Dresden/Wien – Als Träger der Erbinformation spielen Gene in der Evolution eine zentrale Rolle. Dabei können im Lauf der Zeit nicht nur neue Gene entstehen, bestehende können sich auch verändern oder verloren gehen. Meist werden Genverluste als evolutionärer Nachteil betrachtet – wie stark sie aber auch zur Anpassung an Umweltbedingungen beitragen können, ist unklar.

Nun legt ein Forscherteam eine systematische Untersuchung von 62 Säugetieren vor und kommt zum Ergebnis: Das Verschwinden von Genen kann durchaus einen bedeutenden Einfluss auf die Anpassungsfähigkeiten haben.

Haarlos unter Wasser

Die Forscher um Michael Hiller vom Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden entwickelten eine computergestützte Methode zur Bestimmung von Genverlusten. Ihre Untersuchungsergebnisse zeigen eine Reihe von bisher unbekannten Schwunden, die als Folge einer früheren Anpassung aufgetreten sein könnten oder eine wichtige Rolle bei der Entwicklung neuer Anpassungsmerkmale gespielt haben könnten, schreiben die Forscher im Fachblatt "Nature Communications".

Für ihre Studie untersuchten sie den Verlust von Haaren und Fell bei Delphinen und Walen. Bei diesen aquatisch lebenden Arten können Haare nicht mehr zur Isolierung dienen, außerdem würden sie das Schwimmen verlangsamen – der Haarausfall ist also ein klarer Vorteil. "Wir zeigen in unserer Studie, dass diese Säugetiere mehrere Gene verloren haben, die für die Haarbildung benötigt werden", sagte Studienerstautor Virag Sharma.

Fehlende Insulinhemmung

Zudem brachten die Analysen neue Details dazu ans Licht, wie sich manche Fledermäuse, die sich ausschließlich von Fruchtsaft ernähren, an diese zuckerhaltige Nahrung angepasst haben. Es stellte sich heraus, dass ihnen Gene fehlen, die die Ausschüttung von Insulin hemmen und dessen Wirkung unterdrücken – bei dieser Ernährung sicherlich ein Vorteil.

Eine weitere Erkenntnis ist, dass Arten, die nicht nahe miteinander verwandt sind aber die gleichen Anpassungsmerkmale an ihre Umwelt entwickelt haben, die gleichen Gene verloren haben. Ein Beispiel dafür ist ein Gen, das nur bei den Säugetieren verschwunden ist, deren Körper mit Schuppen gepanzert sind, etwa Schuppentier und Gürteltier. Dieses Gen ist wichtig, um durch UV-Licht verursachte DNA-Schäden zu reparieren. Die Forscher vermuten, dass die Schuppen die Haut dieser Tiere ausreichend vor UV-Licht schützen, weshalb sie das Reparatur-Gen schlicht nicht mehr benötigen.

"Unsere Ergebnisse liefern umfangreiche Belege für das evolutionäre Potenzial von Genverlusten. Im Laufe der Evolution kann ein Verlust von Genen also nicht nur schädigend wirken, sondern unter besonderen Umständen sogar von Vorteil sein", so Hiller. Die rasanten Fortschritte bei der Entschlüsselung der Genome zahlreicher Spezies liefere eine Grundlage, um die Rolle von Genverlusten in der Evolution künftig viel genauer zu beleuchten. (red, 9.4.2018)