Tags darauf erwischten sie weitere 29 Fahrer, meldete diese Woche die nationale Parteizeitung "Renmin Ribao".

Es ist eine Staatsaffäre. Denn Chengdus Autobesitzer stehen mit ihrem Faible für die Comicfiguren aus den USA nicht allein da. Ihre Lieblinge aufs eigene Auto zu kleben "ist zu einem Trend in China geworden", meldete der Staatsrundfunk CRI. Fans bemalten sogar ihre Fahrzeuge mit dem Bild ihres jeweiligen Favoriten.

Korrespondenten der Nachrichtenagentur Xinhua hefteten sich auf die Spuren der Superhelden, die bevorzugt Chinas Kleinwagen bevölkern. Sie entdeckten sie in mittelchinesischen Provinzen wie Hunan, auf der südländischen Insel Hainan und in Qinghai im äußersten Nordwesten.

"Es macht meinen Wagen attraktiver"

In dem chinesischen Online-Auktionshaus Taobao stießen sie auf einen Händler, der "in nur einem Monat" 18.000 Exemplare der 22 bis 45 Zentimeter großen Spielzeugfiguren um jeweils 50 bis 100 Yuan verkauft hatte. Xinhua fragte Autofahrer, was sie an Spider-Man so aufregend fänden. Die einen wollten damit ihre "Individualität zeigen" und sich von normalen Autofahrern abgrenzen. Andere meinten: "Es macht meinen Wagen attraktiver."

Der größte Automarkt der Welt produziert auch massenweise Zubehör aller Art. Webseiten wie "Douyin" (Wackelstimme) heizen mit Videoclips neue Trends an. Das Kleinhändlerparadies Yiwu und die Online-Händler übernehmen die Vermarktung. Was die Besitzer der Ende 2017 in China registrierten 217 Millionen Autos alles für ihr Fahrzeug anschaffen, ist zu einem boomenden Milliardengeschäft geworden, schrieb die Fachwebseite "Huicong Qichewang".

Spider-Man am beliebtesten in China

Die Faszination von Spider-Man rührt vor allem vom halben Dutzend Blockbustern her, die in chinesischer Übersetzung über seine Saga gezeigt wurden. Der jüngste Film "Spider-Man: Homecoming" spielte vergangenen September allein in der Eröffnungswoche einen Rekordumsatz von 70 Millionen US-Dollar ein. Der Spinnenman schneidet unter allen Marvel-Helden am besten bei Chinas jungem Publikum ab.

Zwar passt das nicht zur Linie der Kommunistischen Partei, die nur inländische, revolutionäre Helden hochleben lässt. Diese stehen aber nur in den Schulbüchern und kleben nicht auf dem Dach von Privatautos. Einen Kompromiss zur Überbrückung bietet der Onlinehändler JD.com an. Er verkauft Spider-Man als Patrioten, denn er hält Chinas rote Staatsfahne in der Hand. Auf dem Autodach weht sie im Fahrtwind. (Johnny Erling aus Peking, 5.4.2018)