Auch auf dem Friedhof von Salisbury wird ermittelt: dort sind Ehefrau und Sohn des Ex-Doppelagenten Skripal begraben.

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Wien – Dass der Umgang mit chemischen Kampfstoffen an sich gefährlich ist, liegt auf der Hand. Dass ihre Herkunft und sogar ihre Existenz verschleiert wird, noch mehr – schließlich sind sie international geächtet. Und dass man sagen kann, wo die Substanz, sollte sie einmal eindeutig identifiziert sein, herkommt, ist nahezu unmöglich.

Oberst Johann Aigner, ABC-Abwehrexperte des Bundesheers, sagt dem Standard ganz klar: "Ich würde mir das nicht zutrauen." Im Fall der gegen den Ex-Agenten Sergej Skripal in Salisbury eingesetzten Substanz Nowitschok gilt als sicher, dass es sich um eine noch in der Sowjetunion entwickelte Substanz handelt. Chemiker verweisen aber unter Zusicherung ihrer Anonymität darauf, dass ein Labor, das eine solche Substanz identifiziert hat, diese auch selbst herzustellen in der Lage sein muss. Was wiederum nicht gleichbedeutend damit sein muss, dass dieses Labor das Gift auch in ausreichender Menge und waffenfähig herzustellen imstande wäre.

Die Londoner Times berichtete am Donnerstag, dass es mit wissenschaftlichen Analysen und Geheimdienstinformationen gelungen sei, die Herkunft der beim Anschlag gegen Skripal verwendeten Substanz nachzuweisen, wenn auch nicht mit hundertprozentiger Sicherheit. Ein Nato-Experte, der mit dem Standard unter Zusicherung absoluter Anonymität gesprochen hat, verwies auf den Unterschied zwischen Chemiewaffen und anderen Substanzen: "Ein Pharmaunternehmen würde etwa in eine Medizin einen Marker einbauen, damit man Fälschungen erkennen und nachweisen kann. Umgekehrt würde ein Chemiewaffenhersteller solche Marker vermeiden – oder ganz bewusst falsche Spuren legen."

Analyse auf atomarer Ebene

Solche Spuren könnten etwa in Resten von Desinfektionsmitteln bestehen, die in Labors unterschiedlicher Nationalität gängig wären. Die Analyse könne aber – mit hohem Aufwand, zu dem weltweit nur eine Handvoll Labors imstande ist – sogar bis auf die atomare Ebene reichen: Wenn etwa eine Häufung von schweren Wasserstoffisotopen in der Probe nachgewiesen werden könnte, dann könnte das ein Hinweis darauf sein, dass die Substanz aus einem Labor oder einer Fabrik an einem Standort stammt, in dessen Umgebung ein Strahlenunfall stattgefunden hat.

Und wer besonders gefinkelt vorgehen wolle, könnte sogar diesen Eindruck bewusst erzeugen, um etwa einen anderen Staat oder dessen Labors als Täter dastehen zu lassen. Jedenfalls seien die Hersteller von Nervengiften bemüht, sich nicht in die Karten schauen zu lassen und ihre Fähigkeit zur sicheren und reinen Herstellung der Substanzen zu verschleiern. Aigner: "Ich finde es vermessen, wenn man sagt, da könne man die Herkunft eindeutig zuordnen."

Auch das britische Defence Science and Technology Laboratory (DSTL) war bisher mit der Zuordnung zurückhaltend. Am Donnerstag aber wurde mit größerer Sicherheit auf ein nicht näher bezeichnetes russisches Labor verwiesen. Für Donnerstagnachmittag Ortszeit (21 Uhr unserer Zeit) wurde in New York eine Sitzung des UN-Sicherheitsrats zu dieser Affäre einberufen. (Conrad Seidl, 6.4.2018)