Wer sitzt vor dem Schirm, und wer lauert hinter dem Touchscreen? Mit einfachen Kunststoffscheiben aus Transparenzglas bittet das "Kollektiv kunststoff" (sic!) zur Bestandsaufnahme der schönen neuen Digitalwelt im Dschungel Wien.

Foto: Bernhard Wolf

Wien – Man hat das Theater Dschungel Wien betreten, und schon damit scheint ein gewaltiger Fortschritt erzielt. Wir schreiben ganz genau das Jahr 2028. Vier Mädchen sitzen aufgereiht vor einer Leinwand. Unermüdlich knallt ein Beamer Bildsymbole an die Wand, und die vier Gören rufen zu Antiquitäten wie Globus oder Glotze mit drolliger Beflissenheit ihre Eingebungen auf: Schlagwörter wie "rund", "Google Earth" und so weiter.

Das entzückendste kleine Stück Zivilisationskritik dieser Tage in Wien stammt vom "Kollektiv kunststoff" (sic!). Es nennt sich Und die Erde ist doch eine Scheibe und macht vielleicht nicht dem helio-, aber doch dem anthropozentrischen Weltbild auf die denkbar coolste Weise den Garaus. Unsere vier Heldinnen, wunderbare Tänzerinnen allesamt, stehen unter dem nicht greifbaren Bann einer gewissen "Iris". Besagte Dame ist ein Chip, den der Oberflächenbenutzer als Linse im Auge trägt.

Das Subjekt und seine Doubles

Iris speichert als Helferlein alle jemals geäußerten Wünsche. Als Schnittstelle bildet sie die vermittelnde Instanz zwischen Ego und Instagram – zwischen dem Subjekt und dessen vielen Doubles, die ungebeten, aber hoffentlich "gelikt" im Netz kursieren. Früher, als man noch die bunten Taschenbücher der Edition Suhrkamp las, hätte man dergleichen vielleicht den "Kältetod des Subjekts" genannt und daraufhin eine metaphysische Verlustanzeige aufgegeben.

Die Benutzerinnen von Iris' Diensten übersetzen die Vorgänge im Netz in choreografierte Bewegungen. Zu einem äußerst knackigen Electro-Soundtrack (Klangregie, Sound: Peter Plos), der an die digitalisierten Kraftwerk erinnert, wird unsere netzbasierte Existenzweise in ihre rituellen Einzelteile zerlegt. Das ist himmelschreiend komisch. Auf der Jagd nach dem neuesten "Selfie" entgleisen nicht nur Züge, sondern mit ihnen geht auch gleich die Würde des Subjekts vor die Hunde.

Vor den Vorhang zu bitten sind die Performerinnen Christina Aksoy, Waltraud Brauner, Raffaela Gras und Stefanie Sternig. Anzuzeigen gilt es ein Stück Medienkritik für alle Jugendlichen von acht Jahren aufwärts: keine Macht den Benutzeroberflächen! Kinder, werdet wieder ihr selbst! (Ronald Pohl, 6.4.2018)