London/Wien – Die Formulierung klingt so, als ginge es um einen hart errungenen Deal zwischen zwei verfeindeten Gegnern: Ein "Treffen ohne Vorbedingungen" soll es sein, auf das sich nach Angaben beider Seiten die zwei größten jüdischen Dachorganisationen Großbritanniens und Labour-Chef Jeremy Corbyn geeinigt haben. Der Eindruck entspricht der Stimmung, die sich zwischen dem Chef der britischen Sozialdemokraten und seinen Kritikern in den vergangenen Wochen aufgeschaukelt hat.

Vergangene Woche demonstrierten rund tausend Menschen vor dem Unterhaus gegen Antisemitismus in der britischen Labour-Partei.
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Begonnen hatte die heftige Diskussion innerhalb der Partei, Kritiker warfen dem Parteichef mangelnde Abgrenzung gegenüber Antisemiten vor. Längst haben aber auch die britischen Medien das Thema für sich entdeckt. Vergangene Woche demonstrierten rund tausend Mitglieder jüdischer Gruppen vor dem Unterhaus – mit Plakaten wie "For the many, not the Jew", einer sarkastischen Abwandlung des Labour-Slogans "For the many, not the few" ("Für die Vielen, nicht die Wenigen"). Die regierenden Tories wittern die Chance, Stimmen zurückzugewinnen. Sie wähnen sich wegen des Streits mit Russland ohnehin im Aufwind. In Umfragen liegen sie erstmals seit Monaten wieder stabil vor Labour.

Streit innerhalb der Partei

Ihnen kommt zupass, dass der Labour-Chef in der aktuellen Debatte alles andere als gute Figur macht. Ausgelöst hatte die Kontroverse ein Twitter-Posting der Labour-Abgeordneten Luciana Berger, die ein Facebook-Posting ihres Parteichefs gefunden hatte, das aus dem Jahr 2012 stammt – aus jener Zeit, als Corbyn noch nicht Parteichef, sondern linker Hinterbänkler seiner damals weit weniger links orientierten Partei war.

Corbyn muntert darin den US-amerikanischen Künstler Mear One auf, dessen Wandmalerei "Freedom for Humanity" von einer Londoner Hauswand entfernt worden war, weil sie klassisch antisemitische Motive zeigt: Banker mit langen Bärten und Hakennasen spielen auf dem Rücken armer Massen Monopoly, im Hintergrund ist eine Pyramide mit "allsehendem Auge" zu sehen, die Verschwörungstheoretiker als Symbol der Illuminaten begreifen.

Zweifel nicht ausgeräumt

Der Parteichef äußerte sich zu den Vorwürfen zuerst nicht, und dann eher allgemein. Erst vier Tage später entschuldigte er sich eindeutig "aufrichtig für den Schmerz, den ich verursacht habe". Da war das Thema aus Labour-Sicht schon aus den Fugen geraten: Medien hatten weitere Beispiele für Antisemitismus in der Partei gefunden. Die konservative "Sunday Times" berichtete, Corbyn selbst und mehrere seiner Mitarbeiter seien auf Facebook Mitglieder von linken Gruppen, in denen von anderen antisemitische Kommentare gepostet und Zweifel am Holocaust geäußert würden.

Dazu kommt, dass zwar die Wandmalerei-Episode neu ist, Berichte über Antisemitismus bei Labour aber nicht. Corbyn selbst hat sich in seiner Karriere stets als Teil der antiimperialistischen Linken verstanden, die Israel als kolonialistischen Staat begreift und vor diesem Hintergrund antizionistische Politik betreibt. Dabei war der spätere Labour-Chef aber auch immer wieder in Kontakt mit Gruppen getreten, die Kritik an der Politik Israels mit plumpem Antisemitismus befeuern. Die Terrorgruppen Hamas und die Hisbollah bezeichnete er 2009 als "Freunde", wofür er sich allerdings später entschuldigte. Den Vorwurf, Judenfeindschaft in seiner Nähe nicht ausreichend entgegenzutreten, konnte er damit aber nicht ausräumen.

Zudem hatte er 2016 in der Partei, die sich einst dezidiert um die Nähe zu jüdischen Arbeiterbewegungen bemühte, wegen Vorfällen unter Funktionären eine Kommission einrichten müssen. Deren Wirken bleib offenbar ohne den gewünschten Effekt –mehrfach gab es seither Berichte jüdischer Mitglieder, die sich etwa in lokalen Labour-Gruppen nicht willkommen fühlten.

Umstrittenes Treffen

Und auch in seinem eigenen Krisenmanagement blieb Corbyn zunächst seiner Linie treu: Er sorgte für weitere Kritik, als er sich als Zeichen gegen den Antisemitismus vergangene Woche ausgerechnet mit der linken Organisation Jewdas traf – einer antizionistischen jüdischen Vereinigung, die sich abseits des "jüdischen Mainstreams" in Großbritannien sieht und Israel etwa auf Twitter als "dampfenden Haufen Unrat" bezeichnet hat. Seine Verteidiger innerhalb der Labour-Partei mühten sich derweil ab, die Aufregung als weitere Kampagne gegen den Parteichef abzutun.

Erst in den vergangenen Tagen scheint der Partei die Schwere der Krise bewusst geworden zu sein: Die linke Gruppe Momentum – Corbyns Machtbasis innerhalb der Partei – veröffentlichte ein Statement, in dem sie Probleme Labours mit Antisemitismus eingestand. Zwar würden die Vorwürfe nun für Kampagnen gegen die Partei genützt, "die Handlungen anderer schmälern aber nicht unsere eigene Verantwortung, Antisemitismus zu bekämpfen". Es gehe auch nicht um ein paar schwarze Schafe, sondern "um eine unbewusste Schlagseite", die in der Partei weiter verbreitet ist, als es "viele von uns vor einigen Monaten noch verstanden haben". Ob das reicht, um beim Treffen Corbyns mit den Dachorganisationen Sorgen zu zerstreuen, darf bezweifelt werden. (Manuel Escher, 5.4.2018)