Mit einem leisen Zischen schaltet sich die Sprühanlage ein, und ein feiner Wassernebel breitet sich im Glashaus aus. Unter den Lampen, die einen Hauch von Sommersonne simulieren, stehen Pflanzen in den verschiedensten Entwicklungsstadien, von winzigen Setzlingen in kleinen Schälchen bis zu stattlichen, ausgewachsenen Exemplaren. Sie sind in unterschiedlichen Zuständen: Einige lassen traurig die kümmerlichen Blätter hängen, andere wiederum sprießen kräftig verzweigt in die Höhe; manche sehen vertrocknet aus, andere stehen zentimeterhoch im Wasser. Das sind also die Pflanzen von morgen, genauer gesagt ihre Vorfahren. Sie müssen mit veränderten Temperaturen zurechtkommen, mit extremer Hitze und Kälte, mit Trockenheit und Starkregen, mit ausgelaugten und versalzten Böden. Das wird hier simuliert – wenn auch im Glashausmaßstab.

Rechts die Grundlagenforschung mit der Ackerschmalwand, links die angewandte Forschung in Form des Leindotters. In der Mitte: Molekularbiologin Claudia Jonak.
Christian Fischer

"Rechts ist die Grundlagen-, links die angewandte Forschung", sagt Claudia Jonak und zeigt auf die beiden Tische, die ein schmaler Gang trennt. Die Molekularbiologin erforscht am Center for Health & Bioresources des Austrian Institute of Technology (AIT) in Tulln, wie Pflanzen in Zukunft den veränderten Umweltbedingungen standhalten können.

Abseits der grünen Revolution

Die Grundlagenforschung auf der rechten Seite des Glashauses wird verkörpert durch die Ackerschmalwand (Arabidopsis), aufgrund ihres komplett entschlüsselten Genoms und ihres recht kurzen Zyklus von der Keimung bis zum Samen der unangefochtene Liebling der Pflanzengenetiker. Auf der anderen Seite stehen Vertreter einer weitaus weniger bekannten Gattung: Der Leindotter (Camelina sativa) ist eine sehr alte Kulturpflanze, deren Nutzung bis in die neolithische Zeit zurückgeht.

"Bis zum Ersten Weltkrieg wurde der Leindotter in Mittel- und Osteuropa bis nach Asien kultiviert, geriet dann in Vergessenheit und erlebt heute wegen seiner hochwertigen Öle ein Revival als Superfood und als Zusatz in Kosmetikprodukten", schildert Jonak. "Die Grüne Revolution, die aus Pflanzen wie Raps Hochertragspflanzen gemacht hat, ist an der Camelina aber vorbeigegangen." Dafür kann der Leindotter auf nährstoffarmen Ackerflächen gedeihen, wo etwa Weizen keinen Ertrag mehr bringen würde. Trotz aller Unterschiede ist der Leindotter genetisch gesehen der nächste Nutzpflanzenverwandte zur Arabidopsis – was die beiden ungleichen Schwestern zu idealen Versuchsobjekten macht. Konkret versuchen die Forscher, jene Methoden, mit denen molekulare Mechanismen innerhalb der Arabidopsis manipuliert werden können, auf die Camelina zu übertragen.

Der Leindotter wurde lange Zeit in Europa kultiviert, bevor er in Vergessenheit geriet. Heute dient die alte Kulturpflanze als Modell für Hightechpflanzenforschung.
Foto: Christian Fischer

Mit Erfolg: "Wir haben eine molekulare Komponente in der Arabidopsis gefunden, die die Pflanze gegen Umweltstress wappnet, für ein besseres Immunsystem sorgt und zugleich dafür verantwortlich ist, dass der Ölgehalt in den Samen steigt", sagt Jonak. Was wie ein Wunderding klingt, nennen die Wissenschafter Masterregulator. Dieser soll nun auch den Leindotter in Höchstform bringen. Die ersten Pflänzchen, bei denen dieser Mechanismus mithilfe von molekularbiologischen Eingriffen schon in Gang gesetzt wurde, stehen nun links im Glashaus.

"Wir beobachten, ob die Gene, die den Regulator aktivieren, in die nächste Generation übertragen werden. Dann testen wir, wie sich das auf die Widerstandskraft und den Ölertrag der Pflanze auswirkt", schildert Jonak, während sie ein paar gelbe Blätter wegzupft. "Die Experimente werden noch etwa zwei Jahre dauern, dann werden wir hoffentlich wissen, ob es klappt." Ziel ist es, biochemische und genetische Marker zu finden, mit denen man Pflanzen mit jenem Erbgut identifizieren kann, die für die Züchtung möglichst zukunftsträchtiger Pflanzen verwendet werden können.

Kontrolliert gestresst

Dass es überhaupt derart modifizierte Pflanzen gibt, die in echter Erde ihre Wurzeln schlagen, ist der langwierigen Vorarbeit im Labor zu verdanken. "Es ist ein großer Unterschied zwischen den kontrollierten Bedingungen bei der In-vitro-Züchtung im Labor und dem Anbau am Acker", sagt Jonak. Die Molekularbiologin war jahrelang in der Grundlagenforschung tätig und möchte nun das gesammelte Wissen vom Labor auf die Felder bringen. "Wir arbeiten nicht mit transgenen Pflanzen, in deren Erbgut gezielt einzelne Gene von anderen Arten eingeschleust werden", betont Jonak. "Wir wollen die Stressresistenz und Vitalität über die Pflanze selbst steuern. Dazu ist es wichtig, die Pflanze zu verstehen."

In einem kleinen Raum stehen in hohen Regalen unter Kunstlicht durchsichtige Schälchen und Glasröhrchen. In den Petrischalen liegen Samen in verschieden Stadien der Keimung, in den Röhrchen ranken sich schon kleine Pflänzchen. Hier werden Soja, Arabidopsis, Erdäpfel, Äpfel und mehr unter Laborbedingungen gestresst, um dann biochemisch und molekularbiologisch zu testen, inwieweit sich stressresistentere von sensibleren Exemplaren unterscheiden.

Unter Kunstlicht werden zarte Pflänzchen in Glasröhren verschärften Bedingungen ausgesetzt, um herauszufinden, was manche widerstandsfähiger macht als andere.
Christian Fischer

Um die Pflanzen durch und durch verstehen zu können, untersuchen die Forscher um Jonak am AIT, wie Signale innerhalb der Pflanzenzellen weitergegeben werden. Schließlich erfordert Stress jeglicher Art, dass die Zellen miteinander kommunizieren, damit es zu einer passenden Reaktion kommt – so wie das auch beim Menschen der Fall ist. Dem zugrunde liegt ein kompliziert vernetztes System an Signalwegen – das zu kartieren ist ein Ziel der Wissenschafter.

Das Stichwort für Jonak ist dabei ein besonderes Enzym vom Typ der sogenannten Proteinkinasen: "Dieses Enzym reguliert sowohl den Stoffwechsel als auch die Genexpression." Ähnlich wie bei anderen Lebewesen reagiert auch der Stoffwechsel von Pflanzen höchst sensibel auf die Umwelt. Die Stoffwechselprodukte und Enzyme, die in einer Pflanze zirkulieren, können also sehr gut darüber Auskunft geben, in welchem Zustand sie sich befindet und wie sie sich an veränderte Bedingungen anpasst. "Dabei spielen innerhalb der Pflanze sehr viele Komponenten zusammen, vieles wird zugleich reguliert", sagt Jonak. "Es braucht Informationskoordinatoren, um auch unter Stress einen optimalen Output zu erreichen." Bei hochgezüchteten Nutzpflanzen wie Soja seien viele dieser komplexen Fähigkeiten längst verkümmert, deswegen setzt man auf traditionelle Landrassen und ältere Sorten wie den Leindotter.

Umweltstress und Bevölkerungswachstum

Im Glashaus werden daher unterschiedliche Genotypen von Camelina, also Sorten, die aus verschiedenen Regionen in Europa und Asien kommen, auf ihre Stresstoleranz getestet. Sind die Mechanismen, die manche Pflanzen widerstandsfähiger und produktiver machen als andere, erst einmal im Leindotter eingehend erforscht, sollen die Ergebnisse auf die gängigen Kulturpflanzen wie Soja und Mais übertragen werden.

"Unser Ansatz ist, die generelle Robustheit der Pflanzen zu stärken", sagt Jonak. "Die Sorten, die heute auf den Feldern stehen, sind nicht für Umweltstress geschaffen. Sie wurden für einen maximalen Ertrag unter optimalen Bedingungen gezüchtet, es wird davon ausgegangen, dass sie bei Bedarf gedüngt und bewässert werden." Doch mit Blick auf die Zukunft haben sich die Anforderungen gewaltig geändert: Durch Bevölkerungswachstum und veränderte Ernährungsgewohnheiten steigt der Bedarf an Feldfrüchten – die aktuellen Wachstumsraten in der Pflanzenproduktion halten jedoch nicht damit Schritt. Um den Bedarf zu decken und dabei dem Klimawandel zu trotzen, ohne noch mehr Umweltschäden anzurichten und mehr Land in Ackerflächen umzuwandeln, müssen die Pflanzen rechtzeitig fit für die Zukunft gemacht werden, sind die Forscher überzeugt.

Camelinasorten aus aller Welt werden auf ihre Stresstoleranz getestet.
Foto: Christian Fischer

In der AIT-Gruppe um Claudia Jonak bedeutet das, die besten Pflanzen anhand von Markern zu selektieren und zu züchten – oder sie mit dem CRISPR/Cas9-Verfahren (Gen-Schere) so zu verändern, dass sie mehr oder weniger einer bestimmten Enzymklasse produzieren. Das wiederum bewirkt, dass spezielle Mechanismen in der Pflanze geboostet werden, die ihr dazu verhelfen, auch in Stresssituationen cool zu bleiben und weiter ihren Job zu machen beziehungsweise noch mehr zu produzieren.

Ein paar Büros weiter forscht Angela Sessitsch mit ihrer Gruppe ebenfalls daran, Pflanzen auf natürliche Weise gesünder und produktiver zu machen – und zwar, indem ihre pflanzeneigenen Abwehrkräfte gestärkt und Krankheitserreger zugleich eliminiert werden. Auch hier zeigt sich, dass Mensch und Pflanze mehr gemeinsam haben, als man denkt: "Pflanzen leben ebenfalls in einer Gemeinschaft mit komplexen Gesellschaften von Mikroorganismen", sagt Sessitsch. "So wie bei uns das Mikrobiom im Darm das Immunsystem beeinflusst, sind das bei Pflanzen die Mikroorganismen, die ihre Wurzeln und die Pflanze selbst besiedeln."

Boost für das Immunsystem

Cocktails aus den richtigen Mikroorganismen, in denen schon die Samen eingelegt werden, sollen analog zu probiotischen Joghurts das Immunsystem der Pflanze stärken. Der erwünschte Nebeneffekt: Chemische Pestizide und Unkrautvertilgungsmittel können durch komplett natürliche Mittel ersetzt werden – was besonders für die Biolandwirtschaft relevant ist. Denn Bakterien, die mit den Pflanzen harmonisieren, können schädliche Krankheitserreger verdrängen und Unkraut bekämpfen. Ganz so einfach ist das alles aber nicht: Schließlich ist das Mikrobiom von Pflanze zu Pflanze unterschiedlich und verändert sich im Lauf des Wachstums.

Im Labor werden die Bakterien erst einmal aus gemahlenem Pflanzenmaterial isoliert und in Petrischalen gezüchtet. "Welches Bakterium wie wirkt, finden wir hauptsächlich durch ständige Selektion heraus", erklärt AIT-Forscherin Friederike Trognitz, während sie die Schalen mit Bakterienkulturen inspiziert. Diese werden auf alle möglichen Pflanzen, oder vielmehr auf ihre Schädlinge losgelassen. Zum Beispiel auf Kartoffeln: In einem kleinen Labor sind Kartoffelscheiben unter Beobachtung. Sie wurden mit kartoffeleigenen Bakterien eingesprüht und zusätzlich mit Kraut- und Knollenfäule infiziert, einem Erreger, der insbesondere Kartoffel, aber auch Tomaten und Paprika befällt.

In einem anderen Labor wachsen in einer Kühlkammer zarte Weizenpflänzchen, deren Samen zuerst in einer Bakterienlösung badeten und deren Erde dann mit Fusarium, einem der wichtigsten Schadpilze in Getreide und Mais, versetzt wurde. "Bei niedrigen Temperaturen wächst der Weizen nicht so schnell, und das Pathogen hat Zeit, die Pflanze anzugreifen", sagt Trognitz.

Kampf um den Weizen: In Laborversuchen werden "gute" Bakterien gegen "böse" Krankheitserreger in Stellung gebracht. Meistens gewinnt das Gute.
Christian Fischer

Der Kampf "Bakterium gegen Pilz" wird auch in den Glashäusern weitergeführt – im Schnelltest mit Salat. Nicht weit von Arabidopsis und Camelina stehen reihenweise Salatpflänzchen, die mit verschiedensten Bakterien behandelt wurden. "Eines zeigt sich jetzt schon klar", sagt Trognitz, während sie den Zustand des jungen Salats prüft. "Die Pflanzen, die nicht behandelt wurden, sind nicht so schön wie die, die Fusarium und Bakterienkulturen bekommen haben." Erste Freilandversuche wurden bereits mit Winterweizen auf den Feldern rund um das Forschungszentrum gestartet.

Biologische Krankheitsbekämpfung

Die pflanzeneigenen Abwehrkräfte zu stärken scheint also eine vielversprechende Perspektive bei der biologischen Bekämpfung von Krankheitserregern zu sein. Noch gibt es laut Sessitsch "viel Forschungsbedarf, wie man die Interaktion zwischen Pflanze und Mikroben besser beeinflussen kann". Dazu kommt, dass die mit Bakterien behandelten Samen lagerfähig und damit industrietauglich gemacht werden müssen – auch dafür werden am AIT verschiedene Ansätze getestet. Das primäre Ziel ist, Fungizide bei Weizen zu ersetzen, aber auch an anderen großen Kulturpflanzen wie Mais, Sojabohnen und Wein wird geforscht.

Der Weg in die Anwendung soll auch durch das im Vorjahr eröffnete Comet-Kompetenzzentrum namens FFoQSI (Feed and Food Quality, Safety and Innovation) geebnet werden. Das AIT gehört mit der Veterinärmedizinischen Universität, der Universität für Bodenkultur, der Fachhochschule OÖ und der Ernährungsagentur Ages zu den wissenschaftlichen Partnern, die eng mit Unternehmen zusammenarbeiten. Mit Unterstützung der Förderagentur FFG wird entlang der gesamten Wertschöpfungskette von Futter- und Lebensmitteln geforscht – vom Labor bis auf den Teller.

Bis die ersten Pflanzen marktreif sind, die nicht nur gegen Umweltstress gewappnet und dabei höchst ertragreich sind, sondern auch gleich die Schädlingsbekämpfung selbst übernehmen, wird es aber noch dauern, räumt Claudia Jonak ein: "Unsere Arbeit wird erst in vielen Jahren Früchte tragen." (Karin Krichmayr, 4.7.2018)