Im Blut zirkulierende DNA-Fragmente (hier gebunden an Proteine) sind die Hoffnung der Krebsforscher: Früh genug entdeckt, können sie Auskunft über die Entwicklung von Tumoren geben.

Illustration: Med Uni Graz

Die Zahl der Krebserkrankungen und der damit verbundenen Todesfälle nimmt weltweit zu. Allein in Österreich erkranken jährlich etwa 40.000 Menschen an Krebs. Könnte man eine Tumorerkrankung schon in ihrem frühen Stadium erkennen, würden die Heilungschancen stark ansteigen. Ein Bluttest zur Früherkennung wäre deshalb ein enormer Fortschritt. Um das Grundlagenwissen dafür zu erarbeiten und mit neuen bioinformatischen Methoden zu koppeln, wurde an der Medizinischen Universität Graz kürzlich das Christian-Doppler-Labor für Liquid Biopsies zur Früherkennung von Krebs gegründet.

Ansatzpunkt des Forscherteams ist die im Blut zirkulierende Tumor-DNA. An sie knüpfen sich große Hoffnungen, da sie das gesamte Tumorgeschehen reflektiert und im Gegensatz zu zirkulierenden Tumorzellen einfach analysiert werden kann. "Allerdings entlassen nicht nur Tumoren solche zellfreien DNA-Fragmente in die Zirkulation, sondern auch gesunde Zellen", sagt die Humangenetikerin Ellen Heitzer, die das neue CD-Labor leitet. "Weil es am Anfang einer Krebserkrankung erst wenige dieser Tumor-DNA-Fragmente und viel mehr normale Fragmente im Blut gibt, ist es extrem schwierig, sie zu finden."

Massentaugliches Screening

Um die Liquid-Biopsy-Methode für den breiten Einsatz als Screening-Instrument fit zu machen, muss sie also noch um ein Vielfaches genauer werden. "Zudem müssen Standards für die Untersuchungsmethoden festgelegt sowie der prognostische Wert der Tumor-DNA in großen Studien evaluiert werden", sagt Heitzer. Diesen ziemlich anspruchsvollen Aufgaben wird sich das zurzeit zehnköpfige Team des CD-Labors in den nächsten sieben Jahren widmen. 910.000 Euro stehen den Forschern dafür zur Verfügung – 455.000 Euro davon kommen vom Wirtschaftsministerium, der Rest von Unternehmenspartnern.

Die größte Herausforderung beim Ausbau der Liquid-Biopsy-Methode zu einem massentauglichen Screening-Verfahren ist die fehlerfreie Unterscheidung zwischen Tumor-DNA und den von gesunden Zellen stammenden DNA-Fragmenten. Dazu muss man die Biologie beider umfassend verstehen. Erst dann können weitere Parameter entdeckt werden, welche die Sensitivität und die Spezifität der Methode gerade im Frühstadium einer Krebserkrankung verbessern.

In den USA gibt es bereits zwei große Firmen, die Bluttests für eine Therapieoptimierung bei Krebserkrankungen anbieten. "Dabei sollen vor allem Patienten mit bestimmten genetischen Veränderungen der Tumor-DNA identifiziert werden, bei welchen ganz spezifische Therapien wirken", erläutert Heitzer. "Hier geht es also um eine genauere Charakterisierung bereits diagnostizierter Tumorerkrankungen, um die passende Therapie für den vorhandenen Tumor zu finden."

Das große Ziel der Grazer Forscher ist dagegen die Früherkennung von Krebs. "Bei einem allgemeinen Screening weiß man nicht, wer überhaupt einen Tumor hat, wo sich dieser befindet und wie er aufgebaut ist", so die Humangenetikerin. "Außerdem sind Tumoren im Anfangsstadium noch sehr klein und entlassen nur geringe Mengen zellfreier DNA-Fragmente in die Zirkulation." So könne man bei einer gegebenen Disposition zwar spezifisch auf bestimmte Krebsarten screenen, "aber auch dann ist es noch sehr schwierig – denn selbst ein Brustkrebs unterscheidet sich von einem anderen Brustkrebs".

Wie also sollen all diese Hürden überwunden werden? "Im Gegensatz zu den üblichen Lösungsansätzen schauen wir nicht auf einzelne spezifische Veränderungen im Tumor, sondern versuchen die Tumore genomweit zu charakterisieren." Dafür sollen klinische und genetische Datensätze mithilfe hochentwickelter bioinformatischer Methoden kombiniert werden.

Künstliche Intelligenz

Um sämtliche mit einem Tumor zusammenhängende Veränderungen erfassen und analysieren zu können, setzt man auch künstlichen Intelligenz ein. "Zurzeit werden von unserem Kooperationspartner an die 120 Parameter verwendet. Aus diesen Daten versucht das System durch maschinelles Lernen so viele Informationen wie möglich herauszuholen."

Ein sogenannter Klassifizierungsalgorithmus unterscheidet die Datensätze von gesunden und an Krebs erkrankten Menschen und soll letztlich auch erkennen, um welche Art von Krebs es sich dabei handelt. "In den letzten Jahren hat sich immer stärker herauskristallisiert, dass dies der einzige erfolgversprechende Weg zu einer Krebsfrüherkennung mittels Bluttest ist", betont Ellen Heitzer.

Auf diesem Weg sind allerdings noch viele offene Fragen zu klären: Wie unterscheiden sich Tumorfragmente hinsichtlich ihrer Größe von normalen Zellen? Wie groß muss ein Tumor sein, damit er überhaupt DNA in die Zirkulation entlässt? Trotz all dieser Herausforderungen ist die Forscherin zuversichtlich, dass man gemeinsam mit dem wichtigsten Wirtschafts- und Forschungspartner – der amerikanischen Firma Freenome Inc. – innerhalb der nächsten zehn Jahre einen Krebsfrüherkennungstest anbieten kann. "Das wird zwar wahrscheinlich noch kein umfassender Test sein, einzelne Tumortypen werden damit aber bereits erfasst werden können", sagt Heitzer. Die Voraussetzungen sind gut: Die Liquid-Biopsy-Gruppe am Diagnostik- und Forschungsinstitut für Humangenetik der Med-Uni Graz hat bereits beträchtliches Know-how gesammelt: "Wir arbeiten seit 2010 intensiv an diesem Thema." (Doris Griesser, 8.4.2018)