Schneller, weiter, besser: Forscher fahren einen KTM-Rennwagen – theoretisch.

Foto: Gluschitsch

Wels – Das Modell eines Rennwagens: Reifen, Chassis, Antriebsstrang und zig weitere Teile, die starr, beweglich oder elastisch sind. Jeder einzelne Teil ist mathematisch genau beschrieben. Dann wird das Modell auf die Rennstrecke geschickt: Welche Spur muss das Auto wählen, wann und wie muss das Lenkrad bewegt, Gas- und Bremspedale gedrückt werden, um eine optimale, nicht zu unterbietende Rundenzeit herauszubekommen?

Für Wolfgang Steiner von der FH Oberösterreich am Campus Wels ist das eine exemplarische Aufgabe für eine "Bewegungssimulation von mechanischen Systemen". Die Bewegungen von Robotern, die ein Werkstück von A nach B bringen, oder von Produktionsmaschinen zeitlich zu optimieren würde ein ähnliches Problem darstellen. Das Problem da wie dort: die Komplexität, die durch die Vielzahl der simulierten Einzelteile entsteht.

Steiner und seine Kollegen wollen im Josef-Ressel-Zentrum für innovative Mehrkörperdynamik, das mit Unterstützung des Wirtschaftsministeriums und des Unternehmenspartners KTM vor kurzem an der FH Oberösterreich startete, diese Art von Aufgaben mit einem neuen Ansatz in angemessener Rechendauer lösen können.

Unbekannte Größen

Die Herausforderung liege in der großen Anzahl unbekannter Größen, die während der Simulation immer wieder berechnet werden müssten, erklärt Steiner. Für jeden Körper müssen stetig sogenannte Freiheitsgrade, also Parameter, die beispielsweise den Schwerpunkt und die Lage im Raum betreffen, eruiert werden. "Pro Körper sind das sechs unbekannte Größen, sofern er starr ist. Ist er elastisch, sind es viel mehr. Im Gesamtsystem kommen auf diese Art mehrere Hundert Freiheitsgrade zusammen", erklärt der Forscher.

Für die Simulation wird eine an der FH Oberösterreich selbst entwickelte Software namens FreeDyn verwendet. Der "Witz" sei nun, dass man nicht einfach nur den Ablauf einer Fahrt des virtuellen Automodells berechnen wolle, sondern dass ein "inverses Problem" zu lösen sei, erklärt Steiner: "Wir wissen, dass wir eine optimale Rundenzeit erreichen möchten. Die mathematisch große Herausforderung ist es, auf die dafür nötigen Eingangsgrößen bei Bremsen, Gas, Steuerung zurückzurechnen."

Abgleich mit Erfahrungsschatz

Konventionelle Optimierungsansätze ließen sich bei derart komplexen Systemen nicht so einfach anwenden. Mit jener Methode, die Steiner und Kollegen entwickelt haben, sei es aber durchaus möglich. Sie bedient sich des sogenannten Gradientenverfahrens: "Man kann die Methode mit einem Marsch durch ein Gebirge vergleichen, bei dem man den tiefsten Punkt im Tal erreichen will", erklärt Steiner seinen Ansatz. "Um diese Optimierungsaufgabe zu lösen, wählt man vom Ausgangspunkt den steilsten Abstieg, geht ein Stück, wählt erneut, bis man im Tal ist." Übertragen aufs Automodell: Durch die Auswahl der besten Kriterien wird schlussendlich die optimale Rundenzeit erreicht.

Um das Modell zu validieren, wird es immer wieder mit Praxiserfahrungen von Rennfahrern abgeglichen, die das simulierte X-Bow-Modell von KTM auf einer tatsächlichen Rennstrecke fahren. Ist die theoretisch beste Rundenzeit erreicht, stellt sich die Frage, ob man mit einer Anpassung der Fahrwerkseinstellungen des Rennwagens die Zeit noch weiter verbessern kann.

Letztendlich sollen die Optimierungsergebnisse – also die perfekte Fahrspur, wann Gas, wie viel Bremse – auch für ein Unterstützungssystem für Rennfahrer auf realen Straßen verwendet werden. Alle relevanten Daten könnten per Augmented-Reality-Technologie ins Helmvisier und damit in das Blickfeld der Piloten eingeblendet werden. Die perfekte Rundenzeit rückt damit auch abseits der Simulation in greifbare Nähe. Die Rennfahrer sehen, wie weit sie noch von der "Grenze des Möglichen" entfernt sind. Die Mathematik selbst zu schlagen ist dagegen eher aussichtslos. (pum, 6.4.2018)